II.|⊱2/1⊰

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Am Tisch Gottes saßen drei Dämonen. Einer mit Haar wie Gold, einer mit Haar wie Schnee, einer mit Haar wie Ruß. Und sie alle blickten mich aus nebelblassen Gesichtern mit glühenden Augen unheilvoll an. Tiefe Gewässer, die funkelten wie Juwelen und mich in sich hineinsogen, je länger ich in ihrem Fokus stand.

Célestin saß auf der linken Seite neben dem Kopfende, gehüllt in blickfangende, prächtige weiße Seide, in die feine, goldene Ornamente gestickt waren, passend zu seinem gewellten Haar, das er sich mit einem dünnen, glänzenden Band sorgsam zurückgebunden hatte. Die dunklen Flecken waren von seiner Kleidung verschwunden, wie ich realisierte, doch ich stockte, als meine Augen von seinem Mund aufwärts wandern wollten.

Nicht in die Augen sehen, hatte Lydia gesagt. Nicht in die Augen sehen.

Als nächstes erkannte ich die dunkelhaarige Gestalt, rechts neben dem Kopfende, die wie die anderen beiden schlagartig verstummt war, als ich den Raum betreten hatte. Auf ihre rosig bemalten Lippen schlich sich ein seichtes, liebevolles Lächeln, als sie mich musterte, doch ebenso schnell zeichneten sich Falten der Sorge auf ihrer ebenmäßige Stirn ab.

Gemini.

In ihrem mitternachtsblauen Kleid war sie nur allzu leicht als jener Engel wiederzuerkennen, der in der Nacht zuvor den Sternen entstiegen war. Ich spürte, wie mein Herz einen kurzen Aussetzer tat und jene von Liebe erfüllte Wärme zurück in meinen Körper strömte, die sie schon bei unserer ersten Begegnung in mir entfacht hatte. Wieder schmeckte ich Honig und Mondschein, wieder war mir, als würde ich schweben ob ihrer überirdischen Schönheit.

Meine Mutter, mein Engel, meine Retterin.

Ich brauchte eine halbe Ewigkeit, um den Blick von ihr abzuwenden und jenem so gefürchteten Hausherren entgegenzutreten, der am Kopfende des dunklen Tisches saß.

Mit seiner bleichen Haut und dem fast ebenso weißen, langen Haar, das ihm offen über die Schultern und den pechschwarzen Anzug fiel, wirkte er wie eine lebende Leiche. Ich wagte es nicht, ihm direkt ins Gesicht zu sehen, doch seine Mundwinkel zuckten in einer unbehaglichen Art grausamen Vergnügens, als er mich dort zitternd in der Tür stehen sah, als würde er meine Angst wittern.

Ich zweifelte nicht daran, dass er der schlimmste Teufel von ihnen allen war, nicht eine Sekunde. Seine gesamte Präsenz, seine Ausstrahlung, war allzu niederschmetternd, sodass mein Innerstes nichts weiter wollte, als meinen Leib zur Flucht zu bewegen. Gefahr, schrie es in meinem Kopf. Und doch hielt mich eine eigentümlich gefühllose Kälte zum Bleiben an.

Meine Füße waren nicht willens, Schritte in die Entfernung zu tun. Ich war wiederum ein Gefangener des dunklen Zaubers der Kreaturen der Nacht. Die hilflose Maus in der Falle.

Und sie schwiegen, alle miteinander, standen starr da wie in Mamor gehauene Statuen. Kein Atem schien aus ihren todbringenden Mündern zu dringen und sie flößten mir damit nie gekannten Furcht ein, obgleich ich mich toll vor Wahn zu ihnen hingezogen fühlte, in ihre kalten, blassen Arme, gedrückt an ihre toten Herzen mit keinem anderen Sinn mehr im Leben, als ihnen zu Diensten zu sein.

Doch so weit kam es nicht. Zumindest jetzt noch nicht. Denn nach diesem albtraumhaften Moment des Schweigens, in dem der Dämon Furcht wutentbrannt an mir gezerrt hatte, größtenteils angefacht von Mr. Dampierres überirdisch diabolischem Äußeren, löste dieser sich aus seiner Versteinerung.

›Sei mir gegrüßt, Castor‹, in seiner kalten Stimme schwang ein schwacher, melodischer Akzent, ähnlich dem von Célestin. Ich registrierte, dass er mich in einer eleganten Geste zu Tisch bat, doch wagte es nicht, ihn direkt anzusehen.

Nicht in die Augen blicken, hörte ich Lydia in meinem Kopf immer wieder flüstern. Nicht in die Augen. Wie ein Mantra sagte ich es wiederholt vor mir auf, sodass ich ganz vergaß, mir die Frage zu stellen, woher er meinen Namen kannte.

Kinder der Nacht (Blutchronik)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt