Wie lange war er jetzt schon im Badezimmer? Der Spiegel zeigte ein kantiges Gesicht, in dem die Anspannung deutlich erkennbar war. Erneut fuhr er sich durch die Haare, die – frisch gewaschen – glatt lagen. Die Bartstoppeln hatte er abrasiert – die Duftnote des Aftershaves lag noch in der Luft.
Die wachen Augen musterten seinen Körper: Er zuckte leicht zusammen, als er die Narben an seinem Hals sah. Darunter lag ein Körper, den er die letzten Jahre immer wieder mit Trainings herausgefordert hatte.
Am Weg in sein Zimmer blieb sein Blick für einen Augenblick auf einem Bild hängen: Es zeigte seine Eltern, braun gebrannt auf den Malediven. Daneben stand er mit einem Surfbrett in der Hand und der Sonnenbrille auf der Nase. Frech grinste er in die Kamera.
Er blickte sein jüngeres Ich für einige Sekunden an. Zum damaligen Zeitpunkt war er noch nicht so muskulös wie heute gewesen. Das Training hatte sich bezahlt gemacht. Und dennoch war er mit seiner Erscheinung nicht zufrieden: Sein linkes Ohr war doch asymmetrisch, oder?
Egal, heute würde er jedenfalls Spaß haben. Er nahm aus dem Kleiderschrank das schwarze Hemd und legte es bereit.
***
Er fuhr mit seinem Fahrrad vor und das Haus der Bahlsens und war erstaunt, dass das Tor offenstand. Es war kurz nach neun und schon zählte er zehn Autos, die die Straße entlang parkten. Ein Paar ging an ihm vorbei, sie hielt einen großen Blumenstrauß in den Händen.
Johannes schloss sich den beiden an. Seine Finger tasteten nach dem kleinen Etui, wollten wissen, ob er es nicht während der Fahrt verloren hatte. Beruhigt fühlte er etwas Hartes, Eckiges in der Sakkotasche.Als er in den Vorhof trat, staunte er nicht schlecht: Unzählige Lampen erhellten den Hof, der mit Tischen ausgestellt war. Darauf waren die leckersten Mahlzeiten: Er sah ein Grillhuhn, mehrere Platten Schinkenrollen und und und ... Er wollte schon nähertreten und es sich genauer ansehen, aber sein Anstand verbot es ihm. Zuerst musste er sich bei der Gastgeberin vorstellen.
Er trat die Stiegen nach oben in den Wohnbereich und ging durch die offene Tür. Schon hörte er Stimmen, er folgte ihnen. Ein Paar stand mit dem Rücken zu ihm und unterhielt sich mit einer Person, die in einem Türbalken stand. Er konnte sie nicht ausmachen, aber die Stimme war nicht die von Martina. Er ging an ihnen vorbei.
Das Licht im gesamten Haus war gedimmt und die Sonnenstrahlen des abklingenden Sommertages drangen durch die Fenster und fluteten es. Aus dem Wohnzimmer hörte er einen italienischen Popsong - er kannte sie alle, da er gerne alte Musiksender hörte. Das Lied stammte von Adriano Celentano.
Er trat ein und sah mehrere Personengruppen zusammenstehen. Locker hielten sie ihre Gläser in der Hand, während sie angeregt über den letzten Urlaub plauderten. Das regnerische Wetter hätte ihnen die Laune verdorben, da sie Urlaub wegen einer Wanderung gebucht hätten. Als Alternativprogramm wären sie in die Therme gefahren. Er grüßte die Anwesenden und sah sich um. Eine der Gruppe angehörige Frau dürfte seinen suchenden Blick gemerkt haben, sie trat auf ihn zu.
„Hallo. Du wirkst etwas verloren. Bist du alleine hier?"
Johannes nickte. „Du bist ja aufmerksam. Ja, ich bin alleine hier. Martina hat mich eingeladen, warum genau, weiß ich eigentlich nicht ..." Er lachte nervös. „Entschuldigung, ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Ich heiße Johannes." Er reichte der Frau die Hand. Er schätzte sie auf Anfang fünfzig. „Ich bin ein Freund von ihrem Sohn Arnold."
„Lena." Ihm fiel ihr kurzes blondes Haar auf, das mit Sicherheit gefärbt war. Dennoch passte es ihr sehr gut, musste er zugeben. Ihm fiel auf, dass sie ihn von oben bis unten musterte. „Habe ich etwas im Gesicht?"
„Was?" Ihr abwesender Blick wurde wieder konzentriert. „Nein, nein. Alles ok. Ich habe nur schon lange nicht mehr so einen attraktiven jungen Mann geschehen." Sie lachte auf.
Schlagartig wurde Johannes rot. „Was ..?" Hatte er richtig gehört?
„Jedenfalls herzlich willkommen auf der Geburtstagsparty. Martina wird die Party in Kürze offiziell einweihen." Sie sah auf ihre Armbanduhr. „Das wird so um halb zehn sein. Du kannst dich solange hier noch umsehen."
