-9. Kapitel-

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Isabelle

"Was ist zwischen euch eigentlich schief gelaufen?" Die Frage schien simpel, doch was sollte ich ihm darauf antworten? Am besten die Wahrheit, das war klar. Aber wann begann es wirklich? Erwartungsvoll starrte Philipp mich an und genau in diesem Moment fielen mir in meinem Kopf alle Karteikarten aus der Hand. Ein riesiger Papiersturm an Informationen umkreiste mich und ich konnte mich beim besten Willen auf nichts konzentrieren. Meine Hände wurden feucht und ich sah ein, dass ich jetzt irgendwie anfangen musste, unsere gemeinsame Geschichte zu erzählen.

"Wir verstanden uns in unserer frühen Kindheit eigentlich ziemlich gut, schlimm wurde es erst an unserem ersten Vollmond, da waren wir ungefähr vierzehn. Ich hatte mich nicht unter Kontrolle und Jake, ich meine Nick fand mich am nächsten Morgen blutüberströmt neben seinem besten Freund. Ich hatte absolut keine Ahnung, was in der vorigen Nacht passiert war, es lag aber auf der Hand, dass ich Klaas, so hieß er, beseitigt hatte. Vor dem Gericht unseres Rudels hat er mir dann vorgeworfen, ich habe es mit Absicht getan, so verletzt war er. Daraufhin wurde ich einstimmig aus dem Rudel verbannt und jeden, der mir begegnen sollte, mit dem Auftrag versehen, mich umzulegen. Was darauf folgte, waren jahrelange hasserfüllte, blutige Treffen mit meinem Bruder und dem Rest meiner Familie."

Völlig fassungslos fragte Philipp: "Sie haben dich verbannt? Wegen einem Unfall an deinem ersten Vollmond? Was zur..."

Ja, so hatte ich damals auch darauf reagiert, vielleicht einen Zacken wütender, aber ungefähr genauso. Bevor wieder die wohlbekannte Stille entstand, stellte mein Gegenüber mir die nächste Frage:

"Wieso hast du Probleme an Vollmond, Nick aber nicht?" Gute Frage, verdammt gute Frage. Wenn ich das selbst nur so genau wüsste...

Wieder stammelte ich ein paar zusammenhangslose Sätze vor mich hin, bevor sich meine Zunge zu geraden Sätzen aufraffen konnte. "In unserer Familie kreisen die unterschiedlichsten Gene umher: Wölfe, Vampire, Hexen und was da sonst noch herumspukt willst du dir nicht vorstellen. Unser Vater ist ein Werwolf, unsere Mutter ein Hybrid aus irgendwas. Folglich haben Jake und ich zur Hälfte Werwolf abbekommen und zur anderen Hälfte einen seltsamen Mix. In meinem Fall ziemlich viel Vampir, Jake hat irgendwas anderes abgekriegt. Seine zwei Persönlichkeiten von Fabelwesen verstehen sich gut, meine eben nicht und zerfleischen sich an Vollmond, worunter ich dann meistens leide."

Klang plausibel. Das wäre eine mögliche Erklärung. In Wahrheit war ich mir darüber gar nicht einmal so sicher. Vielleicht war Jake genauso viel Vampir wie ich und ich war die Einzige, die damit nicht klar kam? Aber eigentlich wollte ich ja mit Phil ehrlich bleiben...

"Das wäre jedenfalls die sinnvollste Erklärung, um ehrlich zu sein, ich weiß es nicht so genau.", fügte ich vorsichtig hinzu. Probs an mich, ich war ehrlich geblieben!

"Macht Sinn", kommentierte Philipp. Das machte es auch! Also bitte...

Mittlerweile doch gähnend ließ ich die nächste Frage über mich ergehen.

Philipp

Wach wurde ich von einer fluchend aufspringenden Person, die gestern Nacht seelenruhig auf meiner Brust eingeschlafen war. "Scheiße, es ist dreiviertel zehn!", zischte sie und fischte irgendwelche Klamotten aus ihrem Schrank. Erst jetzt realisierte ich, wo ich mich befand und wer diese Person eigentlich war. Ich war bei Isabelle eingeschlafen und die Person war eine hektische Version von ihr. Warum war sie noch mal so hektisch?

Erst jetzt wanderte mein Blick durch den lichtdurchfluteten Raum und blieb an der Uhr hängen. Shit heute war Montag! Wir würden mit viel Glück die vierte Stunde in der Schule erleben! Ruckartig setzte ich mich auf und blickte an mir herunter, da ich die sich gerade umziehende Isa nicht begaffen wollte. Ich musste mich nicht wirklich umziehen. Ich hatte noch immer die weite Jacke von ihr an, dazu eine löchrige Hose, die ich definitiv nicht so gekauft hatte, sondern noch stolze Spuren von gestern trug. Es entsprach zwar nicht der Kleiderregelung an unserer Schule, aber das war mir sowas von egal.

Ohne Rücksicht auf das Spiegelbild schlüpften wir in unsere Schuhe, schnappten uns Isabelles Rucksack und verließen die Wohnung. Aufgrund von offener Schnürsenkel sprinteten wir beziehungsweise stolperten wir über der menschlichen Geschwindigkeitsbegrenzung durch das Treppenhaus in Richtung Station.

Wir erwischten schließlich arschknapp eine rappelvolle Straßenbahn und begannen, unsere Schuhe zu binden. Als die Bahn ziemlich abrupt an der nächsten Station bremste, rumpelte ein Mann mit meinem übernächtigten, vogelnesthaarigen Gegenüber zusammen, was dazu führte, dass ihr der offene Rucksack von der Schulter rutschte und im nächsten Moment sein gesamter Inhalt über den schmuddeligen Boden der Bahn, je nach Gegenstand kullerte oder schlitterte.

Mit hochgezogenen Augenbrauen musterten uns die ebenfalls stehenden Fahrgäste und widmeten sich wieder kopfschüttelnd ihren Angelegenheiten. Keiner von ihnen machte Anstalten, uns zu helfen, geschweige denn Platz zu machen, damit wir die Sachen wieder einsammeln konnten. "Arschgeigen.", ertönte es beinahe synchron und vielleicht etwas zu laut von uns beiden. Das war das erste Wort am heutigen Tag und ich hasste mich beinahe dafür, den Mund geöffnet zu haben. Ich hatte eine unglaublich kratzige Morgenstimme, mit der ich mich wie der letzte Kettenraucher anhörte. Ich hasste es. Isa fuhr daraufhin hoch, lächelte kurz und strich sich eine ungekämmte Haarsträhne aus dem Gesicht.

Die ach so freundlichen Mitfahrer begannen nun lautstark über uns zu lästern, als wir über den Boden krochen und Stifte, Bücher, eine Packung Tampons und anderen Kram zusammensuchten. Zum Glück war die nächste Station unsere und wir verließen die lästernden Arschgeigen.

Leider wars das mit dem Getuschel an dieser Stelle für den heutigen Tag nicht, da wir gerade keine Pause sondern Mathe, was wir beide auch zusammen hatten, hatten. Erst als wir vor der Tür des Matheraums standen wurde mir klar, wie sehr dieses gemeinsame Auftreten die Gerüchteküche zum brodeln bringen würde...

"Wollen wir da wirklich rein?", fragte Isabelle zweifelnd. Anscheinend dachte sie dasselbe. "Wenn wir uns jetzt einfach verdrücken würden, wären wir halt zufällig am gleichen Tag krank gewesen, aber so?", fuhr sie fort. "Das wäre in der Tat sinnvoller", stimmte ich zu. Doch gerade, als wir uns verdrücken wollten, lief uns Mrs Charlsen, die Sekretärin, über den Weg.

"Da seid ihr ja endlich! Wo wart ihr denn so lange? Abmarsch in eure Klasse!", jetzt war es aus, denn jeder von uns wusste, wie es weitergehen würde. Sie würde sich das nächstbeste Telefon schnappen, würde Mr Jackson im Klassenraum anrufen und ihm mitteilen, dass wir in Kürze erscheinen würden.

Unsere Sekretärin mit dem bösen Blick besah uns noch einen Augenblick lang verachtend, wahrscheinlich auf ein braves "Ja, Mrs Charlsen" wartend, was sie aber nicht bekam. Sie bekam resignierte Blicke Unsererseits und das genügte ihr. Sie hatte gewonnen, denn vor ihr konnte sich kein Schüler verdünnisieren, weil sie ja die Allmächtige Mrs Charlsen war. Mit ihrem hässlichsten Grinsen stolzierte sie davon und ließ uns wie begossene Pudel im Korridor stehen.

"Dann müssen wir da jetzt wohl rein", seufzte Isabelle. "Leider ja", erwiderte ich und blickte sehnsüchtig auf die Tür zum Treppenhaus, das uns zum rettendem Ausgang führen würde.

Mit einem lauten Quietschen öffneten wir die Klassenzimmertür und betraten den Mathekurs. "Wo wart ihr beide bitte so lange? Was zur Hölle habt ihr gemacht, so wie ihr ausseht?" Irgendjemand brüllte nach vorne: "Das können uns die beiden Turteltauben ja selbst beantworten, was zwischen ihnen vorgefallen ist" Mit einem perversen Grinsen starrte er uns an und die ganze Klasse einschließlich dem Lehrer begann, uns auszulachen...

Da waren wieder meine drei Probleme: Wölfe, Krieg und LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt