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Das Knarzen der alten Holzstufen machte deine sonst so lautlose Art radikal zunichte - einer der Gründe, warum du Altbauten nicht ausstehen konntest. Dementsprechend frustriert stapftest du extra laut die Stufen nach oben, bis du dann vor einer hohen, dunkelbraunen Tür zum Stehen kamst. Die Buchstaben auf dem Türschild waren geschwungen und ließen mich an Pergament, Tinte und Federn denken.


Fam. Samuelsson

Inzwischen war es zweieinhalb Wochen her, dass du bei Smilla gewesen warst und sie von dem Tod von ihrer besten Freundin Pamela erfahren hatte. Ihr hattet noch zu Abend gegessen, dann hatte die junge Frau dich gebeten, zu gehen. Mit der Begründung, dass sie jetzt gern alleine wäre.

Du hattest die Zeit sinnvoll genutzt und Unfrieden in ihrem Haus gestiftet, wenn Lehrerin auf Arbeit war und Kackbratzen unterrichtete. Das war vor anderthalb Wochen gewesen. Die letzten Tage warst du fast durchgängig in deiner Wohnung gewesen und hatte sämtliche Informationen über Smilla Samuelsson ausgegraben, die das Internet zu bieten hatte. Gestern hattest du mir dann noch zutritt zu einer Polizeistelle verschafft, indem du mit der Empfangsdame geflirtet hattest, bis ihr eingefallen war, dass du sie vor einigen Wochen gevögelt hattest. Als die brünette Schönheit sich an diese Nacht entsinnt hatte, war sie sogleich noch viel kooperativer als sonst schon geworden - anscheinenden war der Eindruck, den deine Liebhaberkünste hinterlassen hatte, mehr als nur sensationell gewesen. Sie hat dir die passenden Akten sowie die Zugangsdaten zu sämtlichen internen Informationen förmlich nachgeworfen.

Und das Beste: am Ende des Tages wusste das dumme Ding nicht einmal mehr, wem sie diese Dinge gegeben hatte. Deine Manipulationsgabe erwies sich immer wieder als furchtbar praktisch.

Du hobst die Hand, um die silbern glänzende Klingel zu betätigen, doch dann hieltest du inne. Ein Schluchzen drang aus der Wohnung zu dir hinaus. Hellhörig spitzest du die Ohren und kanalisiertest deine feinen Vampirsinne.

»Mom, nichts von dem, was sie sagen, stimmt«, weinte Smilla verzweifelt. »Ich habe keine Ahnung, wie meine Nachbarn auf so etwas kommen, ich konnte meiner Lisette niemals etwas antun.«

Am anderen Ende der Leitung hörte ich eine Frau nur verächtlich schnauben. »Kind, das Jugendamt nimmt niemanden das Kind weg, wenn es nicht eindeutige Beweise für eine Straftat hat. Solche Dinge hätte ich nicht von dir erwartet. Ich dachte, wir haben dich besser erzogen. Dein Vater und ich werden versuchen, Lisette vor einem Heim zu bewahren und bei uns aufzunehmen, aber dir wird hoffentlich klar sein, dass kein Richter der Welt dir erlauben wird, sie in nächster Zeit überhaupt zu sehen. Vielleicht ist das auch besser so.«

Die junge Lehrerin schniefte. »Mom, bitte.«

»Nein, Smilla. Ich bin sehr enttäuscht von dir. Auf Wiederhören.«

Dann war die Leitung tot. Einzig allein ihr Schluchzen erfüllt noch die leere Wohnung. Es schien so, als hätte man ihr die Tochter schon weggenommen. Das winzige Fragment deiner selbst, das noch menschliche Züge besaß, bekam ein schlechtes Gewissen, doch der überwiegende Teil von dir empfand bei ihrem Klagen tiefste Genugtuung. Bildlich maltest du dir aus, wie sie um ihr Leben flehte, wenn du ihr Herz im wahrsten Sinne des Wortes in der Hand hieltest, es mit deinen Klauen durchbohrte - nur Sekunden bevor du es ihr aus der Brust rissest. All das warme Blut, das dir wie puterrote Wandfarbe den Arm entlang rann. Das köstliche Prickeln auf deiner Zunge, wenn du jenes Blut von deiner Haut lecktest, nur im deine Fänge in ihrer sterbenden Kehle zu versenken.

Gott.

Eisern zwangst du die Bilder aus meinem Kopf. Es war noch viel zu früh für solch grandiose Fantasien.

Stattdessen hobst du wieder deine Hand und betätigtest die Türklingel. Fast gleichzeitig mit dem Gong verstummte Smillas Schluchzen und deine feinen Sinne vernahmen, wie sie sich hastig über ihr Gesicht wischte.

Als die junge Frau mir allerdings dann die Tür öffnete, wurde dir das Ausmaß meiner Tat bewusst: denn so verquollen wie ihre sonst so wunderschön ozeanblauen Augen waren, half der Zipfel ihres Ärmels nicht einmal im Ansatz, um die Misere auszubügeln. Einzig allein eine Papiertüte hätte Smillas verheultes Gesicht verborgen.

