Kapitel 4

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Bereits in meiner ersten Arbeitswoche bei den Atlanta Alligators wurde ich voll eingespannt. Nachdem mir alle notwendigen Abläufe gezeigt wurden, war ich mehr oder weniger auf mich allein gestellt. Antonio war nämlich der felsenfesten Überzeugung, ich konnte mich nur verbessern und an den Aufgaben wachsen, wenn ich so selbstständig wie möglich arbeitete. Learning by doing also. Vermutlich hatte er recht. Langwierigere Behandlungen besprachen wir im Vorhinein gemeinsam und wenn ich mir mal bei der Therapie eines Spielers unsicher war, konnte ich Antonio trotzdem immer um Rat fragen. Die selbstständige Arbeit hatte zudem den großen Vorteil, dass mir nicht bei jedem Handgriff kritisch über die Schulter geschaut wurde. Dadurch konnte ich entspannt und konzentriert meinen Job machen.

Mein Arbeitstag begann immer pünktlich um 09:30. Während das Team das erste Eis-Training absolvierte, kümmerte ich mich um die verletzten Spieler. Connor Collins war vormittags, wie besprochen, Dauergast in meinem Büro. Ich musste zugeben, dass ich die Zeit mochte, in der ich Connor behandelte. Er war nie um einen frechen Spruch verlegen, hatte stets gute Laune und erzählte mir immer den neuesten Klatsch und Tratsch aus dem Team. Er war es auch, der mir grinsend gesteckt hatte, dass Brodie, Donnerstag dabei beobachtet wurde, wie er kurz nach der neuen Buchhaltungspraktikantin, den Geräteraum verlassen hatte. Der gehetzte Gesichtsausdruck, das verwuschelte Haar und die zerknitterten Klamotten der beiden ließ keinen Platz für Überlegungen, was sie getrieben hatten. Connor wollte schon zu den Details übergehen, als ich ihn angewidert stoppte. Ich war wirklich nicht an Brodies Sexleben interessiert!
„Sprecht ihr immer über eure Abenteuer in Besenkammern?", hakte ich schließlich doch neugierig nach. „Nicht alle teilen ihr Sexleben mit dem ganzen Team, aber Brodie gibt gern damit an.", antwortete Connor schulterzuckend. „Macht ihr unter euch Frauen doch auch, oder?" Ein anzügliches Grinsen schlich sich auf seine Lippen. „Ja, du hast es gesagt: das Besprechen wir unter uns Frauen. Also erwarte nicht, dass ich dir irgendwelche Informationen über mein Liebesleben gebe." Gespielt enttäuscht hielt er seine Hand auf seine Brust und betrachtete mich mit einem anklagenden Blick. „Und ich dachte wir wären Freunde.", seufzte Connor dramatisch. „Träum weiter, du Spinner.", schnaubte ich grinsend, bevor ich mich wieder seiner Adduktorenverletzung widmete.
Auch der 32-jährige schwedische Stürmer Magnus Hansen wurde ein weiterer Stammgast in meinem Büro. Im Trainingslager in Florida hatte er sich das vordere Kreuzband, sowie das Innenband im linken Knie gerissen. Ironisch an der ganzen Sache war, dass er es sich nicht während dem Training, sondern als er zum Spaß mit einem Teamkollegen Tennis gespielt hatte, verletzte. Zum Glück, konnte bei ihm auf eine Operation verzichtet werden, wodurch er bis zum Saisonauftakt Mitte September wieder einsatzfähig sein sollte. Obwohl Magnus ziemlich Wortkarg war, empfand ich die Zeit während seiner Behandlung als angenehm. Seine gelassene Art hatte eine fast schon beruhigende Auswirkung auf mich, meine Arbeit und vor allem meine Konzentration. Auch wenn wir die meiste Zeit nicht miteinander redeten, herrschte zwischen uns nie ein befangenes oder gar peinliches Schweigen.

Nach dem zweistündigen Training, musste sich das gesamte Team zur einstündigen Besprechung in der Kabine versammeln. Was da jeden Tag so lange besprochen wurde, war mir ein Rätsel, da dabei nur die Spieler, der Trainer und der Torwarttrainer anwesend sein durften. Um 14:00 Uhr musste der gesamte Kader zum zweiten Training antanzen, bei dem auch ich stets anwesend war. Meistens unterhielt ich mich mit Connor und Magnus, fachsimpelte mit John Brown dem Gerätewart, analysierte das Training und den Spielaufbau oder leistete erste Hilfe bei kleineren Verletzungen. Letzteres war zum Glück bisher nur zwei Mal vorgekommen. Nach dem zweiten Training kümmerte ich mich noch um die Spieler, die sich während dem Training verletzten, oder die sich nicht hundertprozentig fit fühlten. So verließ ich selten die Eishalle vor 17:00 Uhr. Stressig wird es aber erst werden, wenn die Saison richtig begonnen hat. Denn dann standen innerhalb von 14 Tagen sieben Spiele auf dem Plan.
Was für uns bei Auswärtsspielen bedeutete: frühmorgens Treffpunkt an der Halle, mit dem Vereinsbus gemeinsam zum Flughafen, um dann in den eigenen Vereinsjet zu steigen. Am Austragungsort des Spieles angekommen, stand dann ein einstündiges Eis-Training auf dem Plan. Nach dem Training musste ich die Spieler behandeln, die schmerzen hatten, ehe wir eineinhalbstunden vor Spielbeginn erneut in der Eishalle sein mussten. Nach dem Spiel musste alles schnell zusammengepackt werden. Wir wurden wieder mit dem Bus zum Flughafen gefahren und mit dem Jet zum nächsten Austragungsort geflogen. Sollte das nächste Spiel nicht am darauffolgenden Abend stattfinden, wurden wir in ein Hotel gebracht und erst nächsten Tag ging die Reise weiter.
Vorfreude überkam mich, als ich an die kommenden Spiele dachte. Ich konnte es kaum erwarten, endlich das Können der Spieler zu sehen, die aufgeladene Atmosphäre in der Halle zu genießen und bei den Spielen mit zu fiebern. Auch wenn das bedeutete, dass ich ständig unterwegs war und die meiste Zeit nur aus meinem Koffer lebte. Aber um meine Kleidung musste ich mir sowieso keine Gedanken machen, da ich bei allen öffentlichen „Auftritten" – wie alle anderen auch – die Vereinsklamotten tragen musste. Auch wenn ich noch immer eine tiefe Abneigung gegen das grelle Grün hegte.

CROSS CHECKED by love || MrsAllAustrianWo Geschichten leben. Entdecke jetzt