Der Abgabetermin

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Mich weckten die kühlen Regentropfen, die auf mein Gesicht prasselten. Plötzliche Wetterumstellungen waren hier zwar keine Seltenheit, jedoch überraschten sie mich jedes Mal aufs Neue. Zuerst brauchte ich einen Moment um richtig wach zu werden. Dann rappelte ich mich auf, klappte den Stuhl zusammen und brachte ihn in meine Gartenhütte. Langsam stolzierte ich zurück zu meiner Hintertür. Dass ich nass wurde störte mich keineswegs. Da heute so ein besonderer Tag war, wollte ich mir eh etwas Feines anziehen, bevor ich mich auf zum Casino machte.

Als ich meine Küche wieder betrat, warf ich einen Blick auf die Große Uhr neben meinem Kühlschrank. Es war 18:05 Uhr. Also beschloss ich, mir etwas Angemessenes (und vor allem trockenes) anzuziehen und mich auf den Weg zu machen. Mit dem Fahrrad brauchte ich bis zum Casino etwa 15 Minuten. Fahrradfahren war hier in meiner Gegend zwar etwas, was die meisten zu vermeiden versuchten, doch ich weigerte mich, mich wieder hinters Steuer zu setzten. Nach der Geschichte mit meinen Eltern und meiner Schwester, wollte ich nicht mehr auf dei Straße. Meine "Freunde" sagten, ich würde mich einfach fürchten und solle nicht so übertreiben. Doch ich würde es nicht als Furcht bezeichnen, viel mehr als Respekt. Und der Teil, den ich vielleicht übertrieb, fehlte so vielen Menschen, die sich Tag für Tag leichtsinnig und rücksichtslos in ihr Auto setzten und hunderte Menschenleben gefährdeten. Denn wenn der Verlust meiner Familie mich eines gelehrt hatte, dann, dass man im Leben die Fehler der anderen zu spüren bekommt und sie ausbaden muss. Außerdem fuhr keine U-Bahn zum Casino oder einer nahegelegenen Station und Taxifahrern traute ich von klein auf nicht über den Weg. Da blieb mir bloß das Fahrrad.

Meine nassen Sneaker ließ ich mitten im Raum stehen, dann schlenderte ich hinüber zur Treppe neben meiner Eingangstür und ging hinauf. In diesem Haus hatte ich vieles ändern müssen. Ich selber zog in das alte Zimmer meiner Eltern. Es war ein wunderschönes, zwar nicht sehr großes, aber gemütliches Holzzimmer. Eine kleine Glastür neben dem Bett führte zu einem Überdachten Balkon. Neben einer anderen Tür stand mein Kleiderschrank. Ich öffnete ihn und blickte hinein. Heute wollte ich mich schick, aber nicht auffällig kleiden. Also zog ich ein dunkelblaues Rüschenkleid von einem Bügel, hielt es mir vor die Brust und drehte mich zum Spiegel. Ich fühlte mich wohl mit dem, was ich sah und schlüpfte in das wunderschöne Kleidungsstück hinein. Dann ging ich durch die Tür neben meinem Kleiderschrank in mein Badezimmer. In diesem hatte ich kaum etwas umgestellt. Aus einem Schrank holte ich meine Bürste und kämmte mir die Haare. Anschließend wusch ich mein Gesicht und warf einen kurzen Blick in den Spiegel über dem Keramikwaschbecken. Dann verließ ich das Bad wieder, ging hinaus aus meinem Schlafzimmer, vorbei an dem alten Zimmer meiner Schwester und mir, die Treppe wieder hinunter, in mein Wohnzimmer. Wieder blickte ich nervös zur Uhr. 18:18 Uhr... Zeit sich auf den Weg zu machen. Auf dem Weg nach draußen klemmte ich mir eine schwarze Tasche unter den Arm und verstaute das Geld in ihr. Ich ging hinüber zu den alten Pferdeställen, hier stellte ich mein Fahrrad immer unter. Dann saß ich auf und fuhr meinen Hof hinunter.

Mein Hof lag direkt am Rande eines kleinen Waldstückes in Melbourne. Viele dachten, dass mein Grundstück nicht bewohnt sei und es verging selten ein Tag, an dem keine Kinder oder Touristen um mein Haus schlichen in der Hoffnung, ein verlassenes Gruselhaus gefunden zu haben. Aber andererseits legte ich keinen Wert auf die Pflege meines Gartens, also hatte ich mir das selber zu verdanken.

