Kapitel IV: unfreiwillige Erkundungsgänge

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Ich sah direkt in das, zugegeben recht niedliche Gesicht des kleinen Bärens. Es wirkte nicht, als ob es mich angreifen wollte, aber von dem Jungtier ging in diesem Moment wohl die geringste Gefahr aus. Mit klopfendem Herzen setzte ich mich auf, darauf bedacht keine hektischen Bewegungen zu machen, und schaute mich langsam um. Zum Glück war es morgens, so konnte ich wenigstens etwas erkennen. Von der Bärenmutter war nichts zu sehen. Das kleine wirkte sehr abgemagert und etwas verängstigt, zur gleichen Zeit lag aber auch große Neugierde in seinen Augen.
Mittlerweile ziemlich überzeugt, das kein erwachsener Bär hier war, stand ich auf, darauf bedacht das Tierchen nicht zu verschrecken. Gelang mir wohl nicht wirklich, denn je mehr ich mich aufrichtete, desto mehr wich es zurück.

Sollte ein Bär sich so verhalten? Ich hatte keine Ahnung, also bewegte ich mich einfach ganz langsam auf das kleine Bärenjunge zu und somit auch auf den Ausgang der Höhle zu. Es ließ mich ohne Schwierigkeiten vorbei und ich war beinahe wieder im Freien, als ich ein herzzerreißendes Quieken hinter mir hörte. Etwas zögernd drehte ich mich um, da ich eigentlich nur weg wollte, aus Angst die Mutter des jungen Bären könnte erscheinen und mich gnadenlos zerfetzen, um ihr Kind zu schützen. Nicht gerade rosige Aussichten, auf die ich getrost verzichten konnte. Auf der anderen Seite klang das Bärenkind so verzweifelt, hilflos und beinahe flehend, dass ich nicht anders konnte als mich umzudrehen.

Sofort sah es freudiger aus und hüpfte aufgeregt etwas weiter in die Höhke hinein. Dann drehte es sich um und legte den Kopf schief, als wenn es mich auffordern wolle, ihm zu folgen. Es wirkte ziemlich aufgeweckt und intelligent für ein Tier. Es wurde mir schon beinahe ein bisschen unheimlich, als das Bärenjunge auch noch anfing, mir mit einer Kopfbewegung zu bedeuten, in die Richtung hinter ihm zu gehen. Das machen Tiere doch normalerweise nicht, oder?
War im Endeffekt auch egal, denn der Bär hatte mir eindeutig gezeigt was er von mir wollte und verärgern wollte ich ihn nun wirklich nicht, dazu war er viel zu süß. Es war eine dumme Entscheidung dem Jungtier zu folgen, darüber war ich mir mehr oder weniger im Klaren, denn jeden Augenblick könnte die Mutter auftauchen. Meine Augen gewöhnten sich nur langsam an die immer dunkler werdende Umgebung im hinteren Teil der Höhle, weshalb ich mich an der Decke stieß. Es wurde anscheinend niedriger. Sollte ich wirklich weitergehen? Die Angst festzustecken war immer noch da, außerdem konnte im Dunkeln eine Menge Gefahren lauern, nicht zuletzt Schlangen. Nach einem Moment der Unentschlossenheit gewöhnten sich meine Augenendlich an das dämmrige Licht und ich konnte endlich sehen, wie es vor mir weiterging.

Zunächst wurde es ein wenig schmaler und die Wände unebener, dann bog die Höhle nach rechts ab und wurde schließlich wieder weiträumig. Leise wiederhallend hörte ich ein Tropfen. Wie groß das Höhlensystem wohl war? Und ob es hier wohl irgendwo auch eine Tropfsteinhöhle gab? Wir haben einmal vom Waisenhaus aus eine Besichtigung von einer veranstaltet. Höhlen waren unglaublich faszinierend, wenngleich ich schnell das Gefühl bekam, eingeengt zu sein, wenn ich über die Gesteinsmassen über meinem Kopf nachdachte. Ganz schnell anderes Thema...

In der Mitte des Raumes, den ich jetzt betrat, war ein großer dunkler Haufen. War das Erde? Mein Atem hallte von den Wänden wider und ich bekam ein beklemmendes Gefühl. Was sollte ein Haufen Erde hier unten machen? War die Decke an der Stelle eingestürzt? Was, wenn das noch einmal passieren würde, während ich hier drinne war...? Mein Herz begann schneller zu klopfen und ich hatte das Gefühl, immer weniger Luft zu bekommen. Ich wollte mich umdrehen und aus dieser Hölle fliehen, doch der kleine Bär versperrte mir den Weg. Er schüttelte sich und schien zu dem Haufen zu deuten. Ich war wohl völlig verrückt geworden. Begann ich schon zu halluzinieren? Das war ein Bär, kein Mensch. Ich hatte mir doch nicht ernsthaft eingebildet, er würde mit mir kommunizieren, oder? Ich machte einen Schritt auf ihn zu, doch er rührte sich nicht von der Stelle, sondern schnaubte nur kurz. Nun gut, hier kam ich wohl nicht hinaus. Beruhige dich Jolly, du wirst hier nicht verschüttet, alles ist sicher. So sicher es eben in einer kleinen Höhle mit einem Bären sein kann. Ich wandte mich also tatsächlich dem Haufen zu und betrachtete ihn genauer, teils aus Neugierde, teils um mich von meiner Angst abzulenken. Das war keine Erde. Das hier war ein Bär. Eine ausgewachsene, echte Bärin, die mich töten konnte.

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