Einige Zeit später bremste Ganseys Camaro vor dem alten Haus im Foxway, an dem eine geschwungene, aber schon ziemlich mitgenommen aussehende 300 hing.
Blue stürzte als erstes aus dem Wagen, schloss die Haustür auf und bedeutete den anderen ihr zu folgen. „Mum?", rief sie laut. „Mum wo bist du?" Adam konnte die Antwort nicht hören, er war auf einem Ohr taub und die sie schien aus dieser Richtung zu kommen, aber kurz darauf rannte Blue in die Küche und fiel ihrer Mutter um den Hals. Maura Sargent trug eine petrolfarbene Bluse und einen gelben Rock und ihr gegenüber saß Mr. Gray -Überraschung! Er trug grau-. Anscheinend waren die beiden bis gerade in ein Gespräch vertieft gewesen, aber nun sah Maura erst ihre Tochter und dann die restlichen drei Jungen, die noch in der Tür standen besorgt an. „Was ist passiert?", fragte sie sachlich und erhob sich von ihrem Stuhl.
Blue erzählte und Mauras Augen weiteten sich mit jeder Minute mehr. Ihr besorgter Ausdruck wich einem Entsetzten und kaum hatte Blue ihre stockende und haspelnde Erklärung beendet, rief sie die anderen Bewohnerinnen des Hausen zusammen und führte sie alle in das abgedunkelte Sitzungszimmer.
Mit den fünf Wahrsagerinnen, Blue, den drei Jungen und nun auch Mr. Gray, der sich auch noch zu ihnen gesellt hatte, platzte der kleine Raum aus allen Nähten. So gut es ging bildeten sie einen Kreis um den großen Eichenholztisch, der den meisten Platz im Zimmer einnahm und nun rief Maura Noahs Namen. Währenddessen hielt sie Blues Hand, um ihre Kraft zu verstärken. Nach und nach begannen auch die anderen Hellseherinnen Noah zu rufen, immer und immer wieder, bis ihre Stimmen zu einem gespenstischen Singsang vermischt wurden.Und dann geschah es: Noahs zusammengerollte Gestallt von vorhin lag vor ihnen auf dem Tisch und wimmerte. Wieder flackerte er so seltsam und seine Konturen waren nicht viel deutlicher als auf dem Wanderweg. Maura, Persephone und Calla warfen sich besorgte Blicke zu, dann ergriff Calla das Wort: „Raus. Alle raus." Die Jungs blickten verwirrt drein und Blue begann zu protestieren: „Was mich angeht, geht auch sie etwas an!" „Du auch", bestimmte Maura, „Alle außer Calla, Persephone und mir." Gansey, Adam und Ronan hatten sich bereits zur Tür hinausgeschoben. Auch Jimi und Orla machten sich daran zu gehen. Nur Blue blieb, wo sie war. „Ihr braucht mich! Ich kann euch helfen die Signale zu verstärken! Bitte lasst mich bleiben." In ihren Augen lag ein verzweifeltes Flehen. Nun schüttelte auch Persephone den Kopf. „Nein, Blue. Bitte geh." Geknickt stand sie auf, zögerte kurz und folgte aber den anderen in die Küche.
Gansey kaute nervös auf einem Minzblatt herum, während Adam am Küchentisch saß und mit seinen langen Fingern auf den Tisch klopfte und Ronan an seinen Lederarmbändern herumspielte. Blue holte sich einen Joghurt aus dem Kühlschrank. Sie glaubte nicht, dass sie nur einen Löffel hinunter bekam, aber sie brauchte eine Beschäftigung. Sie alle waren völlig durcheinander. „Was ist da gerade passiert?", flüsterte Adam entsetzt, „Ich meine Noah verschwindet schon immer manchmal einfach. Aber nicht so." Gansey schüttelte den Kopf. Die Küchenuhr tickte leise im ewigen Tackt und die Zeit schien viel zu langsam zu vergehen. 20 Minuten. 30 Minuten. 35 Minuten. Nach 42 Minuten hörte Blue, wie sich die Türe zum Sitzungszimmer öffnete. Sie sprang auf, als Maura, Calla und Persephone in die Küche traten. Blue zitterte. Die Augen der drei Wahrsagerinnen waren glasig. Maura weinte.Blues Mutter weinte nie. Dennoch stand sie gerade vor ihr in der Küche, ihre Mutter, die sonst immer ein Lächeln auf den Lippen hatte, und weinte. „Kommt mit ins Sitzungszimmer", bat Persephone sie mit belegter Stimme. Sie folgten ihnen zurück und ließen sich am nun leeren Tisch nieder. „Wo ist Noah?", fragte Gansey. Callas Antwort beruhigte sie alle ein wenig: „Er ruht sich aus, indem er unsichtbar bleibt. Das kostet ihn weniger Kraft."
