Kapitel 1.15 - Schritte
Es war die Rückendeckung, die gefehlt hatte.
Dieser Gedanke kam nicht von Severus. Der Gedanke hallte laut wie ein Schrei durch Hermines Verstand, als er an diese Stelle der Erinnerung gelangte. Die Rückendeckung ... Severus erinnerte sich an die Worte, die sie Albus gegenüber benutzt hatte. Weasleys Rückendeckung war ihre Position in dieser Einheit des Ordens gewesen.
Severus konnte spüren, wie viel Fassungslosigkeit noch immer mit dieser Erinnerung verbunden war. Es konnte nicht länger als zwei oder drei Monate her sein, dass Hermine zur Witwe geworden war. Dennoch war es nur Fassungslosigkeit, die er von ihr verspürte. Kein Schmerz, keine Trauer.
Aber alles schien plötzlich einen Sinn zu ergeben.
Der andere Teil ihrer Feindseligkeit ihm gegenüber, dessen war er sich sicher, entsprang der Tatsache, dass seine Befreiung der Grund dafür gewesen war, dass Weasleys Rückendeckung auf der falschen Seite gestanden hatte. Er, Severus, war für Hermine, was Harry Potter für ihn gewesen war – eine ständige Erinnerung an den Menschen, den sie verloren hatte.
Die nächsten Bilder, die Severus sah, waren welche in vollkommener Stille. Hermine betrat einen dunklen Raum. Hinter ihr beschwor jemand ein schwaches, sehr warmes Licht herauf, einen kleinen Ball, der an die Decke schwebte und zitternd dort hängen blieb. Ronald Weasleys toter Körper wurde sichtbar. Er lag auf einem Tisch, bis zum Oberkörper mit einem Laken zugedeckt.
Hermine ging langsam näher und sah hinunter auf ihren Ehemann. Auf ihrer Stirn glänzte die rote Narbe, die die Wunde des Fluches hinterlassen haben musste. Der Vicissitudo Virtus verhinderte nicht, dass Adias Wunden auch Hermines Wunden waren.
Irgendwann streckte sie die Hand aus. Ihre Finger zitterten. Immer mehr, je näher sie seinem blassen Gesicht kam. Ganz vorsichtig legte sie die Fingerspitzen auf seine Stirn und schnappte nach Luft. Sie strich eine Haarsträhne zurück.
Severus konnte sehen, wie ihr die Farbe aus dem Gesicht wich und hoffte, dass irgendjemand sie auffangen würde.
Doch Hermine schloss nur kurz die Augen und hielt sich am Tisch fest. Sie fing sich wieder. Ihre Finger zeichneten die Linien seines Gesichts nach und schließlich beugte sie sich hinab, um ihn auf die Stirn zu küssen.
„Das, was ich dir sagen wollte ...", hauchte sie mit geschlossenen Augen und küsste dann seine Nasenspitze.
„Das, was noch warten sollte ..." Ihre Lippen trafen auf seine geschlossenen Augenlider.
„Das, was du nun niemals erfahren wirst ..." Erst die rechte, dann die linke Wange.
„Ich bin schwanger." Schließlich küsste sie seine blassen Lippen. „Ich liebe dich, Ron." Sie griff nach seiner Hand. „Versprich mir, dass du auf mich aufpassen wirst, ja?" Sie führte seinen Handrücken an ihr Gesicht und strich mit ihrer Wange daran entlang. „Auf uns."
Als sie seine Hand auf ihren noch flachen Bauch legte, verließ Severus diese Erinnerung und betrat gleichzeitig eine neue.
Selbst wenn er zu dieser Zeit nicht in Lucius' Händen gewesen und gefoltert worden wäre, hätte Severus sich auf dieser Veranstaltung nicht blicken lassen. Aber hier in Hermines Erinnerungen konnte er nicht anders, als zumindest einen kurzen Blick auf die Beerdigung ihres Ehemannes zu werfen.
Sie fand unter der Sonne eines warmen Frühlingstages statt. Es musste später Frühling sein, denn die Bäume trugen frische grüne Blätter. Die Gruppe der Menschen um das Grab war groß, zweifellos durch Weasleys Stellung im Orden und im Ministerium. Hermine stand neben Molly und Arthur Weasley ganz vorne und obwohl Molly einen Arm um ihren Rücken gelegt hatte, schien Hermine gänzlich alleine und verloren.
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Advocatus Diaboli
FanfictionHG/SS: Drei Monate Folter, zwei Menschen, ein Haus, kein Weg nach draußen - aber viel Zeit.