Ich lass mich fallen, wenn du mich fängst

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„Ich, ich weiß nicht mehr was ich machen soll. Ich sitze nur da, und sogar das verlangt mir alles ab. Ich steh' früh auf und habe keine Kraft um mir Frühstück zu machen. Kaffee hilft nicht mehr und..." ich hörte, wie sie vor lauter Worte nicht mal zum Atmen kam, und schon das machte mir zu schaffen. Ich wollte sie trösten, doch ihre Worte kamen schneller, als dass ich meine Gedanken sammeln konnte, um sie beruhigen zu können.
„ ... ich sitze vor meinem Notizblock, und all die Worte die ich schreibe, ergeben für mich keinen Sinn. Ich liebe das Schreiben, das nächtliche Aufwachen um meine Einfälle für Songs zu notieren. Nur Mark, das passiert nicht mehr. Ich fühle nichts mehr. Und ich weiß, dass das alles gerade viel ist und dass ich dich eigentlich gar nicht in all das mit reinziehen wollte, doch ich brauche meinen besten Freund, jetzt viel mehr als sonst."
Ich verarbeitete ihre Worte, doch auch mein Kopf war gerade leer. So leer, wie letzten Sommer, als Lena mir aus dem tiefen Loch half. Doch ich wollte ihr helfen, meiner besten Freundin, die mir momentan mit das Wichtigste neben der Musik war. Doch ich hörte erneut ein tiefes Atmen und ihre nächsten Worte versetzten mir ein tiefen Stich.
„Denn ich kann nichts mehr fühlen. Gar nichts."
Ich hörte ihr leises Schluchzen und es tat so weh, gerade nicht bei ihr zu sein um sie in den Arm nehmen zu können.
„Lena, du musst nicht immer stark sein. Es kann nicht immer alles super laufen, das ist bei keinem der Fall. Du hast mich im Sommer aus dem schlimmsten Tief herausgeholt, und das auch ernst nach langem bearbeiten deinerseits, da du mich kennst. Ich sag erst etwas, wenn überhaupt, wenn es viel zu spät scheint. Du hast es geschafft. Weißt du wie stark du bist? Du hast in dieser Zeit auf dein Wohl verzichtet, du hast mir so sehr geholfen, dass ich mich danach gefragt habe, womit ich dich verdient habe. Du bist stark, aber auch starke Menschen dürfen schwach sein. Du musst nicht immer so tun als wäre alles okay. Also lass es raus, lass mich dir helfen. Nimm dir 'ne Auszeit. Lass uns in die Berge fahren, Zelten gehen oder Wandern. Ich komm mit, und wir finden raus, was dich wieder etwas fühlen lässt. Wir bekommen das hin, Leni. Ganz sicher. Nur mach dir keinen Druck, bitte. Okay?"
Ich hörte zunächst nur Stille, dann ein leises Schlucken.
„Aber.."
„Nein, kein aber. Du bist niemandem etwas schuldig." antwortete ich, und hoffte dass sie verstand, dass sie niemandem außer sich selbst etwas schuldig war, und das war eine Pause.
„Na gut. Aber erst nach den Aufzeichnungen. Und ich fahre. Bei deinem Fahrstil habe ich Angst, dass wir es nicht mal lebendig raus aus Berlin schaffen."
Ihre Worte ließen mich kurz schmunzeln, und ich war froh dass sie ihren Humor nicht verloren hatte.
„Geht klar Lena, doch dann kümmere ich mich um die Musikauswahl." konterte ich und war froh als ich ihr Lachen hörte. Das Lachen, was ich so gut kannte, und nie missen wollte.
„Deal, Forsti. Danke dir. Wirklich. Und wir sehen uns morgen, ja?" sagte sie erst bestimmt, dann immer leiser werdend.
„Na klar, schlaf gut und ich hoffe du weißt, dass du mich immer anrufen oder vorbeischauen kannst. Dafür bin ich da, Lena."
Auch meine Stimme war leise, aber dennoch hörbar. Ich war froh, dass sie sich gemeldet hatte, denn wer weiß wie lang sie sich schon den Kopf zerbrochen hatte.
„Ich hab dich lieb, Mark." waren ihre letzte Worte bevor sie auflegte.
Ein warmes Gefühl machte sich in mir breit, und ich war mir sicher, dass ich ihr zumindest für heute Abend ein etwas besseres Gefühl geben konnte. Ein Gefühl, was auch ich von ihr so häufig vermittelt bekommen habe.

Im Hintergrund lief immer noch leise eine Folge How I Met Your Mother, und ich schaute zwar Richtung Fernseher, jedoch nahm ich nicht wirklich etwas vom Geschehen wahr. Ich machte es mir bequemer und lag einfach nur da, während ich unser Gespräch immer wieder Revue passieren lies. Sie hatte mich um Hilfe gebeten, mich, der immer wieder zweifelte. Ich hoffte so sehr, dass ich ihr helfen konnte. Ich wollte es so sehr.
Langsam wurde ich müde und meine Augen wurden immer schwerer. Ein kurzer Blick auf mein Telefon verriet mir, dass es kurz vor Mitternacht war, und ich unbedingt schlafen sollte.
Morgen würde ein langer Tag werden und etwas Kraft tanken für die Kids, wäre vielleicht auch nicht das Schlechteste.
Ich griff zur Fernbedienung, schaltete den Fernseher aus, ging Richtung Bad und putzte mir die Zähne. Im Spiegel erkannte ich leichte Augenringe, und hoffte inständig, dass diese morgen verschwunden waren. Das Bett war also überfällig.
Den Lichtschalter betätigt, machte ich mich auf den Weg ins Schlafzimmer und fiel in mein Bett. Auch wenn mir das Gespräch immer noch im Ohr lag, der Schlaf kam schneller als gedacht. 

Noch einmalWo Geschichten leben. Entdecke jetzt