Mit dem Rad fuhr ich entlang der Sarno Road. Viel mehr, als der Straße zu folgen, musste ich eigentlich auch nicht tun. Hinter einem Walmart-Center bog ich rechts ab und befand mich auf einer kurzen Nebenstraße, die mich direkt zum Club52 führte. Mein Rad stellte ich neben den Eingang, da ich nicht plante lange zu bleiben. Dann betrat ich das Casino.

Einer der Sicherheitsleute nickte mir zu und ich ging direkt durch zu einem der blauen Tresen. "Mik?" rief ich, wie verrückt auf eine Klingel trommelnd. Der kleine Casinobesitzer raste aus einem Raum hinaus direkt zum Tresen. "Mik mein Freund..." lächelte ich und gab ihm einen Handschlag. "Taylor? Mensch das ist ja schon ewig her. Womit habe ich mir deinen Besuch verdient?" schmunzelte er. Dann blickte ich ihn ernst an. "Du weißt warum ich hier bin. Mik, du hast mir das bescheuerte Schreiben mit der Mahnung selber geschickt!" beschämt senkte er seinen Kopf und wurde ein wenig rot. Dass ich laut geworden war tat mir nun ein wenig leid. Der arme Kerl konnte ja nichts dafür. Er tat nur seine Pflicht. Für meine Schulden war einzig und allein ich verantwortlich. "Sorry..." murmelte ich und er schaute auf. "Ach, halb so wild...", grinste er, "ich wäre auch sauer..., wenn ich an deiner Stelle wäre." Nun schaute er mich ein wenig mitleidig an. Ich kannte kaum einen Menschen, der so schnell seine Laune ändern konnte, wie Mik. Dann sagte ich ihm, dass ich das Geld dabeihätte und legte es auf den Tresen. Seine Pupillen weiteten sich und er blickte mich ungläubig an. "Taylor..., dass du so viel Bargeld mit dir rumträgst ist aber wirklich mutig... nein nicht mutig, sondern leichtsinnig, wenn nicht sogar dumm." begann er, während er das Geld in die Kasse sortierte. "Du hast doch mitbekommen, dass in den letzten Wochen viele Raubüberfälle stattgefunden haben. und dann auch noch dieser Bankraub in der Florida Business Bank. Schrecklich. Ich sags dir, das waren bestimmt die gleichen. Also wenn du mich fragst, ist das eine organisierte Verbrecherbande, die vor Nichts Halt macht." Das schmunzeln musste ich mir ein wenig verkneifen und ich meinte nur: "Ach mik, du interpretierst da mal wieder viel zu viel hinein. Du liest zu viele Krimis... oder so. Ich mache mir da auf jeden Fall keine Sorgen. Und du solltest auch ein wenig runterkommen." Er rollte nur kurz die Augen und legte den letzten Schein in die Kasse. "So Taylor, damit sind alle deine Schulden beglichen. Freut mich, dass es keine Schwierigkeiten gab." Noch einmal gab ich ihm einen Handschlag und verließ das Gebäude.

Auf einmal fühlte ich mich so leicht. Nichts belastete mich mehr und ich fühlte mich, wie in einem Rauschzustand. Was sollte ich nun mit dem Rest meines Abends anfangen? Erstmal sollte ich nachhause fahren. Und genau das tat ich. Auf dem Weg lachte ich. Außenstehende hielten mich bestimmt für verrückt. Aber das störte mich nicht. Ich lachte laut los und nahm die Hände vom Fahrradlenker. Immer wieder ging es mir durch den Kopf. Ich hatte eine Horde Polizisten an der Nase herumgeführt, hatte einen Haufen Geld und war obendrauf noch Gesprächs Thema der Stadt. Und keiner würde jemals erfahren, dass ich, die unscheinbare und komische Taylor Rivers, hinter all dem steckte.

Zuhause angekommen war ich so glücklich, dass es mir selber schon beinahe unheimlich erschien. Nachdem ich mein Fahrrad abgestellt hatte betrat ich mein Haus und setzte einen Tee auf. Dann griff ich zum Telefon um im Heim anzurufen. Mit Lucys Betreuerin vereinbarte ich, dass ich den morgigen Mittag mit Lucy verbringen könnte. Um 10 Uhr würde ich sie abholen und erst einmal brunchen gehen. Dann nahm ich mir ein Buch, holte meinen Tee vom Herd und setzte mich zufrieden auf mein Sofa...

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⏰ Letzte Aktualisierung: Aug 04, 2020 ⏰

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