Kapitel 5

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Innerlich schäumte ich noch immer vor Wut, als ich um 18 Uhr die Tür meines Büros endgültig schloss. Nachdem sich John, der Gerätewart, freiwillig dazu bereiterklärt hatte, Brodie ins nächstgelegene Krankenhaus zu fahren, hatte Jari Korhonen sein Training knallhart weiter durchgezogen. Was zur Folge hatte, dass nach dem Training mehrere Spieler über Krämpfe in den Beinen, Schmerzen im Rumpf oder Blockaden in den Schultern klagten. Natürlich kümmerte ich mich um sie, obwohl ich eigentlich lieber nach Hause gefahren wäre und meinen Frust an einer großen Packung Ben & Jerry's ausgelassen hätte. Doch ich riss mich zusammen, versuchte mich professionell zu geben. Schließlich wollte ich nicht als hysterische Zicke abgestempelt werden, weil ich zu empfindlich auf einen sexistischen Kommentar reagierte. Dennoch, so sehr ich auch Versuchte, Brodies Worte in den hintersten Winkel meines Gehirns zu verbannen, ging mir seine blöde Bemerkung nicht aus dem Kopf. Viel mehr schwirrte sie pausenlos durch meine Gedanken, ohne eine Möglichkeit, das Gedankenkarussell abzustellen. Ich verstand nicht, wieso der Spruch mich überhaupt so sehr beschäftigte. Es lag bestimmt nicht daran, dass ich gekränkt war, weil er meine Brüste zu klein fand. Ganz im Gegenteil, ich war mit meiner sportlichen Figur wirklich zufrieden. Ich hatte viel mehr daran zu knabbern, dass er meinen Fähigkeiten als Physiotherapeutin nicht traute und mich nicht ernst nahm, genau weil ich Brüste hatte. Weil ich eine Frau war.
Geräuschvoll zog ich die Tür meines Büros zu, schloss ab und stapfte wütend zum Ausgang, hielt jedoch abrupt inne, als eine kleine, rundliche Frau hastig auf mich zu stöckelte. Ihr von grauen Strähnen durchzogenes Haar hatte sich schon teilweise aus dem ordentlichen Dutt gelöst und umspielte ihr rundes Gesicht. „Gut, dass ich Sie noch erreiche, Mrs. Hughes! Mr. Weaver möchte Sie unverzüglich in seinem Büro sprechen.", flötete sie leicht atemlos. „Warum?" „Das weiß ich nicht. Ich bin nur Mr. Weavers Sekretärin. Ich sollte Ihnen bloß Bescheid geben.", rief sie mir fröhlich zu, als sie bereits eilig an mir vorbei stöckelte. Ehe ich überhaupt begriff, dass ich unverzüglich zum Teammanager geordert wurde, war sie auch schon um die nächste Ecke verschwunden und nur der Duft ihres widerlich blumigen Parfüms hing noch in der Luft.

Nervös wischte ich mir meine schweißnassen Hände an meiner Jeans ab, ehe ich all meinen Mut zusammenkratzte und die Hand hob, um an die verschlossene Tür zu klopfen. Mein Blick huschte ein letztes Mal zu dem noblen Namensschild rechts neben der Tür. Mr. Grant Weaver, Teammanager & Vorstandsvorsitzender Stellvertreter. „Herein!", schallte eine tiefe Stimme aus dem Büro. Verstohlen atmete ich tief durch, als ich die schwere Tür aufdrückte und in das Büro trat. Das Mobiliar des Büros schrie förmlich nach hier arbeitet eine der wichtigsten Personen des Vereins. Der Raum war großzügig geschnitten, durch eine riesige Fensterfront gegenüber der Tür hatte man einen fantastischen Ausblick auf Atlanta, den ich jedoch nicht richtig genießen konnte. Durch die dunklen Designermöbel, das unheilvolle, abstrakte Gemälde auf der grauen Wand und dem Fehlen von jeglichen Dekoartikeln, strahlte das Büro von Grant Weaver eine kalte, fast schon düstere Atmosphäre aus. Genau wie Grant Weaver selbst. Sein unerbittlicher Blick lag fest auf mir, als ich den Raum betrat. „Setzen Sie sich!", forderte er mich mit einem bestimmten Kopfnicken, auf den letzten freien Sessel vor seinem Schreibtisch, auf. Auf