KAPITEL VI | Das Land der Drachen

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Jelger führte ihn zum Lagereingang. Es war nur ein winzig kleiner Durchgang zwischen den spitzen Holzpfosten, die Ekliptik umschlossen. Auf der Lichtung davor warteten bereits Skalli und der Wächter Piet, den Niek flüchtig bereits kennengelernt hatte. Sicherlich hätte er auf ihrem Weg zum See genau dieselbe Aufgabe, wie auf der Rettungspatrouille zuvor – er würde sich in einen Flugdrachen verwandeln und die Lage von oben überwachen.

Skalli selbst war mit einem Rucksack ausgestattet und daran hatte er ein ganzes Bündel Seil gebunden, an seinem Gürtel hing ein Schwert.

„Nettes Outfit", begrüßte Skalli ihn.

Niek versuchte angesichts seiner nervenaufreißenden Lage zu lächeln. „Also", machte er langgezogen. „Wie kommen wir zum See?"

„Rahemaker wird uns bringen", antwortete Skalli und deutete dabei mit seinen Klauennägeln auf Jelger. „Keniston wird dabei Ausschau halten und uns über mögliche Hindernisse aufklären." Dabei deutete er auf Piet.

Er war nur geringfügig kleiner als Niek selbst und hatte stechend blaue, leicht gewellte Haare, die sich von all dem Grün des Waldes abhoben. Seine durch und durch schwarzen Augen waren unmöglich zu lesen. Sie erinnerten Niek an die Knopfaugen von Ratten, denen er in den Schächten der Stadt ab und zu mal über den Weg gelaufen war – unheimlich. Man konnte nicht einmal sagen, wohin er schaute. Guckte er gerade Niek an oder spähte er herüber in den Wald?

„Über unser genaueres Vorgehen am See, kläre ich dich auf dem Weg auf", fuhr Skalli fort.

„Wie lange brauchen wir denn?", fragte Niek.

Der General warf Jelger einen nachdenklichen Blick zu, woraufhin dieser nur mit seinen Schultern zuckte. „Kommt drauf an, wie gut wir durchkommen", beschloss Skalli schließlich. „Rahemaker, mach dich bereit", befahl er danach.

Jelger setzte sich sofort in Bewegung und stellte sich in die Mitte der Lichtung, die vor dem Lager entstanden war. Anhand der ganzen Baumstümpfe, die über die Wiese verteilt waren, konnte Niek sich gut vorstellen, dass sich dort früher auch dichter Wald befunden hat. Vermutlich wurde er abgeholzt, um daraus den Zaun des Lagers und die Stützbalken der Bauten zu gewinnen.

Jelger streckte sich noch einmal, so als würde er sich auf ein bevorstehendes Wettrennen vorbereiten. An seinem Schlüsselbein konnte Niek eine helle Narbe prangen sehen, dann verformten sich seine Gliedmaßen plötzlich unnatürlich. Die Verwandlung fand wie bei Femke statt. Sein Rücken bog sich, all seine Knochen schienen zu brechen und es war, als würde etwas seinen Körper in alle Richtungen hinstrecken. Niek erkannte Schuppen, Krallen und Härchen. Dann stand plötzlich ein riesiger Drache vor ihm.

Das Geschöpft stand auf zwei muskulösen Beinen und hatte kurze Vorderarme. Es besaß einen langen Schwanz und massive Kiefer mit glühenden orangenen Augen, die denen von Jelger verdächtig ähnelten. Die Schuppen auf seinem Kopf waren rot und orange und auf seinem Rücken erstreckte sich ein Kamm von borstigen Protofedern, die erbebten, als der Drache ein grummelndes Geräusch von sich gab. Das Knurren war tief und ließ Nieks Körper erbeben.

Der Wald verstummte mit einem Mal vor Ehrfurcht – kein Vogelgezwitscher oder Rascheln von Nagetieren in den Büschen war mehr zu vernehmen. 

„Was ist das für ein Drache?", fragte Niek respektvoll, während er seinen Kopf in den Nacken nahm, um das Maul der Bestie weiterhin im Blick zu behalten. Dieses riesige Maul mit den messerscharfen Zähnen.

„Wir nennen es Tyrann. Es ist ein Karnivore."

„Das sehe ich", zischte Niek. „Wie soll er uns in dieser Form helfen? Er wird doch nur die Feinde anlocken mit seinem Lärm."

Dragontale - Etappe IWo Geschichten leben. Entdecke jetzt