KAPITEL I | Unterwelt

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Die Luft war stickig und drückend und es war so dunkel, dass er kaum seine Hand vor Augen erkennen konnte. Unter seinen Händen spürte er die harte und raue Textur von Stein. Der Schacht war so eng, dass er kriechen musste, um durch ihn hindurch zu gelangen. Es war ein Wunder, dass er bei all der Enge nicht völlig durchdrehte, aber er war an diese Umstände gewöhnt.

Bald gelangte er an das Ende des Schachtes, es war von einem Gitter verschlossen. Die einzelnen Stäbe bildeten viele Vierecke – sie waren klein, so klein, dass er mit seiner Hand nicht hindurchgreifen konnte. Aber er war dafür bekannt, trotzdem einen Weg zu finden. Den fand er immer.

An seinem Gürtel hing eine kleine Zange mit einem Bändchen am Griff. Das Band stülpte er über sein Handgelenk und dann schob er die Zange geschickt durch eines der Vierecke. Früher hatte er das Werkzeug öfter einmal fallen lassen, doch er hatte dazugelernt – das Band würde die Zange auffangen, ehe sie auf der anderen Seite des Gitters den Boden berührte.

Dann packte er mit der Zange eine der vier Schrauben, die das Gitter an jeder Ecke befestigten. Es war Kleinstarbeit die Schrauben herauszudrehen, aber mittlerweile war er geübt in dem, was er tat und so machte er kurzen Prozess mit den Befestigungen.

Danach benötigte er nur wenig Kraft, um das Gitter aus seiner Befestigung zu drücken und es lautlos vor sich auf den Boden zu legen, ehe er aus dem Schacht herauskletterte. Für sein Vorhaben hatte er einen Schacht nahe am Boden gewählt. Diese kleinen Tunnel wurden überall durch den Berg gegraben und verbanden die einzelnen Bezirke miteinander. Ihre Aufgabe war es, die unterirdischen Bezirke zu belüften. Durch sie drang die Luft aus der Oberwelt an die Unterwelt und rettete die Bewohner davor, hier unten in den riesigen Höhlenstädten zu ersticken. Und er kannte sie alle, jeden einzelnen, verdammten Schacht und wo er hinführte.

Er musste sich nur einen halben Meter aus dem Lüftungsschacht fallen lassen, dann kam er am ebenso steinigen Boden des Bezirks Taurus an und rappelte sich augenblicklich wieder auf. Der Schacht hatte ihn in eine der hintersten Ecken des Bezirks geführt. Natürlich hätte er auch den offiziellen Weg nehmen können, es war immerhin nicht verboten zwischen den einzelnen Bezirken hin und her zu reisen, jedoch hatten Wächter an jedem Aus- und Eingang Posten bezogen und dokumentierten jede Person, die den Bezirk betrat.

Wenn man mit vielen Menschen unter der Erde lebte und sich vor der tödlichen Außenwelt versteckte, dann mussten hohe Sicherheitsstandards herrschen, um das Überleben garantieren zu können.

Aber ihn hinderte das nicht im Geringsten. Er war schon hunderte Male davongekommen. Nie wurde er erwischt. Nie hatte ihn jemand dabei erwischt, wie er in eines der Häuser aus purem Stein eingestiegen war, dessen Fensterscheiben uneben und milchig waren. Manchmal hatten ihn vereinzelte Bürger flüchtig gesehen, aber er trug ein schwarzes Tuch über seiner Nase, welches seine untere Gesichtshälfte verdeckte und braune Haare waren nicht gerade selten. Niemand hatte ihn bislang identifizieren können.

Auch dieses Mal brach der Dieb unbemerkt in ein Haus ein. Er stahl alles, was ihm in die Quere kam. Da war Geld, es waren nur ein paar Dimen, aber er gab sich mit allem zufrieden, was sein schlechtes Gehalt etwas aufstockte. Dann ließ er noch Schmuck mitgehen und stopfte alles in seinen kleinen Rucksack.

Er war wieder weg, so schnell wie er gekommen war und verschwand in der Dunkelheit des Schachtes – dieses Mal konnte er sich sogar die Zeit nehmen, den Schacht hinter sich wieder zu verschließen, um seine Spuren zu verwischen.

Als er sich gerade kriechend auf den Rückweg machte, konnte er hinter sich von den Wänden leicht gedämpft die Glocke hören. Sie schlug jeden Morgen, Mittag und Abend, damit die Bewohner auch unter der Erde nicht das Zeitgefühl verloren. Jetzt gerade sagte sie dem jungen Mann mit drei lauten Schlägen an, dass er früh genug zu Hause eintreffen würde, sodass er noch genügend Schlaf bekam, ehe er am nächsten Morgen aufstehen müsste.

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