Spätschicht 2/2

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Vermutlich hatte er nicht zum ersten Mal in seinem Leben ein derartiges Kompliment bekommen. Wahrscheinlich auch nicht zum letzten Mal.

Ich zuckte bedeutungslos mit den Schultern, versucht belanglos und uninteressiert zu wirken, obwohl mich vermutlich meine roten Wangen und mein rasender Puls verrieten. "Ich nehme an, du hast das schon öfter gehört." , murmelte ich so überzeugend wie möglich.

Er lächelte mich einfach nur an, strahlend weiße Zähne blitzten auf und natürlich bildete sich ein unwiderstehliches Grübchen auf seiner Wange. Verdammt, manche Menschen bekommen auch alles Gute auf einmal ab. Dieses Grinsen war so ansteckend, dass ich nicht anders konnte als verlegen zurück zu lächeln. "Vielleicht fangen wir einfach nochmal von vorne an, was meinst du, Cassy? Ohne Vorurteile und einfach nur als zwei Menschen, die sich zufällig getroffen haben." , schlug Harry, noch immer am Strahlen, vor. Vermutlich hätte ich "nein" sagen sollen, wenn ich tatsächlich so ein gutes Mädchen wäre, wie ich es Joanna heute morgen noch versichert habe, dann wäre ein glasklares "NEIN" die beste und vor allem einzige Antwort gewesen. Stattdessen verließ, wie konnte es auch anders sein, ein kräftiges und optimistisches "Ja" meine Lippen.

Harry grinste locker, sprang dann seitwärts auf die Theke und ließ seine Beine in der Luft baumeln. "Da wir das jetzt geklärt hätten, darf ich dir bestimmt die ein oder andere Frage stellen, oder? Denn immerhin kenne ich bis jetzt nur deinen Namen und deinen Job." , stellte er fest und schaute mich abwartend an. Kurz zögerte ich, bevor ich mich auf einen Hocker niederließ. "Also, was willst du denn wissen, Harry?" , fragte ich ihn herausfordernd. Er strich sich sanft durch die Haare und verfing sich mit einem seiner unzähligen Ringe darin, erneut konnte ich ein Blick auf seine lackierten Nägel erhaschen, heute ganz in schwarz.

"Deinen ganzen Namen bitte, außerdem will ich wissen was du sonst so machst und deine Lieblingsfarbe." , ratterte er seine Wunschliste herunter. "Meine Lieblingsfarbe?" , verwundert schaue ich ihn an. "Ja, ich will deine Lieblingsfarbe wissen. Das ist eine sehr wichtige Information." , erzählte er lachend. Meine Verwirrung stieg dadurch nur an, aber ich wollte ihm antworten, da ich so hoffte auch die ein oder andere Information aus ihm herausbekommen zu können. "Also...", begann ich langsam: "mein Name ist Cassandra Evans, wehe du nennst mich mal so, bitte nur Cassy. Ich bin 20 Jahre alt und studiere an einer kleinen Universität kreatives Schreiben und Literaturgeschichte. Meine Lieblingsfarbe ist Schwarz, aber da es ja rein technisch gesehen keine richtige Farbe ist antworte ich mal mit rot." , damit beende ich meine kleine Erzählung und schaue abwartend zu Harry.

"Ich wusste doch, dass du ein schlaues Mädchen bist, dass sieht man dir gleich an." , flüsterte er schmunzelnd. "Was schreibst du denn für Texte? Roman, Gedichte, oder abe- ". "Ich schreibe eigentlich von allem etwas, aber meistens Songtexte." , meine Stimme war zum Ende hin nur noch ein dünnes Hauchen. Ich habe ehrlich gesagt nicht einmal Joanna von meinen Songtexten erzählt, da sie diese natürlich sofort lesen wollen würde und ich dafür noch nicht bereit war. Im Moment fühlte sich alles so privat und persönlich an, dieser Zustand war für mich am angenehmsten, denn immer wenn Menschen meine Texte lesen, habe ich das Gefühl sie könnten mir in die Seele schauen. Deswegen verwunderte es mich umso mehr, wie so ich mich einer Person anvertraute, die ich doch kaum kannte.

