Kapitel 1

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Manchmal scheint einiges schwieriger als es in Wirklichkeit ist. Allerdings ist es manchmal aber wirklich so wie es wirkt. Die Wirkung, die manche Ereignisse auf uns haben kann überragend sein. Sie kann aber auch angsteinflößend oder gar verstörend sein. In meinem Fall ist es pure Enttäuschung. 

Ich lebe seit meiner Geburt in einem Kinderheim. Mittlerweile bin ich 17 und bin noch immer hier. Meine Betreuerin ist eine unglaublich nette Person. Allerdings wünschte ich mir manchmal ein Teil einer richtigen Familie zu sein. Zu sehen wie alle möglichen Mitbewohner adoptiert werden oder volljährig sind und ausziehen dürfen, ist echt hart. Immer wieder sehe ich Paare oder Alleinstehende hierher kommen, nur um sich Informationen über uns abzuholen. Wir sind in einem System des Staates, welches im Grunde alles mit uns machen kann. Sie können uns in Familien stecken, die uns schlecht behandeln und wir können so gut wie nichts dagegen tun. Mir ist das zum Glück noch nie passiert. Aber meiner besten Freundin Nadine. Sie wurde in einer Familie untergebracht, die sie einsetzte, um ihr Haus sauber zu halten. Einer ihrer Pflegebrüder wollte mehr von ihr als sie wollte. Er wollte mit ihr zusammen sein. Mit ihr ins Bett gehen. Und mit ihr schlafen. Das wollte sie nicht. Irgendwann hielt sie es nicht mehr aus und bat darum wieder zu uns ins Heim zu kommen. Nach einem weiteren halben Jahr kam sie endlich wieder zu uns. Jetzt lebt sie seit 2 Jahren wieder hier und wurde in keine weitere Familie gesteckt. Aber sie hatte ein wenig mehr Glück als ich. Ihre Mutter wollte den Kontakt zu ihr stärken. Meine Eltern kannten mich nicht einmal mehr. Sie hatten mich nach meiner Geburt weggegeben und ich weiß bis heute nicht warum. Ich hatte mittlerweile mit meinen leiblichen Eltern abgeschlossen und war relativ zufrieden damit, dass ich hier lebte. Ich hatte ein paar beste Freunde hier und es wurde sich um mich gekümmert. Ich hatte ein Dach über dem Kopf, bekam jeden Tag genug zu essen, bekam etwas Geld und war dabei eine Ausbildung zu machen. Also eigentlich ein ziemlich schönes Leben. Klar mussten wir alle uns an bestimmte Regeln halten, aber das musste man in einer Familie auch. 

Nadine und ich besuchen sowohl die selbe Schule als auch die selbe Klasse. Es gab für mich kaum etwas schöneres als den ganzen Tag außerhalb des Heims zu verbringen. Ich mochte es dort, aber manchmal haben wir Jugendliche oder Kinder dort, die echt unerträglich sind. Wahrscheinlich sind sie genau deswegen bei uns. In der Schule ist die Lage anders. Abgesehen von den Schülern, die meinen uns fertig machen zu müssen, weil wir keine richtige Familie haben. Aber was ist überhaupt eine richtige Familie? Ist es das, dass alle blutsverwandt sind? Setzt sich eine Familie nur dann zusammen, wenn alle offiziell verwandt sind? Ist man gleich ein Außenseiter, wenn man adoptiert wurde? Ich meine es muss nicht immer ein Verstoß sein. Es könnte natürlich auch ein Todesfall sein, was man selbstverständlich keinem wünscht. Eine echte Familie ist nicht so wie man sie oft in Filmen sieht. Sondern eine Familie ist dann echt, wenn man sich bemüht sie sich echt anfühlen zu lassen. Es ist ein Unterschied ob man bei einer Familie lebt oder ob man ein Teil davon ist. Nadine hatte bis jetzt noch nie eine Familie gefunden, die sich so echt anfühlte wie sie es sich vorgestellt hatte, aber immerhin hatte sie erste Eindrücke wie es sich nicht anfühlen sollte. 
Dem Unterricht zu folgen fiel mir leicht, auch wenn ich immer wieder das Getuschel von den hinteren Reihen hörte oder die angewiderten Blicke spürte. Mir ist klar, dass ich nicht perfekt bin, aber das ist niemand. Man kann von mir aus für eine andere Person perfekt wirken, aber bestimmt nicht für jeden. 

Als wir nach der Schule wieder beim Heim ankamen wurden wir direkt von meiner Betreuerin empfangen. "Katharina? Könnte ich mich einen Augenblick mit dir unterhalten?" "Klar." Wir gingen in ihr 'Büro', auch wenn sie es nicht mochte wenn wir es so nannten. Es war mehr ein Raum, in dem wichtige oder private Gespräche geführt wurden. Meistens ging es darum, ob eine Familie gefunden wurde, oder ob jemand Probleme mit seinem Zimmergenossen hat. Ich hatte in diesem Punkt eigentlich noch nie ein Problem, wofür ich auch sehr dankbar war. "Setz dich bitte." "Was gibt's?" Ich setzte mich auf einen Stuhl, welcher meiner Betreuerin genau gegenüber stand. Eigentlich hieß sie ja Sophia, aber es war eine Angewohnheit sie nicht bei ihrem Namen anzusprechen. Eine coole Sache war, dass wir sie duzen durften. Ich hatte gehört, dass das eine sehr unübliche Sache ist. "Also wir hatten heute einen Besuch." "Von wem?" "Von deiner leiblichen Mutter." Plötzlich schienen alle meine Gedanken weg zu sein. Mein Herzschlag verschnellerte sich und meine Hände zitterten. "Was.., wie meinst du das?" "Naja sie war hier und hat nach dir gefragt." "Und woher weißt du, dass sie es war?" "Bei uns darf kein Kind, welches noch nicht im System registriert ist, abgegeben werden, ohne das wir wissen wer es uns bringt. Als du hergebracht wurdest haben wir einige wichtige Daten über sie aufgenommen, da wir dich hier sonst nicht haben dürften." "Und es war ganz bestimmt sie?" Zu 100 Prozent." Einen Moment lang sagten wir nichts. Die Stille empfand ich eher als unangenehm. "Willst du sie einmal sehen? Sie wollte wissen wie es dir geht." "Nein. Es interessiert mich nicht." "Bist du dir sicher?" "Ja bin ich." Mein Stimme wurde ein wenig lauter. Ich stand von dem Stuhl auf und nahm meine Tasche. "Ich muss Hausaufgaben machen." "Katharina bitte." Ich reagierte nicht mehr darauf, auch wenn ich jetzt wahrscheinlich Ärger dafür bekommen würde. In diesem Moment war mir das allerdings egal. Ich brachte meine Tasche auf mein Zimmer, setzte mich zu meinem Schreibtisch und fing an meine Hausaufgaben zu erledigen. Meine Konzentration lenkte mich allerdings immer wieder zu dem Gespräch mit Sophia. Es fühlte sich unglaublich komisch an zu wissen, dass meine Mutter irgendwas von mir möchte. Schließlich hatte es sie die letzten 17 Jahre auch keine Spur interessiert. Warum dann ausgerechnet jetzt?

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