Blue rutsche ungeduldig auf ihrem Platz hin und her. „Was ist denn nun mit ihm?" Die Ungewissheit machte sie verrückt. Noah bedeutete ihr so viel mehr als sie sich je eingestehen würde. Und die anderen wussten das ebenfalls. Mauras Blick wurde noch ernster, soweit das überhaupt möglich war. „Es ist traurig. Es wird euch wehtun.", verkündete sie und obwohl Maura sie alle angesprochen hatte, sah sie dabei nur ihre Tochter an. Blue verstand und flüsterte: „Ich will es wissen."Und Maura begann zu sprechen als würde sie eine Jahrtausende-alte Legende erzählen. Aber es war keine Legende und sie war auch keine Jahrtausende alt. Es war die Geschichte von Noah Czernys Tod vor etwas mehr als sieben Jahren.
„Noah Czerny ist seit sieben Jahren tot. Zumindest fast. Er kann gehen und sprechen und Dinge bewegen, aber er lebt nicht wirklich. Er ist etwas, das man im üblichen Sprachgebrauch auch einen Geist nennt. Aber wieso? Als Noah vor sieben Jahren von seinem besten Freund ermordet worden ist, haben seine letzten Gedanken dem Leben gegolten, das er verpasst hat. Er hat nie ein Mädchen geküsst. Er hat sich nie verliebt. Er hätte alles getan, um das erleben zu können. Und die Ley-Linie hat ihn erhört.
Seit sieben Jahren ist Noah Czerny ein Geist. Er hat die Chance seine wahre Liebe zu finden. Aber mit jedem Tag verliert er das Menschliche in sich mehr. Und sobald er seine wahre Liebe gefunden hat, ist die Magie der Ley-Linie gebrochen. Wenn die Liebe seines Lebens ihn küsst, muss Noah Czerny in die Welt der Toten zurückkehren."
Maura machte eine kurze Pause, wechselte einen Blick mit Calla und Persephone und sprach dann weiter:
„Es ist einem Fluch ähnlich. Eine Bestimmung. Sein letzter Wunsch wurde erfüllt, aber falls er es nicht schafft seine wahre Liebe zu finden -aus welchem Grund auch immer- fristet er für immer das qualvolle Leben eines Geistes. Und er wird mit jedem Tag schwächer. Aber er kann nicht sterben. Es wird nur immer schmerzhafter für ihn sich an der Welt der Lebenden festzuklammern."
An dieser Stelle übernahm Persephone: „Das schlimmste für eine tote Seele ist es, nicht in ihren Ursprung zurückzukehren. Noah hat sich mit seinem Wunsch ein bisschen länger an die menschliche Welt gebunden, aber falls er es wirklich nicht schafft den Fluch zu brechen... Seine Seele würde für immer hier gefangen bleiben. Ohne Körper, ohne Stimme. Eine gefangene Seele ist eine verlorene Seele." Plötzlich stand Blue auf. Einen Moment stand sie einfach nur da, mit verweinten Augen und zitternden Gliedern. Dann ging abermals ein Ruck durch ihren Körper und sie stürmte aus dem Zimmer.
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fading - the raven cycle
FanfictionEine 'the raven cycle' fanfiction "Wenn Blue ihre wahre Liebe küsste, dann würde dieser Junge sterben." Aber was wenn Blues wahre Liebe nicht Gansey gewesen wäre? Noah Czerny war seit sieben Jahren tot. Zumindest fast. Er konnte gehen und sprechen...