Spielsucht

Regel Nr. 16: Einfach mit dem Flow gehen!

Es herrscht komplette Stille im Computerraum, ehe Seungmin sich langsam nach vorne bewegt.

Hyunjin hält ihn am Handgelenk fest, doch er wird abgeschüttelt.

Todesmutig tritt Seungmin an das geöffnete Fenster und sieht nach unten, wo sein Physiklehrer verkeilt in einem Busch liegt. Die große Blutlache ist auch von hier oben eindeutig zu erkennen.

Er steht starr dort und krallt sich an der Fensterbank fest. Seine Schultern zittern und er beginnt, hastig ein- und auszuatmen. Irgendwann bekommt er seine Atmung nicht mehr unter Kontrolle und fängt an, nach Luft zu ringen, während er immer mehr zittert.

Sofort zieht Hyunjin ihn vom Fenster weg und schließt ihn wieder in eine Umarmung.

Seungmin gibt leise Schluchzer von sich - es hört sich so an als würde er an ihnen nahezu ersticken. Man hört ihm an, dass er Schmerzen beim bloßen Atmen hat. Die Art, wie er sein Herz hält, seine einsackenden Knien, seine zusammengekniffenen Augen.

Hyunjin ist überfordert mit der Panikattacke und wiegt den anderen in seinen Armen, während er ihm beruhigende Worte zuflüstert.

Indes hat Felix sein Handy hervor gezogen und wählt eine Nummer. ,,Hallo, Polizei." Er schluckt schwer. ,,Ich habe einen Unfall zu melden."

Das große Drama mit der Polizei wird auf der Stelle von der ganzen Schule bemerkt. Die Sirenen lassen einem aber auch keine andere Wahl. Die Unfallstelle wird schnell abgesperrt. Mehrere Polizisten wimmeln umher, während der Krankenwagen Jung zur Notaufnahme fährt.

Dank des Busches ist er nicht gestorben, aber wie es aussieht, wird er wohl erst einmal nicht aufwachen. Ob er überleben kann ist ohnehin unklar.

Felix, Hyunjin und Seungmin stehen unten, um sich der Befragung zu unterziehen. Bevor sie den Computerraum verlassen haben, hat Felix alle Beweise beseitigt. Keine Spur ist von dem Programm zu erkennen. Vielleicht fände es jemand, der wüsste, wonach er sucht, aber wieso sollte jemand schon ein paar Schulcomputer inspizieren?

Felix und Hyunjin geben Seungmin lediglich Unterstützung bei der Befragung, da sie sich dazu entschieden haben, dass am besten er antworten sollte.

,,Wir wollten in den Computerraum, weil mein Kumpel Felix uns etwas zeigen wollte. Er ist in der Informatik-AG engagiert. Da können Sie auch bei Herr Kwon nachfragen", berichtet er, ,,Jedenfalls stand unser Physiklehrer Herr Jung am Fenster und hat ganz abwesend hinaus gestarrt." Er schluckt schwer. ,,A-Als wir uns erkundigt haben, was los sei, ist er einfach ..." Er bricht ab und es steigen Tränen in seine Augen.

Seine Aussagen sind dadurch extrem überzeugend. Die Tränen sind nämlich echt - das wissen auch Hyunjin und Felix.

,,Vielen Dank für eure Kooperation", erwidert der Polizist und notiert sich alles.

Mittlerweile ist auch der Rektor erschienen und möchte mit dem Kommissar sprechen.

Seungmin wendet sich ab und schnieft schwer, ehe er Hilfesuchend die Arme um Hyunjins Oberkörper schlingt. Man müsste meinen, dass er Berührungsängste haben sollte, aber scheinbar ist Hyunjin noch die einzig verbleibende Person, die ihn anfassen kann, ohne dass er in völlige Panik verfällt.

,,Ihr dürft nach Hause gehen, wenn ihr möchtet", erlaubt der Rektor mit einem wahnsinnig geschockten Ausdruck auf dem Gesicht, ,,Ich ... Es tut mir so leid, dass ihr das beobachten musstet."

Felix nickt. Er geht mit seinen Freunden um das Gebäude zurück zum Schulhof. Er verlangsamt das Tempo und bleibt stehen. ,,Seungmin, wieso hast du gelogen?"

Angesprochener macht Halt und starrt vor sich hin. Dann löst er sich aus Hyunjins Armen und dreht sich zu Felix. ,,Wenn er stirbt, dann hat es eh keinen Wert, ihn anzuzeigen." Langsam gleitet sein Blick zu Boden. ,,Seine Frau, seine Kinder, seine Eltern ... Sie sollen ihn wenigstens in guter Erinnerung behalten. Und wenn er doch aufwacht, naja. Die Aufnahmen kann man ja speichern." Ein schwaches Lächeln legt sich auf seine Lippen, das jedoch nicht seine Augen erreicht.