Kapitel 3

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Als Vega das Wohnzimmer betrat, war es, als würde sie in eine andere Welt gehen. Ihr stieg ein süßer Geruch in die Nase, der sie an Zuckerwatte erinnerte und ihr versicherte hier geborgen zu sein. Die sonst so dürftige Einrichtung der Wohnung wurde hier durch ein großes Sofa mit Unmengen an Kissen in den buntesten Farben ersetzt, durch einen großen Fernseher auf einem weißen Sideboard und einem Glastisch der in der anderen Ecke des großen Zimmers stand. Doch Yuna interessierte sich für einen anderen Tisch.

Der braune Schreibtisch aus robustem Holz stand im hintersten Winkel des Zimmers, fast so als wolle er sich vor neugierigen Augenpaaren verstecken. Bei Yuna war ihm das allerdings nicht geglückt. Sie hatte drei der vielen Schubladen, die der Schreibtisch barg, aufgezogen und Unterlagen herausgekramt. Allem Anschein nach, hatte sie keine Probleme damit, im Privateigentum von Fremden herumzustöbern.

Nun kamen auch ihre Eltern in den Raum. Vega übergab ihnen zwei sehr große Strickjacken, die sie im Kleiderschrank von Nalani aufgetrieben hatte, weil sie sich sicher war, dass sie so schenll nicht mehr nach Hause kamen, um sich wärmere KLamotten als die, von der Party zu holen.

Sie bedankten sich und setzen sofort eine entgeisterte Miene auf, als sie sahen wie sich Yuna gerade über eines der hunderten Blätter beugte und es aufmerksam studierte. "Yuna, leg sofort den-" wollte ihre Mutter beginnen, doch Yuna unterbrach sie und winkte sie mit einer schnellen Handbewegung heran. "Das ist... verrückt. Kommt schon, kommt her!", drängte sie, ohne den Blick vom Papier zu heben.

Verwundert von Yunas plötzlicher Aufgebrachtheit ging Vega mit ihren Eltern zu ihr und sah sich das Blatt an, was Yuna ihnen ausdruckslos überreichte.

Was sie dort sahen, war ein riesengroßes Durcheinander.

Auf dem Blatt war ein selbstgeschriebenes Cluster zu sehen. In der Mitte, großgeschrieben und hervorgehoben durch grellen Textmarker, prangten nur drei Worte: Das fünfte Jahr. Das war das einzige, was auf dem Dokument klar erkennbar war.

Von den Worten gingen unzählige Pfeile, Striche und Unterpunkte ab, die den restlichen Platz bedeckten. Unleserliche Kritzeleien waren an den Rand des Blattes geschrieben, hier und da mit Farben versehen, die zu anderen Punkten führten. Es ähnelte einem einzigen, ineinander verstricktem Spinnennetz, in dem Vega sich zu verfangen drohte, wie ein hilfloser Falter. Organisation im Untergrund, Ort --> unbekannt, innerliche Intention --> gechipt?, welche Reihenfolge? Die Worte hatten keinerlei Zusammenhang und Vega gab es schnell auf einen zu finden.

Sie sah auf und suchte in einer der Schubladen nach weiteren interessanten Blättern. Sie schob eine nach der anderen auf und fand mehr solcher Unterlagen als ihr lieb war. Lose Zettel, kleine Post-its oder sogar ganze Ordner, die sie behutsam wieder zurück an Ort und Stelle legte. Auch ihre Eltern hatten begonnen sich am Schreibtisch zu schaffen zu machen und nach Informationen zu suchen, die ihnen verrieten, was sie dort gerade auf den vielen Zetteln überhaupt lasen.

Jede Schublade, jeder Ordner, jeder Zettel war gefüllt mit Informationen, aus denen Vega nicht schlau wurde. Und trotzdem wollte sie das Gefühl nicht loslassen, dass sie dort einer Sache auf der Spur war, die ebenso allen Menschen, wie auch sie selbst etwas anging. Yuna schien es genauso zu gehen, sie suchte genauso wie Vega fieberhaft nach Zetteln, die ihr zeigten, worum die Aufzeichnungen handelten.

Willkürlich hob ihre Mutter einen Zettel auf der gerade von der großen, abgenutzten Arbeitsfläche des Schreibtischs gefallen war und sah ihn sich an. Noel schaute ihr über die Schulter und so flogen zwei Augenpaare fliehend über die niedergeschriebenen Zeilen.

Plötzlich sog Amara scharf die Luft ein und ließ ihre Töchter damit in der Bewegung erstarren. Skeptisch sah Vega zu ihrer Mutter hinüber, die sich jetzt die Hand vor den Mund hielt und mit ungläubig geweiteten Augen weiterlas. Auch Noel wirkte nervös. Er zog die Stirn kraus und raufte sich langsam die Haare. "Was habt ihr da?", fragte Yuna und wollte ihrer Mutter den Zettel abnehmen, doch Noel kam ihr zuvor.

Entflammt - gegen das SystemWo Geschichten leben. Entdecke jetzt