Tim bedankte sich und verließ die Gruppe. Ein mulmiges Gefühl beschlich ihn, als er das Haus weiter erkundete. Vom faden Äußeren, dass das Haus bei einem letzten Besuch gehabt hatte, war nichts mehr zu sehen. Verschiedene Scheinwerfer leuchteten mit rotem Licht die Ecken des Hauses aus und gaben ihnen ein anrüchiges Flair.
In regelmäßigen Abständen waren Tablettes mit Getränken aufgestellt. Ohne lange nachzudenken griff er nach einem und nahm einen Schluck. Der Rum drang sauer in seinen Hals. Er hielt kurz inne, mit dem zweiten Schluck leerte er das Glas. Wärme machte sich in seinem Bauch breit und der Entdeckerdrang erwachte. Er verließ das Wohnzimmer und ging einen Gang entlang, in dem er bis jetzt noch nie gewesen war: Das Scheinwerferlicht war nun heller, beinahe schon orange und gab den Fenstern eine Aura von aufgehendem Sonnenlicht.
Vereinzelt sah er Menschen in Gespräche vertieft, sie bemerkten ihn gar nicht, als er an ihnen vorbeiging. Nach einigen Metern sah er, dass er, nicht wie vermutet, zu einer Mauer kam, sondern sich ein weiterer Gang auftat. Das Haus war größer, als es von außen den Anschein erweckte. Warum hatte ihm Arnold nie davon erzählt?Er kam zu drei Türen, die nebeneinander waren. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass ihn niemand beobachtete, drückte er die Klinke der Tür hinunter. Sie war versperrt. Bei der nächsten hatte er Glück, sie ließ sich öffnen. Er trat in einen dunklen Raum. Langsam tastete er die Wände ab, bis er einen Lichtschalter fand. Flackernd gingen die Lichtröhren an und tauchten den Raum in ein kaltes Weiß.
Johannes traute seinen Augen nicht: Der Raum war mit Monstrositäten ausgestattet. An der Wand war eine Streckbank angebracht, daneben standen auf einem daneben liegenden Tisch unzählige Varianten von Dildos. Giftgrüne, lange; schwarze, dicke; oder violette mit Noppen auf der Seite. Er merkte seinen steifen Penis, der ihm auf den Bauch schlug. Gehörte das alles Martina?
Ehe er sich weiter umsehen konnte, verließ er den Raum. Keuchend schloss er die Tür hinter sich und verfiel im nächsten Moment in Lachen. Das Herz schlug ihm bis zur Brust. Hatte er richtig gesehen? Das konnte doch nicht sein.
Ein metallischer Gong tönte plötzlich durch das Haus. Es erinnerte ihn an eine Zeremonieeröffnung. Tief Luft holend, um sich zu beruhigen, ging er zurück ins Wohnzimmer, wo sich alle Gäste versammelt hatten.Der Raum war nun abgedunkelt und ein Schweinwerfer war in die Mitte des Zimmers gerichtet. Die Gäste befanden sich alle außerhalb dessen Radius, so dass man nur ihre schemenhaften Gestalten ausmachen konnte.
Eine Frau mit blonden Haaren trat in das Scheinwerferlicht. Sie trug ein schwarzes, langes Kleid mit glitzernden Steinchen. Ein langer Seitschlitz gab den Anblick auf ihre makellosen Beine preis. Sie lächelte und sah sich in der Runde um.
„Meine lieben Freunde. Vielen Dank, dass ihr alle meiner Einladung gefolgt seid. Ihr wisst ja, das Leben ist vergänglich und dennoch gehört es gelebt, jeder Moment ausgekostet. Auch wenn nur noch Ausnahmen von uns den Jugendpartner an ihrer Seite haben, haben wir nicht verlernt zu leben. Das Leben ist zu schön, um manchen Menschen nachzuweinen. Es gehört erlebt und GEFÜHLT!".
Die Menschen klatschten höflich. Johannes fühlte, wie sich Unbehagen auf seinen Schultern breitmachte.
„Gefühle sind etwas besonders, sozusagen die Perlen vom Sekt, die das Leben erst so richtig genießbar machen. Und darum soll es heute gehen. Wir möchten uns genießen, uns dem anderen schenken. Darum vergesst für einen Abend alle gesellschaftlichen Konventionen, schaut euch um nach Menschen, die euch zusagen und wenn beide einverstanden sind, dann ..."
Statt den Satz zu beenden, lächelte sie vielsagend und hob ihr Glas zum Toast. „Auf einen gelungenen Abend."
Die Menschen prosteten sich gegenseitig zu. Die Musik, bis jetzt verhalten im Hintergrund gehalten, gewann plötzlich an Lautstärke. Die Menschen begannen sich im Takt zu wiegen und es dauerte nicht lange, dass die Männer die Initiative ergriffen und die Frau, die neben ihnen stand, küsste.
![](https://img.wattpad.com/cover/225279995-288-k888064.jpg)
DU LIEST GERADE
Müttersommer
RomanceFreunde erleben während den Sommerferien heiße Abenteuer. Die Mütter sind nämlich etwas ganz besonderes und müssen ihre Hitzewallungen auf die eine oder andere Weise loswerden.