»Kol«, fragte sie überrascht, als ihr klar wurde, wer da gerade geklingelt hatte.

Du nicktest nur stumm.

Bruchteile einer Sekunde später hatte Smilla ihre zarten Arme schon um m
Deinen Brustkorb geschlungen und ihre Wange auf dein Herz gelegt und begann wieder, zu heulen. Bitterlich. Seufzend packtest du die Kleine an der Taille und hobst die wie ein Kind hoch. Während das Weinen sie schüttelnd am Kragen packte, tratest ein ein, schlossest die dunkle Tür hinter und trugst die junge Lehrerin in die Küche. Sanft setztest du sie auf der Arbeitsplatte ab, doch Smilla klammerte sich weiterhin an dich wie ein Ertrinkender auf hoher See an eine splittrige Holzplanke. Und obwohl dich ihr trostsuchender Schmerz sichtlich überforderte, genossest du das Gefühl von Vertrauen und Zuneigung, was sie mit ihrem Schutzbedürfnis signalisierte. Alte, fast noch menschliche Emotionen keimten in dir auf und mit einem Mal kamst du dir wie der Held vor, der ihr ihre Trauer nahm.

Und du konntest nicht sagen, warum dieser Gedanke deine Brust schwellen ließ.

»Ich habe Lisette nie etwas angetan«, jammerte Smilla und zog so deine Aufmerksamkeit wieder auf sich. »Sie hatten keinen Grund, mir meine Kleine wegzunehmen. Sie lügen, ich ...«

»Schhh.« Beruhigend strichst ihr über den Kopf. »Ich glaube dir.«

Als Antwort schmiegte sie sich an dich und wischte dabei eine Mischung aus Wimperntusche, Salzwasser und Rotz an deinem Shirt ab. Würde deine Libido nicht durch das Verlangen, dieses Mädchen zu beschützen, kribbelnd beben und zitternde Wellen in meine Leistengegend schicken, hättest du den Trauerbatzen schon längst mit spitzen Fingern von dir geschoben. Dein altes Ich hätte es definitiv getan. Die einzigen beiden Interaktionen, die es mit anderen Menschen kannte, war Mord oder Sex. Das eine Berauschender als das andere. Obwohl du deutlich mehr Sex hattest, als du deine Gier nach Blut stilltest. Denn auch wenn du ein Vampir warst, forderte dein Körper nur alle ein bis zwei Monate nach der vorzüglichen Essenz. Die Zeit dazwischen zerstörtest du das Leben deines nächsten Zielobjektes und vögeltest dich in den Nächten dazwischen durch die Stadt - ob mit Mann oder mit Frau war dir weitestgehend gleich, solange die Zügel dir gebührten. Du hattest das Sagen. Ohne Wenn und Aber.

Doch entgegen dieser Natur schlangst dh deine Arme fester um das Mädchen und vergrubst dein Gesicht in ihren Haaren. Alleine dieser süße Duft weckte Gefühle und Sehnsüchte in dir, die du Dekaden um Dekaden nicht mehr verspürt hattest. Augenblicklich beschleunigte dein sich Atem, unabhängig davon, wie sehr du dich dagegen sträubtest, und krallte instinktiv deine Finger in ihre Rippen. Panik keimte in dir auf wie eine zerbrechliche Eisblume, wuchs ober höher und höher, sodass selbst das Feuer deiner Wut über dich selbst sie nicht mehr kontrollieren konnte.

Denn es erinnerte dich an all die Male, in denen du Gefühle für ein Mädchen gehabt hattest und dir jedes einzelne von den Menschen weggenommen wurde.

Besonders tief hatte dich der Tod von Mirella getroffen. Das schönste von Gott geschaffene Mädchen, dass je einen in einem zärtlichen Tanze des Lebens die Erde betreten hatte. Als Hexe hatten die dummen Tölpel sie bezeichnet, und das nur aus Eifersucht, weil du es vermochtest, ihre Frauen auf solch euphorischen Wellen reiten zu lassen, dass es ihre Herzen nur noch nach die und keinem anderen Kerl verzehrte.

In der Nacht, als dein Mädchen mit den Feuerlocken und den diamantenen Berndsteinaugen zwischen schreienden Flammen auf dem Scheiterhaufen ihrem Tod entgegen sah, schworst du dir, jeden Menschen auf grausamste Weise dafür büßen zu lassen.

Aber ebenso gabst du dir selbst das Versprechen, nie wieder einen dummen Menschen so nah an dich heran zu lassen, dass er die Macht besaß, dich als solch eine Art zu quälen.

Mirella hatte dich eines Besseren belehrt.

Und Smilla hatte als die sturen Anstrengungen deinerseits zunichte gemacht, diese Regeln einzuhalten.

BlutsspurenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt