Kapitel 7

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Noch ganz benebelt, blicke ich um mich herum und nehme erst einmal nichts wahr. Grelles Licht blendet meine Augen, weshalb ich sie immer wieder zusammenkneife und wieder öffne.
Ein leises piepsen zieht sich von einem Ohr in das andere. Hin und her. Doch mit jedem Mal wird es immer lauter und lauter. In Sekundenschnelle ist es so laut, dass ich es nicht mehr aushalten kann und meine Hände gegen meine Ohren presse. Ein frustrierter Seufzer entgleitet meinen Lippen.

„Wieso tut das nur so verdammt weh?", presse ich zwischen meinen Lippen hervor.

Plötzlich verwandelt sich dieses ohrenbetäubende Geräusch in ein lautes Rauschen. Wie, als wäre es eine Antwort auf mein Jammern.

Doch dieses Rauschen, was kurzzeitig entspannend wirkte, entpuppt sich als viel störender, als das ohrenbetäubende Piepsen von eben.

Alles nur Schein. Auch hier und jetzt. Auf dem ersten Blick erscheint es positiv, sieht man jedoch genauer hin, bemerkt man, die pure Negativität.
Manchmal, wie jetzt, wird es einem schnell bewusst. Andere Male, dauert es gefühlt eine Ewigkeit, bis einem die Einsicht auf die zweite Sichtweise gewährt wird. Entweder wir selbst lassen es nicht zu, tiefer ins Geschehen hineinzublicken, indem wir so geblendet sind, gefangen in einer Traumvorstellung, sodass wir keinerlei Negativität, Einlass gewähren können, um die Blase zum Platzen zu bringen. Oder, die letzte und vielleicht sogar auch schlimmste Option ist, dass der Schein sehr gut bewahrt werden kann, sodass wir niemals hinter die Fassade blicken können, weil sich eine so starke Mauer aufgebaut hat, die wir nicht mit unserer zur Verfügung stehenden Kraft, kaputtschlagen können und für immer gefangen sind.

Lassen wir uns nicht alle von etwas täuschen? Von irgendjemandem? Von irgendeiner Sache? Von uns selbst?

Das Rauschen wird immer leiser und ich nehme im Hintergrund weit entfernte, gedämpfte Töne wahr.

„Bin ich taub oder...was geschieht mit mir?"

„Wo bin ich hier überhaupt?"

Die Verschwommenheit verblasst so langsam und ich sehe ein paar Bruchstücke, die ich noch nicht zuordnen kann.

Darum schließe ich ein letztes Mal meine Augen, um diese zu entspannen und versuche mich auf mein Gehör zu konzentrieren. Urplötzlich sind die Töne von eben, nun ganz präsent. Stimmen. Ein Stimmengewirr. Aber noch immer so undeutlich, dass ich das Gesprochene nicht entziffern, geschweige denn zuordnen kann.

Ich halte es langsam nicht mehr aus. Zu hören aber nicht wirklich lauschen zu können.
Es erdrückt mich. Man könnte das damit vergleichen, als hätte man eine starke Sehschwäche und bräuchte eine Brille um in HD sehen zu können.
Dieses Gefühl bedrängt mich. Ich fühle mich unwohl und kann nichts dagegen unternehmen.

Wie lange noch? Wie lange...bis ich wieder normal hören und sehen kann?

Als Mensch vergisst man schnell, dass das alles nicht selbstverständlich ist, nur weil es zur Routine gehört. Weil es so gegeben ist. Genauso wie es gegeben ist, kann es uns auch genommen werden.
Aber merkt man nicht genau in solchen Situationen, den Wert von gewissen Dingen, die uns gewährt werden?
Braucht man nicht deshalb das Leid, um dankbar zu sein für das was einem erlaubt ist tun zu können? Um das alles verstehen zu können und damit das Schätzen zu lernen.

Meine Augen sind immer noch geschlossen.
Warum? Aus Angst.
Denn ich habe Angst. Angst, dass ich kein volles Bild zu Gesicht bekomme, wenn ich sie wieder öffne. Noch schlimmer. Angst vor dem, was sich vor mir befindet.
Aber da ist noch ein anderes Gefühl, das versucht sich in den Vordergrund zu drängen.
Das Gefühl der Neugier.
Was erwartet mich? Wo bin ich und was ist mit mir passiert? Wie wird es weiter gehen? Werde ich überhaupt jemals wieder normal werden?

Doch, was bedeutet es, „normal" zu sein?

In dem Fall, dass alles Gewohnte seinen Lauf nimmt. Dass die gewohnten Verhältnisse, einem erneut zur Verfügung stehen und man sich keinen Kopf, über genau diese Sachen, zerbrechen muss.

Oder verwechsele ich das Gefühl der Neugier, mit dem Gefühl der Freiheit?
Ich möchte frei sein. So frei wie ein Vogel, das aus seinem Käfig entkommt und seine Flügel ausbreiten kann. Den Himmel empor und wo auch immer es ihn hintreiben mag. Alles ist besser, als gefangen und eingesperrt zu sein. Keine Luft zu bekommen.

Gefangen. Ich bin gefangen. Irgendjemand. Bitte nur irgendjemand. Holt mich hier heraus. Entsperrt meine Tür, lasst mich frei. Lasst mich hinaus. Lasst mich wieder atmen. Meine Lunge in der schönen, kalten, angenehmen Luft baden.

Ich wollte nie hier sein. Ich habe das nie gewünscht.

Ich wollte gemocht werden. Ich wollte Liebe schenken und sie zurückbekommen. Ich wollte zuhören und gehört werden. Alles, was ich jemals wollte... akzeptiert zu werden, für das, was mich ausmacht. Wie ich bin. Wer ich bin.

Aber warum, wird mir dies nicht erlaubt?
Um mich selbst zu schützen, weil sowieso jeder Mensch insgeheim selbstsüchtig ist. Weil jeder Mensch einen, einmal oder mehrmals enttäuschen wird?

Ist es mir nicht erlaubt zu fliegen, um mich nicht zu Fall zu bringen? Ist die Freiheit, die ich mir Wünsche, in Wahrheit, mein Verderben? Wird es mir zum Verhängnis? Denn sobald ich losfliege, warten die Jäger mit der Waffe in der Hand, um auf mich zu schießen.

Erlebe ich einmal kurzzeitig ein Hochgefühl, werde ich dafür tief fallen und mich davon nicht mehr erholen.

Ist das der Grund, für mein Leid, das in Wahrheit ein Segen ist? Kann ich hinter die Fassade blicken. Bedeutet das Leid gleich immer Leid und entspricht die Freiheit immer der Freiheit?

Fragen über Fragen, für die ich nicht annähernd Antworten habe. Die mich innerlich, wie äußerlich zerfressen.

„Mary."

Abrupt verspüre ich einen Stich auf meinem Arm und bin damit zurückgekehrt. Zu meiner Normalität. Alles, was ich gebraucht habe, war ein, kleiner unbedeutsamer Stupser auf meinem Arm.

Unbedeutsam auf erstem Blick und dennoch so voller Bedeutung, wenn man tiefer hineinblickt.

Trapped - Wenn dein Verstand verrücktspieltWo Geschichten leben. Entdecke jetzt