Shit goes down

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Das Buch in meiner Hand zitterte und machte es mir noch schwerer der eh schon komplizierten Handlung zu folgen. Bei dem kleinsten Geräusch sprang ich vom Bett auf und rannte zum Türspion, in der Hoffnung und Angst die fragliche Person zu sehen. Jedes Mal war es ein Fehlalarm und das Geräusch kam vermutlich vom Parkplatz oder aus dem Restaurant. Ich gab auf und legte das Buch neben mich. Wahrscheinlich war es besser, meine Sachen gepackt zu halten sodass ich, wenn es drauf ankam, verschwinden konnte. Ein wenig tat mir der arme Kerl schon leid. Ich hatte nichts gegen ihn, schließlich kannte ich ihn gar nicht. Wie würde ich damit leben, wenn ich es getan hatte? Würde ich ein anderer sein? Normalerweise bildete ich mir immer ein unerschütterlich zu sein, aber sowas kann doch nicht spurlos an einem vorübergehen. Hoffentlich würde ich es einfach verdrängen können und mein Leben weiterleben. Erstmal würde ich einen Urlaub buchen, auf die Malediven oder so. Mit dem Geld was übrig bleiben würde könnte ich mir das bestimmt leisten. Erneut hörte ich Schritte auf dem Gang und stolperte, wie die letzten Male, zum Türspion. Diesmal war es da. Das Gesicht, welches ich bis zu diesem Augenblick nur von einem Foto kannte. Der Moment, um den meine Gedanken nun schon seit Wochen kreisten, war gekommen. Mit teilnahmsloser Ruhe beobachtete ich wie der Mann das Zimmer mit der Nummer sieben aufschloss, einen kleinen dunkelblauen Trolley hineinschob und hinter sich die Zimmertür schloss. Ich trat einige Schritte von der Tür zurück und blickte durch den Raum. Das Buch war wieder in der Tasche – auch wenn ich es eigentlich hierlassen könnte, weiterlesen würde ich es nicht – das Geld war ebenfalls eingepackt. Die geladene Waffe lag auf dem Bett daneben, ich würde sie mitnehmen und später entsorgen. Den Koffer konnte ich im Hotel zurücklassen, die gab es wie Sand am Meer und da er mir nicht gehörte würde man ihn auch nicht zu mir zurückverfolgen können. Ich steckte den Revolver vorne in den Hosenbund, den Aktenkoffer schob ich wieder unter das Bett. Dort war er, dem staubigen Boden nach zu urteilen, vorher auch nicht aufgefallen. Ich setzte den Rucksack auf und fühlte mich so unsicher wie ein Schulkind, das seinen ersten Schultag vor sich hatte. Dann nahm ich einen letzten Atemzug und überprüfte noch einmal ob ich etwas in dem Zimmer vergessen hatte. Es war genauso leer und beige wie vorher und auf den ersten Blick hatte ich keine Spuren hinterlassen. Das würde mir fürs Erste genügen müssen. Ich verließ das Zimmer und ging die Schritte zur Tür von Zimmer sieben. Ein Stoßgebet verließ meine Lippen und ich klopfte dreimal an der dünnen Tür. Ein leises Hallo? tönte aus dem Zimmer. Hallo, hier ist Leslie vom Reinigungsteam. Dürfte ich kurz reinkommen? Sicher, einen Moment. Ich konnte Schritte hinter der Tür hören und Sekunden später wurde die Tür geöffnet. Schnell schob ich einen Fuß in den Spalt, der sich vor mir geöffnet hatte. Er war etwa so groß wie meine Chance, dass diese ganze Operation funktionieren würde. Ein Gesicht schaute hinter dem Spalt hervor, der Mann dessen Foto ich mir eingeprägt hatte sah mich fragend an und wollte offenbar wissen, was Leslie vom Reinigungspersonal brauchen könnte. Aber bevor er diese Frage stellen konnte, hatte ich bereits meinen Körper gegen die Tür geworfen und diese aufgestoßen. Der Fremde stolperte ein paar Schritte zurück und fiel mit dem Rücken auf das Bett. Was zum? Was machen Sie hier? Wer sind Sie? mit weit aufgerissenen Augen öffnete er den Mund, vermutlich wollte er um Hilfe rufen. Panik überkam mich, denn ich hatte mir nicht genau überlegt was ich tun würde, wenn ich das Zimmer einmal betreten hatte. Reflexartig nahm ich eines der Kissen und drückte es auf sein Gesicht, gleichzeitig setzte ich mich mit meinem ganzen Körpergewicht auf seine Beine, um ihn am Aufstehen zu hindern und auf dem Bett zu halten. Seine Schreie wurden gedämpft und mir kam die Idee das Kissen als Schalldämpfer für den Revolver zu verwenden. In dem Moment erschien es mir genial. Nachdem der Schuss durch das Kissen, das ungefähr lauteste Geräusch war, welches ich jemals gehört hatte, war ich mir da nicht mehr so sicher.

