Teil4

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Die Fahrt auf dem Highway verlief weitestgehend ruhig. Immer wieder sah er junge Tramper, die irgendwelche beschrifteten Schilder in die Luft hielten und auf irgendjemanden warteten, der sie mitnahm und den Sprit bezahlte. Womöglich würden sie einen am Ende noch ausrauben oder sogar aus dem eigenen Auto werfen, um dann ohne ihn weiterzufahren. Man konnte nie wissen, wie diese Menschen handelten und was sich in ihrem abgedrehten Hirn abspielte.

„Hör auf so böse über diese armen Menschen zu denken. Nicht alle, die dich um einen Gefallen bitten, sind schlecht oder wollen dir etwas Schlechtes antun.", hörte er sie leise flüstern.
„Das kann schon sein, aber es können genauso gut verrückte Serienkiller sein, die nur darauf warten, dass so gutgläubige Menschen wie du anhalten und ihnen eine Möglichkeit geben, ihr böses Wesen auszuleben."

„Ach kommt schon, Hans. Mach dich nicht lächerlich. Du kannst nicht immer so griesgrämig sein. Das warst du doch früher auch nie. Das erinnert ja schon an einen alten, verbitterten Greis."
„Tja, vielleicht bin ich ja ein alter, verbitterter Greis.", patzte er mit übertriebenem Unterton.
„Siehst du, jetzt tust du es schon wieder. Hör auf dich so schlecht zu reden. Du bist einer der nettesten Menschen, die ich je kennengelernt habe.", ermahnte sie ihn tadelnd.

„Das liegt vielleicht daran, dass ich dich kenne. Ich weiß, dass du nicht böse bist, aber diese Leute..."
„Jetzt reiß dich doch mal zusammen Hans und hör auf so einen Schwachsinn zu reden. Es ist nicht alles schlecht." Ihre Stimme wurde lauter, brach jedoch schnell wieder zusammen.
„Also ich schlage vor, den Nächsten, den wir sehen und der in unsere Richtung will, nehmen wir mit."
„Was? Nein!" Entsetzt starrte er auf die Straße. „ Das machen wir nicht. Es könnte sonst was passieren."
„Oder auch nicht. Es könnte auch ein netter Mensch sein, der einfach nur auf Hilfe wartet und sich freut, wenn ihn ein friedliches Rentnerpärchen ein Stück mitnimmt."
„Das kannst du vergessen."
„Ach ja? Das werden wir ja noch sehen."
Verunsichert konzentrierte er sich auf die Straße und tat, als hätte er ihren letzten Kommentar nicht mehr mitbekommen. Sie konnte doch nicht andauernd über alles entscheiden. Er hatte auch eine Meinung. Wieso wollte sie nie auf ihn hören? Wieso musste sie immer ihren verdammten Dickschädel durchsetzen und wieso konnte er ihr nie wirklich widersprechen?

„Wieso musst du immer alles ignorieren und nur das tun, was du für richtig hältst?", schrie er beinahe.
„Weil ich so bin, wie ich bin."
„Du ignorierst immer jeden, der dir helfen will. Ich will doch nur das Beste für dich!"
„Und du denkst, das Beste für mich ist, einfach hier, in einem Trauerspiel von Krankenhaus liegen zu bleiben und auf meinen Tod zu warten? Denkst du wirklich, dass das das Beste für mich ist?", krächzte ihre heisere Stimme durch den Raum.
„Du hast doch gehört, was die Ärzte gesagt haben. Du hast nicht mehr die Kraft dazu. Wieso kannst du das nicht verstehen? Verdammt!"; schrie er völlig außer sich. „Ich mach mir doch bloß Sorgen um dich. Um Gottes Willen, ich will doch nicht deine Träume zerstören, aber du hast es gehört. Du kannst das nicht mehr machen. Es geht nicht!" Keuchend stützte er sich an der weißen, so unschuldig wirkenden Wand ab. So hatte er noch nie mit ihr gesprochen. Er hatte sie noch nie dermaßen angeschrien. Wieso hatte er das getan?
Er spürte, wie seine Beine unter ihm nachgaben. Als hätte man mit einer Nadel in einen Ballon gestochen, fielen sie zusammen und ließen all die angestaute Luft entweichen.
Keuchend ließ er sich auf dem kalten Gummiboden nieder. Wieso konnte nicht alles so sein wie früher.
Erschöpft schaute er zu Elli rüber, die sich in ihrem Bett aufgerichtet hatte und ihn mit fassungslosem Blick anstarrte. In ihrem Blick schimmerten Tränen, die sich leise aus ihren Augen stahlen und wie ein erwachender Wasserfall ihre rosigen Wangen herunterliefen.
„Wie konnte ich dich damals lieben? Wie konnte ich damals glauben, dass du mir ans Ende der Welt folgen würdest?" Ihre Stimme zitterte, während ihre Lippen versuchten, die richtigen Worte zu formen.
„Elli. Ich...", auch seine Stimme bebte leise. Er schluckte schwer, bevor er weitersprach. „Es tut mir leid." Das war das Einzige, das ihm in diesem Moment noch einfiel. Das Einzige, das er noch zu sprechen vermochte.
„Ich weiß doch." In ihrer Stimme lag weder Hass, noch Enttäuschung. „Ich weiß doch, wie du dich fühlst. Du würdest alles ändern, wenn du nur könntest, aber es geht nicht. Jeder geht irgendwann mal. Der eine früher, der andere später, aber am Ende müssen wir alle unsere eigene Reise bestreiten, bei der uns niemand helfen kann." Es fiel ihr sichtlich schwer weiterzusprechen, ohne vollständig die Beherrschung zu verlieren.
„Ich habe doch nur Angst. Was soll ich denn tun, wenn du nicht mehr da bist?" Jetzt hatte auch er Tränen in den Augen. „Ich kann doch nicht einfach so weiterleben, wie zuvor. Ich kann mir nicht einmal mehr einen geregelten Tagesablauf ohne die vorstellen."
Ein leichtes Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus.
„Genau das wirst du tun. Du wirst weiterleben und wenn es soweit ist, wirst du zu mir zurückkehren und glaub mir, dann werde ich dich nie wieder alleine lassen. Das verspreche ich dir. Ich werde mit einem großen, bunten Blumenstrauß auf der anderen Seite warten und dir ein Willkommensständchen singen, wenn du willst."
Jetzt musste auch er lachen.
„Dann muss das aber ein gewaltig großer Blumenstrauß sein."
„Darauf kannst du wetten. Und jetzt steh gefälligst wieder auf und komm zu mir ans Bett. Wir haben eine Reise zu planen."
„Wenn du das unbedingt willst. Ich kann dich ja sowieso nicht davon abhalten."
„Sir!"
„Sir? Wieso Sir?"
„Sir! Entschuldigung."
Seine Erinnerungen verblassten plötzlich und er saß wieder in seinem kleinen, gemütlichen Auto. Das Auto, das sie sich nach der Hochzeit zugelegt hatten und das eigentlich schon vor Jahren...
„Sir? Entschuldigen sie?" Eine Männerstimme drang von draußen in das Fahrzeug herein.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Aug 19, 2020 ⏰

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