Apollo (5) - Hey there, dear Layla

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Hey there, dear Layla
What's it like in New York city?
I'm a thousand miles away
But, girl, tonight you look so pretty
Yes, you do
Times Square can't shine as bright as you
I swear, it's true

Hey there, dear Layla
Don't you worry about the distance
I'm right there if you get lonely
Give this song another listen
Close your eyes
Listen to my voice, it's my disguise
I'm by your side

Oh, it's what you do to me
Oh, it's what you do to me
Oh, it's what you do to me
Oh, it's what you do to me
What you do to me

---"Hey there Delilah"
von Plain White T's---
("Delilah" mit "dear Layla" getauscht)

*****

Ich war gerade dabei mir einen Platz in meiner Standard-Fußgängerzone zu suchen, um einen weiteren Tag, mit der hoffnungslosen Aussicht, keinen Groschen vor die Füße geworfen zu kriegen, meine Musik zu spielen, als ich einen anderen Straßenmusiker singen hörte. Es war wirklich eine schöne Stimme und jeder Ton war perfekt getroffen. Gegen ihn sah jede andere Musik schlecht aus - besonders Jakes grausamer Gesang. Das Lied, das er sang, war bekannt, schien aber durch ihn noch weitaus besser zu klingen. Leider konnte ich ihn nicht sehen, weil sich eine große Menschenmasse um ihn versammelt hatte. Es schien, als würde jeder Passant, der vorbeikam wie hypnotisiert stehen bleiben, um der Musik zu lauschen.

Mein Herz zog sich dabei zusammen und ich musste mir eingestehen, dass ich neidisch war, weil er die ganze Aufmerksamkeit bekam, die ich mir so sehr wünschte. Wenn ich es mir Recht überlegte, war seine Stimme doch nicht so gut - meine war mindestens genauso schön. Im nächsten Moment merkte ich, dass ich mich gerade selbst belog.

Ich wollte unbedingt den Sänger dahinter kennenlernen, um - so sagte ich es mir - ihm zu sagen, dass das hier mein Platz war und er verschwinden sollte. In Wahrheit würde ich das nie über mich bringen. Ich würde ihn nur gerne einmal sehen, um mir ein Bild von ihm zu machen.

Also ging ich - die eine Hand umklammerte fest meinen Gitarrenkoffer - zu einer Stelle, an der noch nicht ganz so viele Leute standen und quetschte mich zwischen ihnen durch. Sobald sie merkten, dass ich eine Obdachlose war, traten sie sogar freiwillig zur Seite. Ja, es hatte auch Vorteile auf der Straße zu leben. Es dauerte nicht lange und dann sah ich ihn. Blonde Locken umschlossen sein Gesicht - ein makelloses Gesicht. Ein strahlendes Lächeln zierte seine Lippen; es wirkte fast so, als würde bei ihm immer die Sonne scheinen. Seine blauen Augen, die pure Wärme ausstrahlten, schweiften über die Menge, als würde er nach jemanden suchen. Er stand vor einer Hauswand und hatte in den Händen eine Gitarre, auf der er spielte wie ein Gott. Ich hatte ein absolutes Gehör und erkannte keinen einzigen Fehler. Dabei spielte er, ohne auch nur einmal nach unten zu sehen - das würde nicht mal ich hinkriegen, obwohl ich schon seit vielen Jahren Gitarre spielte. Sein Auftreten war selbstbewusst - er schien zu wissen, wie gut er war. Er hatte ein weißes Hemd an, das an den oberen Knöpfen geöffnet war, und dazu eine blaue Jeans. Darüber trug er ein schwarzes Sakko und um seinen Hals hing lässig ein Schal. Er sah wirklich verdammt gut aus und als ich mir die Frauen in der ersten Reihe ansah, merkte ich, wie sie ihn anschmachteten und ihnen beinahe der Sabber aus dem Mund lief. Ich verdrehte darüber nur die Augen und hörte dann weiterhin dem blonden Musiker zu. Erst da fiel mir der Text auf, den er sang, und mein Herz setzte einen Schlag aus. Das Lied "Hey there Delilah" war zwar im Großen und Ganzen dasselbe, allerdings hatte er ein ausschlaggebendes Wort verändert. Statt "Delilah" sang er nämlich "dear Layla".

