Vega überlegte kurz, doch nicht über ihre Antwort, sondern über die Frage. Sie kam sich vor, wie ein Arbeitstier, was auf ihre Tüchtigkeit geprüft wurde und die Frau gab sich keine Mühe, diesen Schein zu verstecken. Sie gab ihr absichtlich das Gefühl, dass Vega nur hier war, um Fragen zu beantworten, über den Rest hatte sie nicht zu bestimmen.
Diese Ohnmacht gefiel ihr zwar überhaupt nicht, trotzdem sah sie keinen triftigen Grund zu lügen also antwortete sie mit einem trägen "Nein, keine Erkrankungen." Die Frau notierte etwas in der vermutlich dafür vorgesehenen Spalte auf dem Zettel, auf dem sie auch schon ihren Namen notiert hatte.
"Nennen Sie mir jetzt bitte die Hobbys, die Sie betreiben." Die Fragen waren ziemlich einfach und harmlos, wie Vega fand. Sie hatte sich deutlich schlimmeres ausgemalt, als über ihr Leben zu erzählen. Selbst wenn es ihr absurd erschien, dass sie entführt und hier festgehalten wurde, um sich über ihre Hobbys ausfragen zu lassen. "Ich gehe ins Fitnessstudio, für Krafttraining und Ausdauer. Und ich bin Teil einer Debattiergruppe.", antwortete sie schließlich.
Ein schmales Lächeln zog sich über die Lippen der Frau, "Sie setzen also gerne ihre Meinung durch, ja? Eine starke Persönlichkeit. Würden Sie sich als durchsetzungsvermögend beschreiben?" Diese Frage kam unerwartet. Wieso interessierte diese Frau sich jetzt für ihre Charakterzüge? "Ehm... ja. Ja ich denke schon.", antwortete Vega nach ein wenig Zeit des Überlegens darüber, was diese Information der Frau brachte.
Ein kleines Kästchen wurde angekreuzt und die Frau hob den Blick wieder zu ihr.
"Sie besuchen jetzt die zehnte Klasse des Gymnasiums, Vega Melfort. Würden Sie sich als lernfähig beschreiben?"
Was hatten all diese Fragen zu ihrer Persönlichkeit hier zu suchen? Schnell antwortete sie mit einem "Ja.", und dachte, die Sache wäre damit geklärt, doch das war nicht der Fall.
"Lernfähig für komplexe Dinge? Komplexe Systeme?" "Ehm... für schwierigere Dinge brauche ich ein wenig. Es... es funktioniert nicht immer sofort."
Tadelnd zog die Frau eine Augenbraue in die Höhe, musterte sie kurz und schrieb dann einen kurzen Satz in eine weitere Spalte. Vega machte sich keine Gedanken darum, dass es etwas sein könnte, was nicht unbedingt positiv war. Ungeduldig rieb sie die Hände aneinander, sie wollte jetzt zu ihren Eltern. Sicher warteten sie hinter dieser Tür dort, sagte sie sich als sie ein wenig über ihre Schulter schielte.
"Okay", sagte die Frau und schob ihre Brille zurecht. Vega wandte sich wieder ihr zu und betrachtete sie dabei, wie noch einmal alles Notierte überflog. "Das war's." Sie klappte die Mappe zu und blickte Vega durch ihre dicken Brillengläser hindurch an. Hinter ihr hörte Vega, wie sich die Wachen in Bewegung setzten, vermutlich, um sie aus dem Raum zu geleiten.
Vega wollte sich schon mit einer erleichterten Miene erheben, da hob die Frau noch einmal ihre Hand und gebot den Wachen damit, noch einen Moment zu warten. Plötzlich schwand alle Erleichterung wieder aus Vegas Körper.
Einen Moment lang sah die Frau Vega nur an und musterte sie von oben bis unten.
"Vega. Ich duze dich jetzt einfach, ja?", sie lachte herzlos auf und Vega wurde eiskalt. "Du kannst dir bestimmt vorstellen, dass wir wissen, dass du bei Nalani warst." Sie sah sie eindringlich an und wartete auf eine Antwort, doch Vega bekam nichts über die Lippen. Die ganze Zeit lang hatte sie darauf gewartete, dass eine Frage zu Nalani gestellt wurde und war heilfroh, als sie dachte, sie könnte gehen, ohne dass es passiert war. Und nun, so kurz vor ihrem Ziel, der Tür heraus aus diesem Raum, kam die Frage, vor der sie sich die ganze Zeit so fürchtete.
Sie nickte und die Frau tat es ihr nach.
"Wir wissen alles über sie, genauso wie wir alles über dich wissen, das ist dir doch klar, oder?" Sie sprach mit ihr, wie mit einem Kleinkind, dem man alles ganz genau erklären musste und Vega kämpfte das Verlangen herunter, sich gegen diese Art, mit der sie mit ihr redete, zu wehren. Aus Trotz und aus Entsetzen darüber, dass sie alles über sie wissen wollten, antwortete sie nichts, sondern starrte ihr stur in die Augen. Das einzige, was sie jetzt noch wollte, war auf keinen Fall das Ansehen dieser Frau, sondern nur hinaus aus diesem Raum.
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Entflammt - gegen das System
Mystery / ThrillerSechzehn Jahre lang wohnte Vega mit ihrer Familie am Stadtrand einer verschlafenen Kleinstadt. Sechzehn Jahre lang hatte sie dies zumindest geglaubt. Als sich jedoch eines Morgens unzählige Menschen auf eine Reise begeben, von der keiner das Ziel be...