stille wasser sind tief

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Wieso? Wieso jetzt? Wieso ausgerechnet hier?

"Louis!"

Woher hatte Harry gewusst, dass er wieder an diesem Ort war? An dem Ort, an dem alles angefangen hatte? In der Stadt, in der alles noch gut gewesen war. Wo sie glücklich gewesen waren. Bis...

"Louis, verdammt nochmal!"

Er zuckte zusammen und schaute auf, in die wütenden grünen Augen, die ihn so sehr an die von Harry erinnerten. Er hatte versucht, ihn zu vergessen. Wirklich! Aber jedes Mal, wenn er kurz davor gewesen war, sie zu küssen, hatten ihre Augen ihn davon abgehalten.

Er konnte es nicht. Es fühlte sich beinahe an wie Verrat. Trotz dem, was Harry getan hatte.

"Louis? Hallo!" Lina fuchtelte mit ihren Armen wild vor seinem Gesicht und er wich erschrocken zurück. "Was ist denn los?!"

So genau wusste er das eigentlich auch nicht. Was war los?

Harry war hier. Das war los.

Gedankenverloren nahm er einen Schluck von seinem bereits kalten Tee und verschluckte sich prompt daran.

War das nicht seltsam? Alle Dinge verdrehten sich plötzlich ohne Vorwarnung.

Normalerweise trank er seinen Tee ohne Probleme - sobald er an Harry dachte, musste er aufpassen, nicht zu ersticken.

Wobei das möglicherweise auch nicht nur an dem Tee lag.

"Echt, Louis, ich werde nicht schlau aus dir. Willst du mir vielleicht mal antworten?"

Er räusperte sich.

Aber mehr war nicht drin. Was sollte er denn auch sagen? Dass er nach all den Jahren immer noch an dem Typen hing, der sein gesamtes Leben zerstört hatte? Wohl kaum.

"Na gut, ich wollte dir sowieso nur kurz Bescheid geben, dass ich einkaufen gehe.", seufzte Lina schließlich und lehnte sich genervt zurück. "Wir haben keine Milch mehr - und übrigens: die Kaffeemaschine muss repariert werden. Die produziert nur noch widerliches, braunes Wasser. Und - "

"Das ist der Sinn von Kaffeemaschinen." Er erschauerte beim Geräusch seiner eigenen Stimme. Sie klang monoton und eingerostet, als hätte er sie jahrelang nicht benutzt.

Und so war es auch - mehr oder weniger. Natürlich hatte er gesprochen. Irgendwie. Aber sein größtes Hobby - das Singen - hatte er aufgegeben. Zu viele Erinnerungen an Harry hingen mit der Musik zusammen.

"Wie bitte?" Ungläubig, dass er tatsächlich doch noch redete, zog Lina einen Stuhl heran und setzte sich.

"Kaffee ist nichts anderes als widerliches, braunes Wasser.", klärte Louis sie auf und ließ im nächsten Moment stöhnend seinen Kopf auf die Tischplatte sinken.

Das war auch so etwas, das er sich in den letzten Monaten angewöhnt hatte. Er wurde zu Harry.

Zumindest kam es ihm so vor. Denn er selbst hätte nie etwas gegen Kaffee gesagt. Harry war es, der das Getränk auf den Tod nicht ausstehen konnte. Er hatte kurz nach ihrem Kennenlernen sogar etwas von "entweder ich oder diese braune Scheiße" gemurmelt und finster in die Tasse gestarrt.

Lina quittierte seine Bemerkung nur mit einem strengen "Aha" und einer hochgezogenen Augenbraue, stürmte dann aus dem Raum und schlug die Tür hinter sich zu.

Er musste aufpassen, das wusste er. Lina hatte ihn nur deshalb nicht gefeuert, weil sie in der letzten Zeit so was wie Freunde geworden waren. Aber sie könnte ihn auch nicht ewig mit sich herum schleifen - die Buchhaltung musste erledigt werden, auch wenn das das letzte war, was Louis in seinem Leben hatte erreichen wollen: einsam in einem stinkenden Café an der Straßenecke eines kleinen Kaffs zu arbeiten, das ihn so gut wie jeden Tag an Harry erinnerte.

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Lou geht es also offensichtlich nicht gut. Warum nur...?

~ josy

Nur über meine Leiche (Larry Stylinson)Where stories live. Discover now