Vielleicht war es nur Zufall, sagte ich mir, vielleicht hatte ich mich nur verhört. Und wenn schon, er konnte nicht mich meinen. Nein! Layla Kenneth ist tot! Es gab nur noch Melody. Er musste eine andere Layla meinen. Aber als er ein weiteres Mal "Hey there, dear Layla" sang, traf sein Blick auf meinen. Mein Herz setzte bestimmt zwei, wenn nicht drei Schläge aus. Mit einem Mal war mir nicht mehr kalt - eine angenehme Wärmer durchfuhr meinen Körper. Es war dieselbe Wärmer wie... wie damals... wie, wenn ich in der Sonne lag... nur... intensiver...

Ich hatte erwartet, seine blauen Augen würden weiterschweifen, doch stattdessen blieben sie das ganze restliche Lied über auf mir ruhen. Es schien sogar, als würde sein Lächeln noch ein Stück breiter und strahlender werden. Ich konnte mir nicht helfen - auch auf meinen Lippen erschien ein kleines Lächeln.

Zuerst versuchte ich immer wieder, seinem Blick auszuweichen, aber er schaute keine einzige Sekunde weg, sodass sich irgendwann dann auch meine Augen in seinen verhakten. Manche Leute - überwiegend Frauen - sahen sich um, wem der hübsche Sänger so plötzlich seine gesamte Aufmerksamkeit schenkte. Als sie es herausfanden, konnte ich förmlich spüren, wie die Flüche und Verwünschungen auf mich einprasselten. Ich machte mir nichts daraus, war viel zu sehr auf den Musiker fokussiert.

Als das Lied endete und der letzte Ton verhallte, wandte er sich das erste Mal von mir ab, um sich bei dem Publikum zu bedanken. Münzen, aber meistens Scheine, wurden ihm zu Füßen geworfen, während jeder so laut er konnte applaudierte. Das Geld verstreute sich quer über die Steine, weil der blonde Sänger keinen Hut oder Ähnliches aufgestellt hatte. Ich geriet in Versuchung, ein paar Scheinchen aufzusammeln, ließ es dann aber doch bleiben.

Er verbeugte sich ausgiebig mit einem breiten Lächeln auf den Lippen und wartete, bis die ersten Menschen wieder ihrem Weg nachgingen und auch der letzte Applaus verschwunden war. Ich wollte mich ebenfalls aus dem Staub machen, aber als ich ein letztes Mal zu ihm hinüberschauen wollte, stand er plötzlich vor mir. Ich erschrak fürchterlich und sprang einen Meter nach hinten.

"Tut mir leid", entschuldigte er sich und legte seinen Kopf schief. Das Lächeln wurde dabei kein bisschen kleiner. "Ich wollte dich nicht erschrecken." Seine Stimme war genauso klar und schön, wie wenn er sang. Beinahe wäre ich unter ihr zerschmolzen, wie Eis in der Sonne, aber ich konnte mich gerade noch zusammenreißen.

"Schon okay", erwiderte ich und räusperte mich. Mein Puls schlug so hoch wie seit langem nicht. Ich fuhr mir nervös durch die dunkelblonden Haare. Ich hätte vielleicht gestern oder heute früh doch noch ein Bad nehmen sollen. Hoffentlich stank ich nicht zu stark.

"Du... du singst echt schön", sagte ich einfach frei heraus und versuchte, meine Gedanken zu ordnen. Vergeblich, denn als ich in seine warmen Augen sah, war auch noch der letzte Teil meines Gehirns ausgeschalten.

"Dankesehr!", antwortete der Sänger. "Würdest du ein Stück mit mir laufen?"

"Ich..." Mir verschlug es die Sprache. Wollte er, der jede haben könnte, gerade mit mir, einer Obdachlosen, Zeit verbringen? Träumte ich gerade? Das konnte doch unmöglich real sein. "Ich... weiß nicht mal deinen Namen..."

"Nicht?" Er legte lächelnd den Kopf auf die andere Seite. "Erinnerst du dich kein bisschen mehr an mich, Layla?"

Ich machte große Augen. "Woher...? Ich meine... Tut mir leid... du musst mich verwechseln. Mein Name ist Melody. Und... Ich... ich sollte... sollte wohl besser gehen." Ich schluckte schwer und drehte mich, ohne auf seine Reaktion zu warten, um. Die Hand fest um den Griff meines Gitarrenkoffers geklammert, brachte ich so schnell wie möglich Abstand zwischen mich und den blonden Sänger.

Apollo - Wärme der MusikWo Geschichten leben. Entdecke jetzt