Ohne einen Blick zurückzuwerfen, rannte ich aus dem Zimmer den Flur entlang und nahm die Treppe zur Rezeption mit zwei Stufen auf einmal. Während ich die Rezeption in wenigen Schritten durchquerte und die Tür zum Parkplatz aufstieß, glaubte ich die Empfangsdame hinter mir zu hören, wie sie gerade noch rufen konnte: Haben Sie den Knall gerade gehört? Klingt als sei jemand den Rest des Satzes hörte ich nicht mehr, ich war schon an meinem BMW. Mit einer Bewegung riss ich die Autotür auf, warf den Rucksack auf den Beifahrersitz und setzte mich hinter das Lenkrad. Wie in meiner Vorstellung zuvor verließ ich den Parkplatz mit 180 km/h, allerdings hatte ich den Mord begangen und war nicht vorher geflohen. Ich achtete nicht auf die Straße, sondern hoffte nur die Spur zu halten. Zu dieser Zeit waren kaum noch Leute unterwegs und die meiste Zeit war meine Richtung frei. Ein Fenster war zwar geöffnet, trotzdem half das nicht mit der Übelkeit und der Fahrtwind brachte meine Augen zum Tränen. Mittlerweile hatte es begonnen stark zu regnen und der Innenraum meines Autos wurde nass, was mir in diesem Augenblick allerdings nicht auffiel. Auf halber Strecke zu meiner Wohnung kam eine Ausfahrt zu einem Wald neben einer Ansammlung von Häusern, die man mit vielleicht als Dorf bezeichnen könnte. Diese Ausfahrt fuhr ich lang, in der Hoffnung den Revolver und die Patronen in der Sicherheit des Nirgendwos entsorgen zu können. An der Straßenseite hielt ich an und fand im Handschuhfach ein Brillenputztuch, was ich benutzte, um die Fingerabdrücke von der Waffe zu wischen. Mit der Waffe in der Hand, eingewickelt in dem Tuch, stieg ich aus und lief in den Wald. Ein Flusslauf führte durch die Bäume, gerade groß genug, sodass er Strömung erzeugte und den Revolver und die Munition mit sich riss. Die warme Feuchtigkeit, die vom Bach aufstieg, drückte mir zusammen mit dem Regen auf die Lungen und erschwerte mir das Atmen. Ich fühlte mich als würde ich ersticken. Während sich meine Kleidung mit Wasser vollsog schossen tausend Gedanken durch meinen Kopf. Das Kissen hatte sicher Spuren von mir an sich, aber ich war nicht in der Polizeidatenbank und der Name, den ich an der Rezeption angegeben hatte, war falsch. Ich hatte bar bezahlt und nichts bis auf den Aktenkoffer zurückgelassen, der mir sowieso nicht gehört hatte. Zurück im Auto war ich vollkommen ruhig. Die Panik und Verzweiflung, hatte ich gemeinsam mit den Beweisen im Wald gelassen und weggespült. Anscheinend konnte ich den Abend doch noch verarbeiten, ohne vollkommen durchzudrehen. Wie in Trance steuerte ich zurück auf die Autobahn in Richtung meiner Wohnung.

Fremdes OpferWo Geschichten leben. Entdecke jetzt