den anderen beiden Stühlen hatten bereits Antonio und - zu meiner Verwunderung - Remy Platz genommen. Antonio schenkte mir ein aufmunterndes Lächeln, während ich mich auf dem Sessel neben ihm fallen ließ. Remy nahm von meiner Ankunft keinerlei Notiz. Ich wandte mich wieder Mr. Weaver zu, wurde jedoch auch von ihm ignoriert. Seine Aufmerksamkeit lag ganz auf Antonio. „Also Sanchez, wie konnte das mit Cunningham passieren?", bellte er in gereiztem Tonfall. „Wie Sie sicher wissen, hat Mr. Cunningham schon seit vorigem Jahr das Problem, dass die Muskulatur um sein linkes Schultergelenk durch die abrupten Fangbewegungen ziemlich ausgeleiert ist, wodurch das Gelenk viel leichter aus der Gelenkpfanne springen kann. Mit einer Operation, die ich ihm schon nach dem Saisonende nahegelegt habe, kann die wiederholte Luxation des Schultergelenks vermieden werden. Da die Operation aber nicht gemacht wurde, wird dieses Problem während dieser Saison wahrscheinlich öfters auftreten.", erklärte Antonio nüchtern. Wie er unter Mr. Weavers harten Blick so gelassen bleiben konnte, war mir schleierhaft. „Sie wissen ganz genau, dass ich nicht die Ursache für die Verletzung wissen wollte!", fuhr ihn Mr. Weaver an. Mühevoll schaffte er es sich zu beherrschen und Antonio nicht anzubrüllen. „Wie konnte es passieren, dass eine kleine, unerfahrene Praktikantin die Schulter unseres Torwartes einrenken muss, weil Sie im Büro hocken?" Empört schnappte ich nach Luft. Hatte er mich gerade wirklich als kleine, unerfahrene Praktikantin bezeichnet? Saß ich hier im falschen Film? Sprach Grant Weaver wirklich über mich, als wäre ich nicht anwesend? Langsam kochte brodelnde Wut in mir hoch. Unauffällig ballte ich meine Hände zu Fäusten, um meinen Ärger im Zaum zu halten. Ich wollte vermeiden, vor dem Teammanager zu explodieren, wie eine Bombe bei ihrem Aufprall.
„Ich bitte Sie Mr. Weaver. Mrs. Hughes ist alles andere als unerfahren! Sie hat einen ausgezeichneten Abschluss als Physiotherapeutin und Sportosteopathin.", sprang Antonio sofort für mich in die Bresche, konnte dabei aber nicht verhindern, dass auch er zunehmend aufbrausender wurde. „Hätte ich nicht mit jeder Behandlung so viel Papierkram zu erledigen, wäre ich vor Ort gewesen.", fügte Antonio gereizt hinzu. Bewusst ignorierte Mr. Weaver Antonios letzten Einwand, als sein eiskalter Blick auf mich fiel. „Was haben Sie dazu zu sagen, Hughes?" blaffte er mich ungehalten an. Erschrocken starrte ich ihn für ein paar Augenblicke stumm an, unfähig auch nur ein Wort herauszubringen. Die Augen zu schmalen Schlitzen verengt, wollte er sich bereits wieder von mir abwenden, als ich doch endlich meine Sprache wiederfand. „Ich hatte keine Zeit auf Antonio zu warten. Je länger man eine Repositionierung hinauszögert, desto schmerzhafter wird es für den Patienten. Auch Folgeschäden werden umso wahrscheinlicher und schwerwiegender. Also habe ich meinen Job gemacht und die Schulter wieder eingerenkt." Ich konnte denn Trotz der in mir hochstieg, nicht ganz aus meiner Stimme verbergen. „Sie haben nur Ihren Job gemacht?", Mr. Weaver schnaubte ungläubig, „In Ihrem Vertrag steht klar und deutlich, dass Sie komplizierte oder schwierige Behandlungen mit Sanchez absprechen müssen!" „Aber die Behandlung war weder kompliziert noch schwierig. Ich habe genau gewusst, was ich machen musste!", rechtfertigte ich mich verzweifelt, da Mr. Weaver den Eindruck machte, als stelle er mein Handeln und meine Fähigkeiten in Frage. „Genug!", unterbrach er mich forsch, und wandte sich Remy zu, „Was sagen Sie zu Hughes Vorgehensweise, Graham?" Desinteressiert zuckte Remy mit den Schultern: „Ich verstehe nicht, wieso Sie mich das Fragen. Ich habe keine Ahnung wie man eine Schulter richtig einrenkt." „Das müssen Sie auch nicht wissen, Sie sollten nur Hughes Vorgehensweise und die gesamte Situation einschätzen." Mr. Weavers Tonfall wurde immer gereizter, während an seinem massigen Hals eine wild pochende Ader immer stärker hervortrat. „Wie gesagt, ich habe keine Ahnung, wie eine Schulter eingerenkt werden muss!", betonte Remy gereizt, „Aber Liane hat auf mich ziemlich professionell gewirkt. Es hat so ausgesehen als wüsste sie genau, was sie machen muss." Mr. Weaver betrachtete mich weiterhin mit einem skeptischen Kopfschütteln, als könne er nicht glauben, dass ich eine Ahnung von meinem Beruf hätte. Als könne er nicht glauben, dass eine Frau, eine Schulter erfolgreich einrenken konnte. Als wolle er Antonio und Remy nicht glauben. Das flaue Gefühl in meinem Magen ignorierend, hob ich trotzig den Kopf und erwiderte seinen knallharten Blick. Innerlich straffte ich die Schultern, ich würde vor ihm nicht einknicken. Ich würde nicht nachgeben. Denn ich hatte das Richtige getan! Das hatten mir Antonio und Remy gerade bestätigt.

"Ab sofort werden Sie weder Cunningham noch Graham behandeln, haben Sie das verstanden, Hughes?", bellte Mr. Weaver zornig. "Das ist allein Ihre Aufgabe, Sanchez!" Antonio setzte an, um Protest einzulegen, wurde jedoch sofort von Mr. Weaver unterbrochen: "Graham, Hughes, das Gespräch ist beendet. Sanchez Sie bleiben noch!" Mit vor Wut zittrigen Fingern griff ich nach meiner Tasche, nickte Antonio und Mr. Weaver respektvoll zu, ehe ich aus dem kalten, bedrückenden Büro flüchtete. Auf dem Gang angekommen, holte ich zittrig Luft und blinzelte energisch die langsam hochsteigenden Tränen weg. Tränen der Wut. In mir brodelte es, als bestünden meine Innereien aus flüssiger Lava. Es war mir von Anfang an bewusst gewesen, dass ich von einigen Mitarbeitern der Atlanta Alligators belächelt werden würde. Doch ich war nicht davon ausgegangen, dass der Teammanager höchstpersönlich ein frauenfeindliches Arschloch war. Dass er meine Arbeit diskriminierte, bloß weil ich eine Frau war. Dass ich mich rechtfertigen musste, weil ich meinen Job gemacht hatte. Weil ich ihn richtig gemacht hatte. Verzweifelt schloss ich meine Augen und atmete tief durch, um Ordnung in die umherwirbelnden Gedanken zu bringen. Das leise Geräusch der ins Schloss fallenden Tür, ließ mich aus meinen Gedanken fahren. Sofort straffte ich meine Schultern und hob trotzig das Kinn, als ich Remys abschätzenden Blick sah. Wahrscheinlich war es zu spät und er hatte meinen kleinen Gefühlsausbruch bereits gesehen, dennoch versuchte ich mir von ihm nichts anmerken zu lassen. Ich wollte mich bereits mit einem höflichen "Auf Wiedersehen", verabschieden, doch Remy kam mir zuvor. "Weaver ist ziemlich ein Arschloch. Er hat schon einige Praktikanten vergrault.", murrte er, wobei ich mir nicht sicher war, ob er mich nun aufmuntern oder mir Angst einjagen wollte. "Er hat mich nicht vergrault.", antwortete ich schlicht und steuerte die Treppe an, um so schnell wie möglich aus diesem Gebäude zu kommen. Remy folgte mir und ich spürte weiterhin seinen skeptischen Blick auf mir. Unbewusst beschleunigte ich meine Schritte, dass Remy mich schon wieder so intensiv beobachtete, machte mich nervös. Sein Blick hatte etwas Lauerndes, Abwartendes an sich, dass ich nicht deuten konnte. Als wäre er die Katze und ich der Goldfisch im Glas, als wartete er nur auf den richtigen Moment, mich aus dem Wasser zu fischen und genüsslich zu verspeisen.
"Wie hast du diesen Job überhaupt bekommen, wenn Weaver dich so offensichtlich nicht leiden kann?", durchdrang Remys fragende Stimme die Stille des Treppenhauses. "Wie bitte?", empört wirbelte ich zu ihm herum. "Weaver ist maßgeblich an der Jobvergabe beteiligt. Wieso hast du also den Job bekommen, wenn er nichts von Frauen außerhalb des Büros hält?", sinnierte Remy langsam vor sich hin, während ich ihn nur entgeistert anstarrte. Er hatte mich wortwörtlich Sprachlos gemacht. Aber nicht im positiven Sinne. Ohne meinen irritierten Blick zu beachten fuhr er gelassen fort: "Wenn du den Job bekommen hast, obwohl Weaver jemand anderen bevorzugt hätte, kann das nur bedeuten, dass jemand anderes sich für dich eingesetzt hat. Also sag schon, wer ist dein Vater? Ist er ein wichtiger Sponsor, ein Freund von Weaver oder sitzt er gar selbst im Vorstand?" Remy sah mich Beifall heischend an, als hätte er gerade den Da Vinci Code geknackt. Sein selbstgefälliges Grinsen zeigte eindeutig, dass er sich sicher war, mich durchschaut zu haben. Fassungslos schüttelte ich den Kopf und versuchte den Kloß, der sich in meinem Hals gebildet hatte, zu ignorieren.
"Komm schon, mir kannst du es verraten! Ich behalte es auch bestimmt für mich!", fügte er zwinkernd hinzu, als ich ihn immer noch wie versteinert anstarrte. Erneut erfasste mich diese unbändige Wut, begleitet von dem bitteren Gefühl von Machtlosigkeit. Doch ich war es leid, meinen Ärger hinunterzuschlucken und diese Vorwürfe Kommentarlos über mich ergehen zulassen. Ich war es leid, das mir nicht zugetraut wurde, meinen Job richtig zu machen. "Mein Vater ist seit fast zehn Jahren tot!", entfuhr es mir mit eisiger Stimme. Remys selbstgefälliges Grinsen fiel in sich zusammen, wie ein vom Wind erfasstes Kartenhaus. Der Ausdruck von Reue huschte über seine entgleisten Gesichtszüge. Er wollte schon zu einer Entschuldigung ansetzen, doch ich kam ihm zu vor. Ich trat einen großen Schritt auf ihn zu, bohrte ihm meinen Finger in die harte Brust und starrte ihm unnachgiebig in die Augen. "Mein Vater würde sich im Grab umdrehen, wenn er dich hören könnte.", höhnte ich mit schneidender Stimme. "Du bist wohl noch nicht im 21. Jahrhundert angekommen, oder? Du hast wohl noch nicht gehört, dass Frauen auch alleine etwas erreichen können. Ich habe mir diesen Job mit harter Arbeit und einem ausgezeichneten Abschluss selbst erarbeitet. Weil es mein Traumjob ist! Also geh mir verdammt nochmal aus dem Weg!" Meine Stimme wurde zum Ende hin immer leiser, verlor jedoch nichts von ihrer schärfe. Erst jetzt bemerkte ich, wie nah ich Remy mittlerweile gekommen war. Nur noch wenige Zentimeter, die meinen Körper von seinem trennten. Mit einem letzten, wütenden Blick in sein zerknirschtes Gesicht machte ich einen großen Schritt zurück und stapfte hocherhobenen Hauptes die Treppe hinunter und hinaus auf den Parkplatz. Trotz der heißen, spätsommerlichen Temperaturen zitterte ich wie Espenlaub, als ich bei meinem Auto ankam. Nur mit großer Mühe gelang es mir, den Schlüssel in die Zündung zu stecken und den Wagen zu starten. Mit tränenverschleiertem Blick fuhr ich aus der Parklücke und konnte noch einen letzten Blick auf Remy erhaschen, der nachdenklich an der Eingangstür des Bürokomplexes lehnte und mich gedankenverloren beobachtete. 

CROSS CHECKED by love || MrsAllAustrianWo Geschichten leben. Entdecke jetzt