e i n s

60 4 4
                                    

Ruhelos flatterten die langen Gardinen im Wind, welcher seine langen Finger durch das offene Fenster in das graue Zimmer reckte und nach etwas fassen zu wollen schien, und ließen helle Schatten entlang der weißen Wände durch den Raum tanzen. Der Tod hatte rascher von ihrer Hülle Besitz ergriffen, als du erwartet hattest. Die mausgrauen Augen waren trüb wie klar und quollen angesichts der eingefallenen Wangen auf tüchtig absurde Weise hervor. Dennoch schimmerten noch immer Tränen in ihnen wie kleine Diamanten. Eigentlich erstaunlich, dass das Mädchen noch zum Weinen fähig war, wenn man ihre hässlichen Narben betrachtete, die sich wie eine Strichliste über ihre Arme zog, wieder und wieder übereinander. Häufig fehlte solch depressiven Menschen die Fähigkeit ihrem Schmerz durch Tränen Luft zu machen.

Vielleicht war es für dieses Ding noch zu früh gewesen.

Vielleicht hätte sie sich ihrem Lebensende gefügiger hingegeben, hättest du noch etwas gewartet.

Allerdings ... machte es nicht gerade Spaß, wenn sie sich noch wanden wie ertrinkende Fische an Land? Dieses Fünkchen verzweifelter Wut voller Hilflosigkeit. Geradezu köstlich.

Es war immer wieder aufs Neue ein Spiel mit dem Genuss. Je unglücklicher der Mensch, desto delikater das Blut, doch je mehr sie an ihrem dummen Leben hingen, desto mehr befriedigte der Sieg dieser Jagd deine Lust.

Dieses dürre Ding hier war jedoch in keinster Weise eine Jagdtrophäe gewesen. Du hattest mein psychopathisches Spiel noch nicht begonnen; sie war nicht einmal in den Genuss der Regeln gekommen. Eigentlich war der einzige Grund für ihr Ableben dein tödlicher Hunger gewesen, den du seit Monaten nicht stillen konntest und welcher dich fast umgebracht hatte, hättest du noch länger ausgeharrt. Der Duft ihres depressiven Unglückes hatte dich wie der feinste Braten einen Verhungernden angezogen und dir den Rest gegeben.

Dumpf schlug der abgemagerte Körper der jungen Studentin auf dem alten Holzboden auf, als du ihn achtlos aus deinen Klauen gleiten ließ. Kaum verflüchtigte sich der köstliche Geschmack ihres delikaten Blutes von deiner Zungen, zogen sich jene wieder in das Fleisch deiner schlanken Finger zurück, und du konntest spüren, wie sich die rote Farbe aus deinen Augen verflüchtigte, da sich dein Blick klärte und die Umrisse des Mädchens ihre flackernd pulsierende Form verlor. Allein die nadelspitzen Fänge blieben.

Erst jetzt fielen dir die Rasierklingen auf, welche wild verstreut auf dem grauen Teppich neben der Leiche lagen. Du gingst in die Hocke und hobst eine davon auf, um sie näher zu betrachten. Das Mondlicht spiegelte sich auf dem tödlichen Metall; die getrockneten Blutflecken, welche das Licht schluckten, zerstörten das perfekte Antlitz dieser unterschätzten Waffe.

Achtlos schnipptest du die Klinge auf den Bauch der jungen Studentin. Die blutigen Kratzer deiner Klauen zogen sich ohne Muster über ihre bleiche Haut. Man würde denken, dass sie sich jene Verletzungen selbst zugefügt haben könnte. Anders sah es mit den scheußliche Bissspuren an ihrer Kehle aus. Denn: man selbst vermochte es nicht, sich so etwas anzutun.

Ein wildes Tier allerdings schon.

Das Grinsen, welches sich auf deine göttlichen Lippen schlich, hätte den Teufel höchstpersönlich zu Tode geängstigt. Langsam tauchtest du deine Finger in das Blut des Mädchens, das noch immer aus ihrer Wunde suppte und begannst, lebensechten Tatzenabdrücke eines Wolfes auf den Boden zu zeichnen.

BlutsspurenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt