Regel Nr. 5: Mache dir das zu eigen, was du hasst!

39 4 0
                                    

,,Felix, willst du mit uns Mittag essen?"

Angesprochener runzelt die Stirn und sieht die Mädchengruppe vor sich an. Zu wenigen Leuten kann er den Namen ordnen, zum Beispiel erkennt er die Anführerin Jihyo, Tzuyu, Chaeyon und Momo, aber ab da wird es schwammig. Die Schülerinnen besuchen zwei Stufen über ihm, daher sind sie nie sonderlich relevant für ihn gewesen.

Dabei sind sie mitunter eine der beliebtesten Mädchengruppen. Sie sind Cheerleader und nennen sich Twice. Charmante Tänzerinnen mit einem hübschen Gesicht und niedlichen Persönlichkeiten. Kein Wunder sind sie populär.

Felix ist trotzdem skeptisch. Er hat nicht damit gerechnet, dass man ihn tatsächlich fragt, ob er mit jemanden Mittag essen will.

Es ist eine Woche vergangen und er hat sich bisher immer an seine Freunde gehalten, auch wenn er bemerkt hat, dass Leute ihn viel öfters ansprechen, mit ihm Partnerarbeit im Unterricht machen oder auf sonstige Weise ihm imponieren wollen.

Ihm ist es ein Rätsel, was die Mädels nun von ihm wollen.

,,Wieso sollte ich?", fragt er daher. Es ist nicht einmal unhöflich, sondern einfach nur eine Frage.

Die Mädchen schauen sich an und fangen an, zu kichern. ,,Wir dachten, dass du mit uns über Klamotten und Schminke reden könntest", sagt Chaeyon, ,,Dein Outfit ist echt zum Sterben. Die Hose brauche ich unbedingt auch."

Verzückt deutet sie auf die gelb-schwarz-karierte Hose, die Felix heute trägt. Kombiniert mit einem weißen T-Shirt und Chucks, ist es ein schlichter, aber auch angesagter Look.

,,Ja! Ich liebe auch den Lipgloss, den du immer trägst", kommentiert Tzuyu, ,,Und uns interessiert einfach total deine Meinung, auch ..." Sie lehnt sich nach vorne. ,,Du weißt schon ... zu den Jungs hier." Sie zwinkert ihm zu.

Felixs Kopf rattert, ehe er schnallt was abgeht. Hierbei handelt es sich um die klischeehafte, aber tatsächlich existente Sorte von Mädchen, die sich einen schwulen, besten Freund wünscht.

Es hat hin und wieder Gerüchte gegeben, dass Felix vom anderen Ufer kommt, aber jetzt, wo er wohl weniger ,,nerdig" scheint, wird das erst so wirklich interessant. Ein wenig ironisch, weil man meinen müsste, dass man an dieser oberflächlichen Schule eher auf Homophobie treffe.

Felix unterdrückt ein Augenrollen und presst die Lippen zu einer schmalen Linie zusammen. ,,Sorry, ich esse immer  mit meinen Freunden zu Mittag."

,,Oh, das ist gar kein Problem! Die dürfen sich natürlich zu uns an den Tisch setzen."

Dabei darf nie eine andere Gruppe am Twice-Tisch sitzen. Fast jedes Mädchen schaut zu ihnen auf, aber es ist wahnsinnig schwer, Teil der Truppe zu werden.

,,Wären ein bisschen viele", kommentiert Felix trocken.

Sungjin kommt an der Gruppe vorbei und hebt die Hand. ,,Hey, Felix."

,,Hallo, nervige Stimme aus dem Nichts", erwidert Felix ohne zu zögern und schaut ihn nicht einmal an.

Der Ältere schüttelt den Kopf und läuft einfach weiter.

Felix hat keine Ahnung, was bei dem anderen los ist. Der versucht schon über die gesamte Woche, mit ihm zu interagieren, aber darauf hat er ja mal überhaupt keine Lust.

,,Wow, Sungjin sieht heute besonders gut aus", meint Momo, woraufhin die gesamte Twice-Truppe ein Seufzen von sich gibt.

Seit Sungjin sich so nett verhält, sehen die Leute ihn wieder mit milderen Augen an, auch wenn Felix immer wieder harsch reagiert. Es bringt scheinbar nichts und das wiederum regt ihn auf. Es kann doch nicht sein, dass er eine komplette Verwandlung durchmacht und Sungjin noch immer belächelt wird!

,,Normalerweise würde ich niemanden daten, der jünger ist, aber Sungjin ist trotzdem schon so reif", setzt ein anderes Mädchen, deren Gesicht Felix vielleicht zweimal gesehen hat, hinzu.

Er hat keine Lust mehr, hier herum zu stehen, und will sich der Gruppen-Konversation entziehen, als Momo ihn zurückhält. ,,Felix, ich beneide dich so darum, wie Sungjin dich ansieht. Ihm tut es scheinbar wirklich leid, was er getan hat."

Auch das noch. Jetzt bekommt er auch noch die Schuld dafür, dass er Sungjin nicht verzeiht? Die Leute haben doch keine Ahnung, was er am Tag X zu ihm gesagt hat. Am liebsten will er auf der Stelle explodieren. Er gibt nur einen unzufriedenen Laut von sich.

,,Also wenn du mich fragst, dann will er was von dir."

Okay, das geht ihm zu weit. Er hat das starke Bedürfnis, sich in den Mülleimer neben sich zu übergeben, obwohl er kein Problem damit hätte, auch direkt über Momos Schuhe für diesen Kommentar zu reihern.

Sungjin ist ein dummes, homophobes Stück Scheiße. Nichts und niemand kann Felix vom Gegenteil überzeugen, außer vielleicht Sungjin selbst, aber das wird nicht in eine Millionen Jahre passieren.

,,Wie auch immer, ich muss los. Vielleicht können wir ein anderes Mal zusammen essen. Ich frage meine Freunde", redet sich Felix schnell heraus, weil er keine andere Möglichkeit sieht, zu flüchten.

,,Okay, super!", flötet Jihyo ihm hinterher.

Felix setzt sich mit einem entnervten Laut neben Jisung, nachdem er sein Tablett geholt hat, und ertrinkt seinen Frust in Orangensaft.

,,Was wollte denn Twice von dir?", fragt Hyunjin sogleich neugierig.

,,Die wollten plaudern, über Klamotten und Shit." Felix beißt in sein Sandwich und kaut noch immer mies gelaunt.

,,Aber die sind doch total toll", meint Hyunjin, ,,Wieso bist du nicht hingegangen?"

,,Weil ich mit euch Mittag essen will?", erwidert Felix mit noch halbvollem Mund. Spinnt er nun komplett?

Gut, eigentlich haben Twice allgemein einen guten Ruf. Es fällt schwer, sie zu hassen, aber mit ihrer übertrieben süßen Art gehen sie Felix ein wenig auf den Keks.

,,Das wäre eine super Gelegenheit gewesen, neue Kontakte zu knüpfen", spricht Hyunjin weiter, ,,Du musst dein neues Ansehen ausnutzen."

,,Und lauter Fake-Freunde an Land ziehen?", mischt sich Woojin ein.

,,Danke!", meint Felix nun und ist froh, dass scheinbar noch nicht alle Gehirnzellen geschmorrt sind.

Seine Freunde sind seit der Veränderung echt komisch zu ihm. Nicht auf schlechte Weise, aber Felix versteht nicht, wieso sie ihn nicht einfach so behandeln wie vorher. Er hat seine Gewohnheiten und sein Aussehen verändert, aber nicht seinen Charakter.

,,Also Felix kann lassen und tun, was er will", versucht Chan, den ,,Streit" zu schlichten, ,,Solange er glücklich ist, ist alles super." Er lehnt sich nach vorne. ,,Aber Lix, wenn du neue Leute kennenlernen willst, ist das auch okay. Ich habe zum Beispiel ja auch mein Schwimmteam. Woojin hat die Chor-Leute. Wir haben alle mehrere Freundeskreise." Er beißt in seinen Apfel. ,,Auch wenn ihr natürlich meine Favoriten seid."

,,Aww, wie schön. Lasst uns doch einfach zusammen Regenbögen kotzen", murrt Seungmin und steht mit seinem Tablett auf, obwohl er erst zur Hälfte gegessen hat.

,,Was ist denn dem für eine Laus über die Leber gelaufen?", fragt Felix irritiert, als Seungmin weg ist.

,,Er hat eine Vier in seiner Facharbeit bekommen", erklärt Hyunjin.

,,Eine Vier ?! Seungmin?", entkommt es Chan geschockt. Sein Gesichtsausdruck ist lustig, weil er wie eine Mutter wirkt, die es nicht glauben kann, dass der Sohn mal eine schlechtere Note mit nach Hause bringt.

,,Unser neuer Lehrer ist der Albtraum. Total schmierig und er macht sich an alle ran. Die Mädels finden ihn dummerweise total attraktiv." Er beugt sich zum Rest seiner Freunde nach vorne. ,,Aber ich schwöre, er flirtet Seungmin an. Und der blockt ab. Deswegen bekommt er schlechte Noten ins Gesicht gedrückt."

,,Widerwärtig", entgegnet Jeongin, ,,Was stimmt nur mit manchen Lehrern nicht?"

Also wenn man Felix fragt, ist die gesamte Schule qualifiziert für die Psychiatrie, aber den Kommentar schluckt er mitsamt seinem Sandwich herunter.





,,Felix, hier herüber!", ruft Sunwoo und wedelt mit den Händen.

Felix weicht einem Gegner geschickt aus und passt den Ball hinüber, rennt aber weiter, um ihn notfalls wieder abzufangen.

Sunwoo gibt an Jisung weiter, der sich von einem Gegenspieler weg dreht, bevor er Felix den Ball wieder zuspielt.

Der nimmt an und springt hoch, bevor er den Ball im Korb versenkt.

,,Holy shit, was war das denn?!", sagt Youngjae und fängt an zu lachen, ,,Hat der Kerl Federn unter den Füßen?"

Die Mädels fangen an zu tuscheln und werfen Felix Luftküsse zu, was der jedoch absolut peinlich findet und deswegen ignoriert. Er wischt sich über die Stirn und ist froh, dass das Spiel abgepfiffen wird.

Basketball ist ein Sport, der okay, aber anstrengend ist, daher ist es ihm recht, dass die Runde nun vorbei ist.

Er atmet schwer und greift an den Saum seines T-Shirts, um sich selbst Luft zu zu fächern. So stark beteiligt er sich normalerweise nicht am Sportunterricht. Nicht, dass er davor faul gewesen ist, aber ihm sind auch nie Bälle zugespielt worden. Jetzt katapultiert er sich unfreiwillig zu den ,,Sportskanonen" seiner Klasse und das, obwohl er sich noch gar nicht so lange für physische Aktivitäten interessiert.

,,Das war's für heute! Bis nächste Woche", verkündet der Sportlehrer Choi und entlässt seine Schüler.

,,Heyhey, du wirst noch zum Eroberer der Mädchen", neckt Jisung Felix, während sie zu den Umkleiden gehen.

,,Toll, und ich dachte, ich werde für schwul gehalten", entgegnet Felix, woraufhin die beiden lachen.

Die anderen Jungs lauschen ihnen, woraufhin Suwoo sich einmischt: ,,Aber ehrlich, ist es nicht toll, wie leicht die sich beeindrucken lassen? Man muss nur ein bisschen was drauf haben und schon fliegen einem die Herzen zu."

,,Oh, ja super. Sehr erwünschenswert", erwidert Felix. Er nimmt mittlerweile kein Blatt vor den Mund. Früher hat er sich sämtliche, bittere Kommentare verkniffen, um Stress zu vermeiden, aber jetzt, wo die meisten ihn anhimmeln (was nebenbei schneller passiert ist, als gedacht), ist es ihm dermaßen egal, weil ihm niemand mehr so leicht etwas anhaben kann.

Felix hat schnell gemerkt, dass er nicht nur wie ein populärer Schüler aussieht, sondern sich auch genau wie einer verhält. Selbstsicher, manchmal etwas vorlaut und trotzdem charmant. Es fällt ihm wahnsinnig leicht, dieses Verhalten zu adaptieren, weil er es selbst jahrelang beobachtet und ertragen hat.

,,Wer hätte gedacht, dass Lee Felix mal ein Mädchenschwarm wird?", sagt Youngjae lachend und hockt sich auf die Bank, während er seine Schuhe anzieht.

,,Ach, zum Jungenschwarm wird er sicherlich auch noch", murmelt Jisung, woraufhin Felix ihn mit einem ,,War das wirklich nötig?"-Blick bedenkt.

Der Kommentar ist auch von anderen gehört worden, weswegen er sich auf einmal recht unwohl fühlt, sich vor ihnen auszuziehen. Er stopft daher seine anderen Klamotten in den Sportbeutel, wirft diesen über die Schulter und verlässt ohne weitere Worte den Raum.

Erleichtert kommt er draußen an und drückt den Rücken durch, schließt die Augen und reckt die Nase der Sonne entgegen. Durch die geschlossenen Lider merkt er allerdings dank des Schattens, dass jemand vor ihm steht, daher hebt er sie wieder an.

Überraschenderweise steht Changbin vor ihm.

Felix hat ihn die gesamte Woche gemieden. Es war schwierig, weil sie zu viele Schnittpunkte durch ihre Freunde haben. Ironisch ist nur, dass Changbin ihn jetzt hier vor der Sporthalle erwischt, ganz alleine.

,,Hey", begrüßt Changbin ihn.

,,Hallo", erwidert Felix und röntgt ihn, ,,Kann ich dir helfen?"

,,Felix, hör' auf mich wie einen Fremden zu behandeln. Wir können doch reden."

Felix stößt ihn etwas zur Seite und geht an ihm vorbei. ,,Vielleicht will ich das aber gar nicht."

Sanft greift Changbin an seine Schulter und hält ihn zurück. ,,Aber ich. Bitte." Aus bettelnden Augen sieht er den Jüngeren an. ,,Lass uns zusammen ein Stück gehen, okay?"

Felix ist extrem zwiegespalten. Einerseits will er so schnell wie möglich weg, andererseits ist er wahnsinnig neugierig, was Changbin ihm zu sagen hat.

Daher nickt er und folgt dem Älteren.

Zuerst schweigen sie und dieses Mal ist es unangenehm. Anders als sonst.

Dann fängt Changbin an, zu reden: ,,Das vor fünf Wochen tut mir leid. Ich hätte da bleiben müssen."

,,Du hast mir keine Verpflichtungen gegenüber."

,,Doch, wir sind immerhin Freunde."

Felix gibt einen verächtlichen Laut von sich. ,,Freunde? Wohl eher Bekannte. Du hast doch kaum mit mir geredet." Er beachtet den verletzten Gesichtsausdruck von Changbin erst gar nicht. Soll der sich doch mies fühlen. Immerhin hat Felix dasselbe durchgemacht, nur wahrscheinlich in schlimmer.

,,Felix, es tut mir leid", wiederholt Changbin.

,,Nein, hör' auf, dich zu entschuldigen.Der Schaden ist eh angerichtet." Was genau Felix mit ,,Schaden" meint, lässt er offen.

Nun stoppt Changbin, was auch Felix zum Stehen bringt.

Der Jüngere dreht sich zu ihm um und verschränkt die Arme. Selbst verschwitzt und mit zerzausten Haaren sieht er hinreißend aus. Die Sommersprossen strahlen mit der Sonne scheinbar um die Wette.

,,Nein, ich meine nicht das mit Sungjin", spricht Changbin weiter, ,,Obwohl mir das auch leid tut."

Nun hebt Felix die Augenbraue an. ,,Was meinst du dann?"

Changbin atmet tief durch. Er wird etwas hibbelig und spielt an der Kette um seinen Hals. Offensichtlich kostet es ihn einige Überwindung, über sein Anliegen zu sprechen. ,,Mir tut es leid, dass ich nicht eher gesagt habe, was ich empfinde", sagt er gedehnt und blickt verlegen zu Boden.

Felix weitet die Augen, während sein Herz etwas schneller klopft. Er glaubt, in einem Traum gefangen zu sein. Daher kann er die nächsten Worte kaum verarbeiten:

,,Felix, ich bin verliebt in dich."


SpielsuchtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt