III.|⊱3/3⊰

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Wann ich wohl zu Staub zerfallen bin? Womöglich in dem Augenblick, da ich erkannte, dass Unsterblichkeit einen Preis hat. Tödlicher, todgeschwiegener Preis, der du voll Hohn zu mir herablachst, verrate mir, habe ich es verdient? Ist dies das Fegefeuer, in dem ich brennen muss für all die grausigen Dinge, die ich tat?

In langen Nächten scheint es so. Dann verweile ich über den Häuserschluchten, werde eins mit den Schatten und beweine die Menschlichkeit, die hätte sein können und niemals war. Ich neide sie euch, wie die Armen den Reichen das Brot neiden.«

Er stieß einen tiefen Seufzer aus und starrte auf die weiße Leinwand, die in der Schwärze verborgen lag. Der Engel zu seiner linken schwieg angespannt, denn sie spürte seine eisigen Finger auf ihrer Halsschlagader.

»Meine Glieder waren steif vom Sitzen, als Lydia mich auf die Beine zog. Sie hatte diesen wissenden Ausdruck auf ihrem Gesicht, einen, den ich damals noch nicht verstand, aber später verstehen sollte.

›Du bist sicher hungrig‹, flüsterte sie und half mir an der Krippe vorbei und unter Balken und Lanzen hindurch aus ihrem kleinen Versteck. Jetzt unserem. Ein Ort von Trost, an dem die Welt noch weit und wirklich war.

›Oh, Mr. Dampierre wird mich sicher rügen‹, sie ging strammen Schrittes vor mir und schüttelte immer wieder in einer Mischung aus Ärger und Panik den Kopf. ›Ich hätte das Abendessen längst vorbereiten sollen.‹

Stirnrunzelnd blieb ich stehen und kratzte mich am Kopf. ›Aber er isst doch ohnehin nie mit mir. Und woher soll er wissen, dass du hier warst?‹

Furcht glomm in ihren Augen und Anspannung war Herrin über ihren Körper. ›Mr. Dampierre sieht alles, was in diesem Haus geschieht.‹

Mit diesen Worten kletterte sie die Leiter hinab und wartete am Boden geduldig darauf, dass auch ich zu ihr herab stieg. Mein Blick jedoch wanderte noch einige Sekunden durch die Finsternis und ich meinte — natürlich war es ebenso gut möglich, dass meine Augen mir einen Streich spielten — ein sehr altes Gemälde, von dem bereits die Farbe abblätterte, und das nur zum Teil von einem staubigen Stück Stoff geschützt wurde, zu erkennen. Dieses Gemälde zeigte Mr. Dampierres Gesicht; kein bisschen jünger, als ich es kennengelernt hatte. Mich überkam jäh ein eiskalter Schauder.

›Nun komm!‹, rief Lydia mahnend von unten. ›Die Herrschaften schätzen das Durchstöbern ihrer Habseligkeiten ganz und gar nicht.‹

So beeilte ich mich, die Stufen hinabzuklettern und möglichst schleunigst mein sicheres Erdgeschoss zu erreichen, wo keine Götter und Teufel hinter verschlossenen Türen lauerten. Jedoch, ich hatte meine Rechnung ohne den Hausherren gemacht, der nicht nur seine Augen, sondern auch seine Ohren überall zu haben schien.

Unheilvoll glommen die beiden grauen Punkte in der Finsternis auf; zwei Höllenfeuer, die von Verderben kündeten.

›*Mioches impertinents*‹, säuselte es furchtbar höllisch aus den Schatten, die gierig lange Klauen nach mir ausstreckten.

Die Silhouette stand starr und still wie ein Felsen, der schon immer dort gestanden und noch in Jahrtausenden dort stehen würde, die Hände hinter dem Rücken verschränkt und eine gar missbilligende Miene auf den scharfen Zügen.

Postwendend senkte Lydia den Blick und sprach mit einem leisen, ängstlichen Flüstern in Richtung Boden: ›Verzeihung Mr. Dampierre, mir ist bekannt, dass es verboten ist, dort hinaufzugehen-‹

Sie holte nicht einmal Luft, indes sie dies sagte und zuckte vor Schreck zusammen, als er ihr das Wort abschnitt:  ›Und doch entschieden Sie sich wissentlich, diese Regel zu missachten, *n'est-ce pas* Miss Durham?‹

Ich stand schweigend daneben und wagte nicht, auch nur irgendeinen Laut von mir zu geben. Mr. Dampierres plötzliche Präsenz war derart erschütternd, dass ich in eine Art Starre verfiel, fast ebenso regungslos wie die des Hausherrn. In Gedanken glich ich sein ausdrucksloses Antlitz mit dem Bildnis vom Dachboden ab. Die Ähnlichkeit war nicht von der Hand zu weisen, ja, er schien dem Kunstwerk geradezu entstiegen zu sein.

Kinder der Nacht (Blutchronik)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt