"Noch nicht gucken!" Seine Stimme schien sich vor Freude fast zu überschlagen und es kostete sie einiges an Willenskraft, seiner Bitte nachzukommen. Langsam schob er sie weiter hinaus auf das Dach, den Turm oder wo auch immer sie gerade waren. Der Wind verfing sich in ihren Haaren und sie konnte spüren, wie ihr Herz mit jedem Schritt anfing, in ihrer Brust schneller auf und ab zu hüpfen.
"Wie lang willst du mich denn jetzt noch warten lassen?", quengelte sie und wippte ungeduldig von einem Fuß auf den anderen.
"Einen Moment musst du dich schon noch gedulden, Honey." Sie fühlte ihn hinter sich, seine Hände auf ihrer Taille. Er zog sie zu sich und sie wurde sich seiner Nähe mit einem Mal schlagartig bewusst. Den ganzen Abend, die ganze Nacht schon hatten sie so eng umschlungen dagesessen, getanzt oder waren durch die Straßen gewandert. Doch jetzt, wie sie hier oben stand, irgendwo im nirgendwo und mit geschlossenen Augen, fühlte sie jede seiner Bewegungen. Seine Finger, die sich leicht an ihre Hüfte klammerten; Sein Oberschenkel, der sanft ihr Bein berührte; Seine Brust, so stark und sicher in ihrem Rücken; Sein Atem in ihrem Nacken, an ihrem Ohr, als er seinen Kopf gegen ihren legte.
Jede dieser Berührungen jagte tausende kleine Stromstöße durch ihren Körper. Ihre Atmung wurde unregelmäßig, ihre Hände bebten. Sie spürte, wie ihr das Blut in den Kopf stieg und in ihrer Brust ein leises Gefühl heranwuchs, sich ausbreitete und immer stärker wurde, bis sie ihr Verlangen beinah um den Verstand brachte. Sie hatte es noch nie erlebt, nie nach so kurzer Zeit, nie so intensiv.
Alles was sie wollte, war, sich umzudrehen, die Augen zu öffnen und in seine zu blicken. Diese dunklen, wunderschönen Augen. Sie wollte sehen, wie sich seine Mundwinkel zu diesem unglaublich charmanten Lächeln anhoben. Sie wollte hören, wie er ihren Namen flüsterte, bevor sie ihm die Arme um den Hals schlingen würde. "Tom", würde sie flüstern, "das war die wunderbarste Nacht in meinem ganzen Leben." Und dann würde sie ihn küssen. So, wie sie ihn schon die ganze Zeit hatte küssen wollen. Sie würde ihn nie mehr loslassen und einfach hoffen, dass er es genauso tun würde. Sie war so glücklich. So unbeschreiblich glücklich und sie wollte, konnte sich einfach nicht vorstellen, dass all das bei Anbruch des Tages mit einem Mal vorbei sein sollte. Als wäre nie etwas geschehen.
"Okay", hörte sie ihn flüstern, "es ist so weit. Du kannst die Augen aufmachen."
Blinzelnd hob sie ihre Augenlider. Ihre Augen hatten sich noch nicht einmal ganz an die Lichtverhältnisse gewöhnt, als ihr schon der Atem stockte. Mehrere Meter unter ihr lag London, dunkel und noch immer schlafend. Sie sah die Themse sich durch die Stadt schlängeln, den Buckingham Palace, vor dem sie eben noch gestanden hatten, den Park, in dem sie gelegen und den Lichtern zugesehen hatten. In weiter Ferne konnte sie sogar den Camden Market erahnen, mit seinen vielen Lichtern und all den ausgelassenen Menschen. Vor ihrem Auge spielten sich die einzelnen Szenen noch einmal ab. Sie hatte in dieser einen Nacht mehr von London gesehen, als in der gesamten Zeit, die sie jetzt schon hier war, hatte mehr erlebt, als sie sich je zu träumen gewagt hatte. Ihr war klar: Diese Nacht würde sie nie wieder vergessen.
Und gerade, als sie das dachte und ihr die erste, einzelne Träne der Überwältigung über die Wange lief, ging am Horizont die Sonne auf.
Der Himmel war eine Flut von Farben, rosa, lila, orange, gelb und rot. Es sah fast aus, als würden sie mit einander Kämpfen, im Wettstreit darum, wer am meisten schimmerte und die vielfältigsten Nuancen aufzuweisen hatte. Und direkt in der Mitte, die blendende Sonne, die sich, langsam aber unaufhaltsam, empor bewegte.
Sie drehte sich in Toms Armen, wollte nicht mehr warten. Und was gab es schon für einen besseren Moment als diesen? Sie sah in seine Augen. Er musterte ihr Gesicht, fuhr mit den Augen von ihren Lippen, über die Wangen und den Kiefer, bis er wieder bei ihren Augen stehen blieb. Sie legte die Arme um seinen Hals und sein Griff verstärkte sich. Er musste den Wunsch in ihren Augen gesehen haben, oder er wollte es einfach genau so sehr wie sie, denn er neigte ihr den Kopf zu.
Sie schloss flatternd ihre Augen, spürte seinen Atem und dann seine Lippen auf ihren. Sie waren weich, sanft, fast schon zurückhaltend, doch als sie ihre Hände in seinen Haaren vergrub und den Kuss intensivierte, wurde er leidenschaftlicher.
Viel zu schnell löste er sich wieder von ihr und lehnte seine Stirn an ihre. Sie sahen sich in die Augen, beide sprachlos. Sie merkte, dass er schwerer atmete und ihr ging es genauso. Sie lächelte und auch er konnte nicht widerstehen. Ihre Hände glitten von seinen Haaren zu seiner Brust und er hob seine Stirn von ihrer, sah wieder in den Sonnenaufgang. Auch sie wandte, den Kopf an seine Halsbeugte gelehnt, ihre Augen wieder dem Farbspiel am Himmel zu; Beobachtete wie die ersten Dächer anfingen zu glitzern, wie sich das Licht in den Fensterscheiben der Wolkenkratzer spiegelte.
“Guck mal.“ Er hob den Arm und deutete auf eine Ecke der Stadt “Da ist Kingston.“
Sie schmiegte sich an ihn “Da muss ich unbedingt mal hin.“ Seine Hand streichelte über ihren Rücken
„Ich hab so das Gefühl, das wird schneller passieren, als du denkst.“ Sie spürte ihn lächeln.
“Ich hasse es das sagen zu müssen, aber wir müssen langsam mal gehen.“ Bedauern lag in seiner Stimme. Es war dieser Satz, vor dem sie sich gefürchtet hatte. Und jetzt hatte er ihn ausgesprochen.
In ihr zog sich etwas zusammen. Sie wollte nicht nach Hause. Wollte nicht zurück in ihr kleines Appartement über der Pizzeria, in dem es rund um die Uhr nach künstlichem Käse und alter Wurst roch. Wollte nicht wieder in die dunkelblaue Uniform schlüpfen und sich hinter den Tresen stellen, um sich herum nur lauter alte Typen, die sie begafften. Sie wollte nicht zurück in diese Welt, in der sich alles darum drehte, ob sie die nächste Miete noch bezahlen konnten und sich trotzdem von mehr als Käse, Brot und Wasser ernähren konnten. In der sie jeden Abend in den Spiegel schaute und die Stimme ihres Vaters hörte. "Kind, ich habe dir gesagt: Lern etwas anständiges! Aber du kannst ja mal wieder nicht hören. Und jetzt sieh nur, wo du gelandet bist! Erbärmlich!" Oder die, ihrer Schwester: "Eine Schande bist du, Lissy, ganz ehrlich! Dass du keine Freunde hast, ist irgendwie klar. Außer langweilig sein und alles verbocken kannst du ja doch nichts!"
"Lissy?" Seine Stimme war tief und klang beunruhigt. Perplex sah sie auf, doch Tränen verklärten ihr die Sicht. Warm und sanft legten sich seine Hände an ihre Wangen, seine Daumen wischten ihr die Tränen von der Haut. Er sagte nichts, sah sie einfach nur an, hielt sie fest, während sie versuchte, die Tränen zurückzuhalten.
"Tut mir leid", stammelte sie nervös und versuchte sich seinen Händen zu entziehen. Sie fühlte sich mit einem Mal unwohl, das Pochen in ihrer Brust war ihr unheimlich und sie hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. "Ich... wollte nicht..." Sie stolperte zurück, schlug sich die Hände vor die Augen. Die Tränen flossen ihr nun unaufhaltsam über die Wange, ein Schluchzen drang durch ihre Kehle empor nach draußen, hallte in ihren Ohren wider.
Tom sah sie entsetzt an. Wahrscheinlich war sie ihm peinlich, er bereute sicher schon, sie mitgenommen zu haben.
"Lissy, was ist los?" Seine Stimme klang so warm, so zart. Und doch so weit entfernt. Unerreichbar für sie. Wer stand schon auf eine unqualifizierte Barkeeperin, die ihr eigenes Leben nicht auf die Reihe bekam?
"Achtung!", rief er noch entsetzt. Sie sah auf, in sein verzerrtes Gesicht. Dann setzte ihr Herz einen Schlag aus, als ihr Fuß ins Freie trat.
DU LIEST GERADE
A Night In London | Tom Holland ff
Fanfic"Was ist jetzt, bekomme ich deine Nummer?" Er hatte nun wieder ein verschmitztes Grinsen im Gesicht und sie hätte absolut Nichts dagegen gehabt, ihm ihre Nummer zu geben, aber das wäre doch ein bisschen zu leicht, oder nicht? "Also wirklich was dafü...