II.|⊱2/4⊰

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»Als ich aus diesem fiebertraumartigen Zustand erwachte, befand ich mich im Salon des Hauses. Hier waren die Wände sehr dunkel und endeten ebenfalls in Stuck, die Decke jedoch wurde von einer gewaltigen Malerei eingenommen, ähnlich den Fresken Michaelangelos, aber den wahnhaften Charakter eines Hieronymus Bosch einfangend.

Ich lag auf einem samtig gepolsterten Diwan, vor mir auf einem glänzenden Mahagonitisch stieg Dampf von einer Teetasse auf.

Abermals war mein Verstand voller Lücken, fühlte sich mein Kopf schwer und erschöpft. Gérard hatte getan, was er am liebsten tat und Spielchen mit meinem Geist getrieben.

Ich spürte brennend heiß die Wunde an meinem Hals, meine Augen schmerzten und es fühlte sich an, als würde jemand mit Steinen auf meinen Schädel einschlagen.

Bebend und kraftlos streckte ich die Hand nach der Teetasse aus. Durst, ich hatte Durst. Es war beinahe, als wäre ich meilenweit gelaufen. Dumpf erinnerte ich mich an flackerndes Feuer, wie auch jenes im Kamin dieses Raumes und an die ausladenden Bücherregale.

Als meine Finger das Porzellan erreichten, schrak ich zurück, denn eine große Hand war ihnen urplötzlich zuvorgekommen. Mit aufgerissenen Augen starrte ich den Berg von einem Mann an, dem sie gehörte.

Du musst wissen, Jaromir war nicht einfach groß. Er überragte einen jeden großen Mann um mehrere Zoll, wirkte in jedem Raum mit noch so hohen Decken viel zu riesig und massiv, so absolut nicht konform mit den zierlichen Kaffeetischen und Sesseln und erst recht nicht mit winzigen, englischen Teetassen. Wäre sein Gesichtsausdruck nicht so weich gewesen, ich bin mir sicher, er hätte es sogar vermocht mit seiner Gestalt einem Mann wie Gérard Furcht einzuflößen.

Ich zumindest hatte einen Heidenrespekt vor diesem Schrank von einem Mann.

›Hmm‹, brummte er mit tiefer Stimme und schob mir vorsichtig die Tasse zu.

Ich starrte ihn einfach nur an. Tausende Fragen schossen mir durch den Kopf; Wer war er? Lebte er hier? Wie kam es, dass ich ihm noch nicht begegnet war?

Ich glaube, seine Größe wurde dadurch noch verstärkt, dass der Anzug, den er trug, ein wenig zu kurz und zu eng war. Wie ein Riese saß er da vor mir auf einem winzigen Sessel, die Miene ernst, aber nicht finster oder gar böswillig.

Ich rührte mich nicht.

›Trink das‹, brummte er und schob den Tee noch ein wenig näher zu mir. Er hatte einen Akzent, aber nicht den gleichen wie Célestin und Gérard. Dieser hier war schwerer und härter und wesentlich stärker als die sanfte Eleganz, die die Sprache meines Gottes zierte.

Ich merkte, dass ich ihn in seiner Gänze nicht einordnen konnte. Ich wollte mich fürchten, gleichzeitig erschien er mir dafür nicht bedrohlich genug. Er hatte aber auch nicht Geminis Freundlichkeit und Wärme an sich, die mich so sehr an meine Mutter erinnerte. Und wie gewaltig er war. Ich fühlte mich ihm mit meiner Schwäche schutzlos ausgeliefert, frisches Fleisch auf dem Präsentierteller.

›Ist gut‹, sagte er nachdrücklich. ›Hilft gegen die Schmerzen.‹ So tief seine Stimme auch war, so weich klang sie doch. Sie vermittelte mir etwas, das ich in meinem Leben selten erfahren hatte; Mitgefühl.

Ich blinzelte ihn irritiert an, nicht sicher, was ich sagen, nicht sicher, wie ich ihn ansprechen sollte. Mein Blick viel auf das Silberkreuz, das er um den Hals trug. Nach Gérards Lobpreisungen an die Hölle war es ein Stück Hoffnung, an das ich mich klammerte.

›Trink‹, wiederholte der Mann. ›Hilft wirklich. Das Mädchen hat gekocht.‹

Zitternd schlossen sich meine Finger um die Tasse. Meine Muskeln fühlten sich furchtbar schwach an, als würden sie nicht einmal die Stärke besitzen, eine Feder, geschweigedenn eine Tasse randvoll mit Tee halten zu können.

Kinder der Nacht (Blutchronik)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt