Kapitel 3.03 - Narben

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Kapitel 3.03 – Narben 

 Severus sollte recht behalten: Das Essay war interessant. 

 Und in gleichem Maße langatmig. 

 Er rieb sich die Stirn, als er die dritte Pergamentrolle vor sich ausbreitete und mit dem nächsten Schriftblock konfrontiert war. Hermine schrieb ordentlich, aber klein. Sie machte Absätze, aber winzige. Und sie erklärte alles, als hätte er noch niemals zuvor an einem verdammten Kessel gestanden! 

 Severus hatte ein neues Pergament angefangen, um seine Anmerkungen aufzuschreiben. An welche Stelle sie gehörten, würde sie selbst herausfinden dürfen. 

 Als er endlich am Ende angelangt war, hatte er Kopfschmerzen und war gleichzeitig zufrieden. Er nahm die vier Rollen Pergament und ging hinunter ins Wohnzimmer. Hermine war meistens dort zu finden, der große Esstisch bot ihr beinahe genug Platz, um sich mit ihren Büchern auszubreiten. Beinahe. Er stellte sich schon vor, wie er ihre ganzen Unterlagen zur Seite schieben und ihr die Pergamentrollen vor die Nase werfen würde. Ja, ihr Essay war interessant gewesen, aber er hatte auch verdammt noch mal Kopfschmerzen, für die sie ebenso leiden würde wie er! 

 Aber heute saß sie nicht am Esstisch. Severus wurde bereits stutzig, als er die Treppe hinunter kam. Ein merkwürdiges Licht ergoss sich aus dem Wohnzimmer in den Flur. Er kannte das Licht im Wohnzimmer, es sah anders aus als dieses. Mit gerunzelter Stirn näherte er sich der Tür. 

 Licht schwebte in der Luft. Licht, das Formen annahm. Es strahlte so sehr, dass er sie erst nur schwer erkennen konnte, aber nachdem seine Augen sich daran gewöhnt hatten, war es ganz deutlich. Bilder. Es waren Bilder aus Licht. Ginevra, die lachte und sich an Harry Potter lehnte. Ein Mann und eine Frau mittleren Alters, die Severus nicht kannte; aber wenn er sich die Haare der Frau ansah, würde er darauf wetten, dass es Hermines Eltern waren. Ronald Weasley, der den Betrachter so direkt anschaute, dass es vielleicht doch eher Erinnerungen waren als einfache Bilder. 

 Severus räusperte sich und Hermine, die auf dem Sofa saß, sah sich nach ihm um. Sie lächelte, ohne dass es ihre Augen erreichte, aber zu seiner Überraschung ließ sie die Bilder nicht verschwinden. Stattdessen rutschte sie ein Stück zur Seite. 

 Er sah kurz zu Boden, dann hinauf zu dem Bild von Ronald Weasley. Etwas zog sich um seine Brust zusammen, aber er schluckte es hinunter und ging steifbeinig zu ihr. Nachdem er die Pergamentrollen auf den Tisch gelegt hatte, setzte er sich neben sie und sah sie an. Das Licht der Erinnerungsbilder zeichnete ihre Gesichtszüge weich. Wieder schluckte er. „Was ist das?", fragte er, als er seiner Stimme wieder traute. 

 Hermine seufzte. „Adia hat so was gemacht", entgegnete sie leise. „Als sie ... zu viel Magie angestaut hatte, konnte sie so was mit den Händen machen. Ich fand es immer sehr schön. Aber ich brauche doch meinen Zauberstab." Sie lächelte schief. 

 Er wollte die Bilder nicht sehen. Sie zeigten ihm ganz deutlich, welcher Mensch Hermine war. Welche Freunde sie hatte, wer ihre Familie war. Er passte da nicht rein. Er wusste das, aber er wollte es nicht sehen müssen. Also sah er Hermine an. Und als sich die Zeit zu sehr in die Länge zog, sah er hinab auf seine Hände. 

 Schließlich erstarb das Licht und Hermine entzündete die Deckenlampe. „Tut mir leid, du bist bestimmt nicht hergekommen, um dir das anzusehen." 

 Severus räusperte sich. „Nein." Er versuchte sich auf den Grund seiner Anwesenheit zu besinnen. Das Essay, genau. Er hatte ihr die Pergamentrollen vor die Nase werfen wollen. Aber die Stimmung dazu war vergangen. Er wischte sich über den Mund. 

 „Du hast das Essay gelesen?", half Hermine ihm. 

 Severus nickte. „Ja." Er zog seine Schultern ein Stück zurück. „Du weißt schon, was ein Essay ist, oder?", fragte er und zog eine Augenbraue hoch. Ja, das war besser. 

Advocatus DiaboliWo Geschichten leben. Entdecke jetzt