Ich weiß nicht, wie lange ich hier schon an meinem Schreibtisch gesessen und gebraucht habe, dir dies alles niederzuschreiben. Die Flasche mit dem Yamazaki-Whiskey ist jedenfalls fast leer.
Eigentlich trinke ich seit vier Jahren keinen Whiskey mehr. Das letzte Glas habe ich mit dir und Oda getrunken, als wir uns das letzte Mal zu dritt im Lupin getroffen haben. Erinnerst du dich?
Der Whiskey hatte noch nie so bitter und brennend geschmeckt.
Es war auch das letzte Mal, dass ich mit Oda gesprochen habe. Ich kann den Klang seiner letzten Worte an mich nicht vergessen. Manchmal, ganz plötzlich, wenn ich alleine bin, höre sich sie. Zum Bespiel, wenn mich das Gefühl überkommt, dich anzurufen zu wollen. Oder dir ganz altmodisch einen Brief zu schreiben. Mit all meinen Erklärungsversuchen.
„Sag nichts weiter, Ango. Sag einfach nichts mehr!"
Seine unglaubliche Enttäuschung über meinen Verrat. Der Verdruss. Das Ende unserer gemeinsamen Freundschaft.
Seine Stimme sticht mir jedes Mal wieder aufs Neue mitten ins Herz.
Ich weiß, wie du mich ansähst, wenn ich dir das sagen würde, Dazai. Obwohl du jetzt bei den Detektiven bist, statt deines schwarzen Mantels einen sandfarbenen Trenchcoat - ähnlich dem Odas - trägst und dich bemühst Gutes zu tun, würden deine Augen schwarz wie verbrannte Erde werden, genauso wie als du noch bei der Hafenmafia warst, und du müsstest die größte Kontrolle aufbringen, mir nicht in diesem Moment etwas anzutun.
Wie ich es wagen kann so etwas zu sagen. Nach alldem, was passiert ist. Dass er dir für immer genommen wurde. Durch meine Schuld.
Aber er war auch mein Freund. Er war auch mir wichtig. Ich hatte nie gewollt, dass ihm irgendetwas passiert. Ich konnte ja auch nicht ahnen, dass ...
Ah, aber Rechtfertigungen bringen nichts. Dadurch kommt er auch nicht zurück und für keinen von uns beiden wird sein Verlust leichter zu ertragen sein. Nie. Die Fehler der Vergangenheit überschatten unsere Herzen für immer.
Aber sag, Dazai, was hast du gedacht, als du so Hals über Kopf die Mafia verlassen hast? Hat es dich interessiert, was aus jenen wird, die du zurücklässt?
Chuya, deinem Partner? Und Akutagawa, deinem Schützling?
Chuya ist kurz nach Odas Tod zurück aus Europa gekommen, wenn ich mich nicht irre. Hast du ihn in deine Pläne eingeweiht oder bist du ohne ein Wort des Abschieds auf und davon? Letzteres würde mich nicht wundern ... Ihr beide hattet schließlich, laut deinen Aussagen, von Anfang an eher ein ... durchwachsenes Verhältnis...
Ich habe jedenfalls gehört, dass sich Chuya in der Nacht deines Verschwindens so furchtbar betrunken hat, dass er am nächsten Tag nicht zur Arbeit erschienen ist. Er hat sich ja auch die Haare länger wachsen lassen - und das nur auf der einen Seite. Auf der linken. Gerüchte besagen, dass er das getan hat, weil diese linke Halsseite die Lieblingsstelle einer gewissen Person sei und die Haare wie ein Schleier fungieren, die die Haut vor anderer Leute Berührungen beschützen soll. Nur für jene Person sei der Schleier zu lüften reserviert. Das ist doch ganz interessant, findest du nicht? Was meinst du, Dazai, wer könnte diese Person wohl sein?
In Atsushi hast du ja einen neuen, vielversprechenden Schüler gefunden, wie ich sehe. Wie läuft die Arbeit mit ihm? Du scheinst ihn sehr anständig zu behandeln. Nicht so grob, wie du es mit deinem ersten Schützling getan hast. Und das ist ja noch untertrieben...
Und versuchst du das, was du Akutagawa angetan hast, bei Atsushi wieder gut zu machen? Behandelst ihn deshalb so, wie Oda es getan hätte?
Ich frage mich aber wirklich, ob du dir im Klaren darüber bist, was du für Narben des Selbstzweifels und dem Verlangen nach deiner Anerkennung in Akutagawa zurückgelassen hast. Dass er sich alleine jemals davon befreien werden kann, bezweifle ich sehr. Kümmert dich das gar nicht, Dazai?
Du brauchst mich nicht so anzuschauen. Ich weiß, ich weiß, du schuldest mir sicher keine Erklärung. Wie gesagt, wir tragen alle unser Päckchen mit unseren Sünden herum. Auch du.
Aaaah, vergiss es. Das ist alles eigentlich nicht das, was ich dir wirklich sagen will. Ich schreibe dir nicht, um dir Vorwürfe zu machen, sondern weil ich dich wirklich ... vermisse.
Lach nicht so dreckig!
Auch wenn du es dir nicht vorstellen kannst: Du bedeutest mir viel. Ja, sogar mehr als du dir vorstellen kannst.
„Aller guten Dinge sind drei".
Das hat für kurze Zeit auf Oda, dich und mich gepasst, bis irgendwann aus Dreien einer zu viel wurde und ihr beide euch eure eigene kleine Welt geschaffen habt.
Mach nicht so ein fragendes Gesicht.
Du weißt genau, wovon ich rede! Da war etwas zwischen euch. Ich habe es doch gespürt ... In euren Blicken. In euren Berührungen. Euer beider Vertrautheit.
Oder siehst du das anders?
Ah, ich habe mir immer so sehr gewünscht, dass du und ich auch eines Tages so miteinander umgehen würden...
Sag nichts.
Ich weiß, dass ich alle Chancen darauf verspielt habe. Falls ich überhaupt jemals welche hatte...
Nun gut, Dazai, vielleicht ist das, was uns verbindet auch der Grund, wehalb wir uns niemals näher kommen konnten und unsere Beziehungen zu den Menschen um uns herum so kompliziert sind: Wir schaffen es beide einfach nicht, ehrlich gegenüber uns selbst und anderen zu sein. Wir vermasseln es einfach. Wieder und wieder.
Zum Schluss bleibt mir nichts anderes mehr sagen, als dass sich mit dir bei den Bewaffneten Detektiven und mir in der Abteilung für besondere Fähigkeiten, unsere Wege sicher eines Tages wenigstens beruflich wieder kreuzen werden. Ich würde lügen, wenn ich schriebe, dass ich mich nicht darauf freue. Und auch wenn Versprechen zwischen uns keinen Wert mehr haben, kann ich dir doch eines mit Gewissheit schwören, Dazai: Ich werde dir immer helfen - solange es im Namen des Rechts geschieht und dem Schutz der Menschen dient.
Sakaguchi Ango
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Streunende Herzen
FanfictionDiese Geschichte spielt einige Tage bevor sich Dazai, Oda und Ango ein letztes Mal als Freunde im Lupin treffen, um zusammen zu trinken und die Ereignisse um Mimic ihren Lauf nehmen. Es geht um die Beziehungen zwischen Dazai, Oda, Ango, Chuya und Ak...