Zwischen uns entstand eine geladene Stille, es war nicht unangenehm das er nichts mehr sagte, zum ersten mal fühlte ich mich in der Anwesenheit eines anderen Menschen nicht unwohl. Sein sanftes Lächeln kehrte auf sein Gesicht zurück. "Gibt es die Möglichkeit mal etwas davon zu lesen?" , diese Frage schlüpfte unschuldig über seine vollen Lippen. "Nur wenn ich mehr über dich weiß, man muss sich meine Texte erarbeiten." , erwiderte ich lachend. Mein Versuch die Stimmung etwas lustiger zu kreieren und das melancholische zu nehmen, war semi-erfolgreich. Vermutlich lag einfach unsere Anziehung wie ein Vorhang über uns, sie war nicht weg zu diskutieren.

Harry räusperte sich leise und begann dann mit seinem Teil: "Das ich Harry heiße weißt du schon. Ich habe leider nicht studiert, aber gleich mit arbeiten angefangen. Ich bin gewissermaßen auch in der Musikbranche tätig. Aber das ist nicht weiter relevant. Meine Eltern haben mich mit der besten großen Schwester beschenkt, die es gibt. Sie heißt Gemma."

"Und deine Lieblingsfarbe? Du kannst doch nicht den wichtigsten Teil vergessen!", erwähnte ich lachend. "Ich mag braun, schokobraun, so dunkel und schön wie deine Augen.", gestand er verlegen, während er von der Theke sprang und mit langen Schritten zu mir lief. Er blieb ungefähr einen halben Meter vor mir stehen und schaute zu mir runter. Nicht einmal ein "danke" brachte ich heraus. Noch nie hat ein Mann so mit mir gesprochen. Noch nie hat ein Mann mich so angesehen, als würde er mich wollen. Sich für mich interessieren und nicht nur mal schnell ein Mädel klarmachen wollen.

Langsam, wie ferngesteuert stand ich auf. Dies veranlasste ihn noch näher an mich heranzutreten. Ich hatte das Gefühl die Zeit stand still und es gibt nur noch ihn und mich. Sein regelmäßiger Atem, der einen leichten Luftzug an meiner Wange hinterließ, seine Augen die in dem schummrigen Licht ihre blassgrüne Färbung verloren und dunkel schimmerten. Leise wagte er sich den letzten Schritt in meine Richtung vor, seine große, starke Hand schloss sich sanft aber bestimmend um meinen Nacken. Dies führte nur dazu, dass ich ihm noch intensiver in die Augen sah.

Wir standen bestimmt mehrere Minuten so still aneinander gelehnt da, ohne ein Wort, nur unsere Atemgeräusche ließen unsere Anwesenheit deutlich werden. Meine Wangen waren in der Zwischenzeit tiefrosa gefärbt und vermutlich glänzten auch meine Augen verdächtig. Plötzlich schloss Harry seine Augen, sammelte sich kurz, bevor er mich dann einfach los ließ, hinter der Theke verschwand um die weiße Tüte mitzunehmen. Dann knallte er mehrere Scheine auf das Holz und verschwand durch die Tür ohne sich noch einmal nach mir umzusehen.


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Hallo!

Ich hoffe ihr seid mir nicht allzu böse über den Cut an dieser Stelle. :/ Aber es wäre ja auch zu schön wenn alles einfach und ganz und gar nicht verwirrend wäre!

Ich hoffe die Geschichte gefällt euch bis hier hin, denn es gibt noch sehr viele Geheimnisse zu lüften, also seid gespannt wie es demnächst weiter geht. Was ich schon einmal sagen kann ist, dass wir uns in dem nächsten  Kapitel erst einmal ohne den lieben Harry vergnügen müssen, aber mehr verrate ich jetzt noch nicht! :)

xxx cantstopmyheart

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