Kapitel VI: Wanderung

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Ich wachte auf, als sich eine große Bärenschnauze an mich drückte. Sobald ich etwas widerwillig die Augen aufschlug, sah ich natürlich auch gleich Donner, dir mich erwartungsvoll anstarrte. Anscheinend ist sie der Meinung, wir hätten uns genug ausgeruht. Nun gut, ich wollte mich nicht mit einem Bären streiten. Also stand ich mehr oder weniger schlafend auf, schwankte ein paar Schritte, gähnte, ging weiter und fiel prompt über eine Wurzel. Ich versuchte nicht einmal, wieder aufzustehen, sondern hoffte bloß, Donner würde einsehen, dass sie mich so früh zu nichts gebrauchen konnte. Tat sie natürlich nicht. Sie stupste mich bloß an. Ich hab mal gehört man solle sich tot stellen, wenn man von Bären angegriffen wird. Ob das wohl auch mit einem Bärenjungen klappte, welches sich in den Kopf gesetzt hatte, einen zu wecken? Ich könnte es eigentlich mal probieren. Aufgrund der absurden Situation musste ich lachen, womit dieser Plan dann wohl auch zunichte gemacht wurde. Meine ganze Schulklasse wurde umgebracht, ich bin alleine in der Wildnis, habe keine Ahnung wo ich bin und rege mich bloß darüber auf, dass das Bärenjunge, welches ich adoptiert hatte ohne etwas von Bären zu wissen, versuchte mich zu wecken, damit wir... Was war eigentlich mein Ziel? Wieder auf Zivilisation treffen? Dann müsste ich Donner alleine lassen. Gab es eine Möglichkeit, sie zu retten, gleichzeitig aber nicht in der Wildnis bleiben zu müssen? Ich wusste es nicht. Donner wurde langsam ungeduldig, sie wollte anscheinend, dass ich jetzt sofort aufstehe. Hatte sie vor etwas Angst? Ich stand auf, und schaute sie fragend an. Sie schwenkte den Kopf in die Richtung, aus der wir gekommen waren und knurrte leicht. Dann stupste sie mich an und machte sich auf den Weg in die andere Richtung. Vielleicht hatte sie wirklich etwas gehört. Vielleicht einen anderen Bären? Oder den Mörder meiner Schulklasse? Ich wollte es nicht herausfinden.

Der Wald wurde immer dichter und bald konnte man die Sonne über unseren Köpfen nicht mehr sehen. Die hohen Tannen um uns herum ließen bloß ein trübes Licht durch, dass gerade so ausreichte, um die Umgebung zu erahnen. Ich stolperte über eine Wurzel. Wir waren schon ein paar Stunden gewandert, hatten jedoch außer einem Fuchsbau und ein paar Tümpeln nichts gefunden. Eine kurze Pause konnte nicht schaden, entschloss ich und setzte mich neben Donner auf einen großen Stein. Sie schaute mich etwas erstaunt an, legte sich jedoch auch hin. Meine Kehle fühlte sich wie ausgetrocknet an und ich schwitzte vor Anstrengung, gleichzeitig war mir aber auch eisig kalt. Meine Jacke hatte ich mir schon vor Ewigkeiten um die Hüfte gebunden, doch jetzt überlegte ich, sie mir wieder anzuziehen. Eigentlich war ich dazu aber zu erschöpft, also setzte ich den Rucksack ab und suchte meine Box mit Blaubeeren. Wie ich vermutet hatte, waren die Beeren ziemlich zerdrückt und boten so keinen besonders schönen Anblick, aber das sollte meinen leeren Magen nicht stören. Meine Wasserflasche war schön kühl und ich presste sie mir einen Moment gegen die glühende Stirn, bevor ich einen großen Schluck trank. Langsam erholte sich meine Atmung und ich schöpfte neue Kraft, wodurch ich auch nicht mehr so stark schwitzte. Ich zog mir meine Jacke an und sogleich wärmten sich meine Arme wieder auf. Ich schaute zu Donner, die zu meiner Rechten auf dem Boden lag und mir zugesehen hatte. Das Bärenjunge sah ebenfalls ziemlich erschöpft aus. Ich schüttete einen Schluck Wasser in meine Hand und hielt sie ihr hin. Sie schien sich zu freuen und schleckte es sofort auf. Dann schaute sie mich erwartungsvoll an. "Willst du noch mehr?" Fragte ich, während ich schon eine weitere Portion Wasser in meine Hand schüttete. Natürlich bekam ich keine Antwort, aber sie schien dankbar. Nach einer weiteren Hand hatte ich kein Wasser mehr. Den Flusslauf hatten wir schon lange verloren, aber das wir würden bestimmt irgendwo einen Bach finden. Ich hatte mal gehört, dass Vögel morgens zur nächstgelegenen Wasserquelle flogen, also würde das wohl kein Problem werden. Essen zu finden jedoch könnte sich etwas schwieriger gestalten. Aber nichts, was sich mit der Hilfe eines Bärens an meiner Seite nicht lösen lassen würde. Besagte Bärin hatte sich übrigens gerade erhoben und versuchte, einen Schmetterling mit den Tatzen zu fangen. Oder eine Motte. So genau ließ sich das in dem Halbdunkel der Bäume nicht erkennen. Ich seufzte. Anscheinend hatte sie wieder genug Energie um weiter zu gehen.
"Donner, wir brechen auf!"

Der Wald schien noch dichter zu werden, falls das überhaupt noch möglich war. Wir folgten einem schmalen Weg durch das Unterholz, welches hier überraschend gut gedeihte. Der Pfad wurde wahrscheinlich von Tieren gebahnt, aber ich hatte doch die leise Hoffnung, er würde durch Menschen geformt sein. Wir liefen, obwohl es stolpern wohl besser treffen würde, durch den Wald, als ich an einem großen Stein vorbeikam. Er schien gut geeignet zu sein, um sich drauf zu setzten. Doch ich hielt kurz inne. Das durfte jetzt nicht wahr sein... Ich schaute mich um. Oh Nein... Ich erkannte diesen Stein. Wir waren stundenlang im Kreis gelaufen.

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