Kapitel 4

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Lucille

"Was für ein wunderschöner Name... June", erwidere ich. Er klingt so frisch und unschuldig.

Die junge Frau ist mir seit sie sich an die Bar gesetzt hat aufgefallen: außer Atem, mit ihren verwirbelten Haaren, und dazu barfuß. Sie wirkt nicht, als ob sie hier ist um schlichtweg einen schönen Abend zu verbringen.

Schüchtern lächelt sie mich an und scheint nicht recht zu wissen, wie sie mit meinem kleinen Kompliment umgehen soll.

"Darf ich fragen, was der Grund für Ihren Besuch in dieser Bar ist? Mir scheint es, als wäre Ihre Anwesenheit nicht Teil Ihres geplanten Abendprogramms", erkundige ich mich leicht lächelnd mit einem bedeutungsvollen Blick auf ihre nur in Seidenstrümpfe gehüllten Füße.

Mit dieser direkten Frage bringe ich sie noch etwas mehr aus dem Konzept, denn sie bemüht sich anfänglich etwas stotternd um eine Antwort.

"Äh n-nein, das war nicht geplant. Ich..."
Hektisch fährt sie sich durch die Haare und streicht ihr Kleid glatt. "Ich bin eher spontan hier."

Während ich meinen Martini im Glas hin und her schwenke antworte ich: "Ah, spontan also?", drehe meinen Kopf wieder zu ihr und sehe sie interessiert an.

"Nun ja... daheim ist es bei mit etwas problematisch, wissen Sie? Und man könnte sagen, dass ich einfach der Situation entflohen bin."

Armes Ding. Sie wirkt so verunsichert und eingeschüchtert. Schaut mehr auf den Boden als mich an.

"Problematisch... ich verstehe. Würden Sie mir erzählen von welcher Art diese Probleme denn sind?"

Immer noch unsicher wirkend fängt sie an: "Es geht um meinen Mann. Er ist manchmal etwas... schwierig. Und heute Nacht bin ich damit einfach nicht zurecht gekommen."

Als sie sich erneut durch die Haare fährt, rutscht ihr Ärmel etwas nach oben, so dass ihre Handgelenke freiliegen. Hastig zupft sie den Ärmel wieder zurecht, mich nervös anblickend.

Doch ich habe gesehen, dass tiefblaue Flecken ihre zierlichen Handgelenke bedecken, als hätte jemand sie gepackt und fest zugedrückt.

Ich bin kurz davor meinen Mund zu öffnen und sie darauf anzusprechen, doch ihr verschreckter Blick fleht mich an, es nicht zu tun. Also lächle ich sie nur traurig und verständnisvoll an.

Plötzlich erschallt lautes Gelächter von einem der Tische, doch es gibt nichts Besonderes. Nur ein paar versoffene Männer, die ihren Frust, vermutlich über sexuelle Unbefriedigung, daran auslassen, die anwesenden Kellnerinnen anzupöbeln.

Ein junges, verschüchtertes Mädchen bringt gerade ein Tablett voll mit Biergläsern an den dicht besetzten Tisch, als sie von einem der Männer angesprochen wird: "Na Süße, kommst du nach Feierabend noch mit zu mir?", fragt er, ein schmieriges Grinsen auf seinem Gesicht.

Die fettigen Haare hängen ihm in die Stirn, und alles an seiner ungepflegten, verwahrlosten Erscheinung löst Ekel in mir aus. Und dann dieses widerliche, gelbzahnige Grinsen...

Das Mädchen will sich abwenden und gehen, doch er hält sie am Handgelenk zurück und zwingt sie, sich umzudrehen. Ihre Augen sind geweitet und die Angst steht ihr ins Gesicht geschrieben.

Mitleid steigt in mir auf... das ist nicht das erste Mal, dass ich so eine Szene beobachten darf. So etwas passiert hier leider regelmäßig. Und mit jedem Mal, das ich mitbekomme, steigert sich mein Hass auf diese Art von Mann.

Er öffnet erneut seinen Mund: "Hey, ich hab dich was gefragt, Süße!". Sein Grinsen wird noch breiter.

"Ich... ich k-kann heute Abend n-nicht... tut mir leid...", stammelt die Angesprochene, ihre Stimme brüchig. Sie versucht sich loszureißen, doch der Griff des Mannes wird nur fester.

Sein Gesichtsausdruck verändert sich von dem schmierigen Grinsen zu erkennbarer Wut.

"Ihr Weiber seid doch alle gleich, meint, einen Mann einfach korben zu können, haltet euch für was Besseres. Aber eigentlich wollt ihr alle nur mal richtig durchgefickt werden!"

Mit diesen Worten reißt er sie zu sich her und beginnt sie zu berühren, ihre Brüste zu betatschen. Schlichtweg sich wie ein Schwein zu benehmen.

Jetzt reicht es mir. Ich erhebe mich von meinem Stuhl und gehe langsam, aber energisch zum Tisch der Gesellschaft herüber, meine Lippen einem Strich gleichend. Was für ein ekelhaftes Mannsbild das ist.

Abrupt erhebe ich meine Stimme: "Gentlemen, Sie wären doch sicher so freundlich, die junge Dame hier in Ruhe ihrer Arbeit nachgehen zu lassen?"

"Was willst du mir Anweisungen geben, dämliches Weib! Brauchst wohl auch 'nen Schwanz zwischen deinen Beinen?", ertönt lachend die Antwort von meinem Gegenüber.

Innerlich brodele ich vor Wut, was ich mir natürlich nicht anmerken lasse. Irgendwann wird er schon bekommen was er verdient...

"Ich fordere Sie nun ein zweites Mal auf, lassen Sie die Dame in Frieden", sage ich, meine Stimme immer noch ruhig.

Der Mann dreht sich ohne zu antworten wieder auf seinem Stuhl herum, den anderen zu, und macht Anstalten, die mittlerweile zitternde Kellnerin auf seinen Schoß zu ziehen. Und da reißt mein Geduldsfaden endgültig.

"Lass sie auf der Stelle los!"

Meine nun eiskalte Stimme zerschneidet förmlich die Luft im Raum, lässt das Gelächter verstummen, Stille einkehren. Im Augenwinkel sehe ich June, welche alles mit großen Augen beobachtet hat, zusammenzucken. Gemeinsam mit dem Herren vor mir.

"Du wirst nun deine Finger von ihr nehmen und sie aufstehen lassen. Und ich möchte mich kein weiteres Mal wiederholen müssen."

Der strenge Befehl kommt mir so natürlich über die Lippen, dass ich für einen kurzen Moment minimal lächeln muss. Natürlich kommen sie meiner Aufforderung nach. So wie immer.

Die junge Frau steht auf und blickt mich fast ebenso ängstlich an wie ihren Peiniger zuvor. Dennoch bringt sie es fertig ein kurzes "Danke" zu stammeln und dann wieder in der Küche zu verschwinden.

Als ich zu meinem Platz zurückkehre ist mir durchaus bewusst, dass mir die Blicke der gesamten Tischgesellschaft folgen.

Und so nehme ich wieder Platz, zünde eine neue Zigarette an, und nehme genießerisch einen Zug.

Perfectly Shattered (girlxgirl)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt