-2. Kapitel-

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Geschockt starrte ich Nick an. Was in Gottes Namen war mit ihm passiert? Sein helles Shirt war zerrissen, dunkle Blutflecken zeichneten sich wie Ausschlag darauf ab und ich wollte mir nicht wirklich vorstellen, wie seine Haut darunter aussah. Das schlimmste war jedoch sein Gestank. Nick stank nach Tod, als wäre er schon halb verrottet.

"Was ist passiert?", fragte ich und starrte ihn an.

"Es waren...sie", erklärte Nick stoßatmend. Er drohte das Bewusstsein zu verlieren und kurz bevor er umkippte, fing ihn Raphael, sein bester Freund und unser Zweitchef aka Beta, auf.

"Sollen wir einen Notarzt rufen?", rief Mark besorgt aus. Energisch schüttelte Raphael den Kopf. "Wie willst du sein plötzliches Heilen erklären? Und überhaupt wäre ein Krankenwagen wegen seiner Platzangst nicht gerade optimal."

Ach ja, stimmt. Das hatte ich noch gar nicht erzählt: Nicks "Krankheit" als Werwolf war Klaustrophobie, für keine Fachärzte einfach Platzangst.

"Wer sind 'sie'?", fragte Jake, ein Neuzugang verwirrt, doch er erhielt keine Antwort, weil alle damit beschäftigt waren Nick entsetzt zu mustern und nachzudenken. Bei manchen sah es jedoch aus, als würde nur ein neues Update in deren Köpfen gestartet werden und sie würden darauf warten, dass sich der Balken endlich ans andere Ende des Bildschirms bewegte. Wir entschieden uns dann doch, Nick hoch ins Firmenbüro zu schleifen, was sich selbst für circa zwanzig (Halb)Wölfe als schwierig erwies. Das lag zum Teil an den unzähligen Trakten, Gängen und Treppen, die diese riesige Firma beinhaltete, als auch an Raphaels spitzenmäßigen Orientierungssinn, der erahnen ließ, wie dreckig seine Brille wirklich war. Aber immerhin hatte das muffige Büro zerfledderte Sofas und einen uralten, vor ungefähr dreißig Jahren abgelaufenen Verbandskasten. Besseres hatten wir leider nicht im Angebot.

Als wir ihn endlich oben auf dem Sofa platziert hatte, kontrollierten wir mit unserem medizinischen Halbwissen regelmäßig seinen Puls.

Nach ein bis zwei Stunden kam Nick wieder zu Bewusstsein und erzählte immer noch außer Atem: "Wildwood waren zu Besuch. Sie waren zu viele, als dass ich mich hätte wehren können"

"Wildwood", wie sie sich selbst nannten, waren ein Rudel, das nur aus geborenen Wölfen bestand und uns schon seit Monaten tyrannisierte. Gegen sie hatten wir nicht die geringste Chance, da nur Nick ein geborener Wolf war. Sie waren anscheinend fest entschlossen, unser gesamtes Rudel auszurotten.

"Was werden wir jetzt machen?", fragte Tom ratlos, doch keiner wusste eine Antwort darauf.

Ich trat an ein komplett verdrecktes Fenster und öffnete es schwungvoll, was das Fenster nicht guthieß und das Glas fünf Meter in die Tiefe stürzen ließ. Nick räusperte sich. Peinlich berührt trat ich ein paar Schritte vom Fenster weg und musterte sehr ausgiebig meine abgewetzten Sportschuhe.

"Wie fahren wir jetzt fort?", fragte ich, da mir das gerade ziemlich peinlich war und immer noch keiner auf Toms Frage regiert hatte.

Mark, der schon länger fest überzeugt war, bessere Führungsgene als Nick zu haben, erklärte entschlossen: "Wir werden trainieren. Das sind gerade einmal halb so viele Wölfe wie wir, mit viel Übung schaffen wir das!" "Dafür sind das aber die geborenen Killerwölfe, die haben das im Blut. Wir dagegen sind nur komische Menschen", meinte Georg mutlos. "Aber wir haben einen entscheidenden Vorteil..."

Mark, der ein sehr talentierter Redenhalter war, wurde von dem deprimierenden, Georg (, von dem keiner so richtig eine Ahnung hatte, wie zur Hölle er in unserem Rudel gelandet war,) unterbrochen: "Und welchen bitteschön? So wie sich unsere Situation anhört, sitzen wir ziemlich in der Scheiße!"

"Wir sind ihnen voraus, weil wir Nick haben, der weiß wie sie denken und sie vielleicht ausspionieren kann!" Eine laschere Argumentation hatte ich noch nie gehört, aber gut... "Dann bräuchten wir aber schon mindestens zwei Nicks, damit er sich bei ihnen einschleimen kann". "Nur ist das leider unmöglich", seufzte Nick.

Als ich gegen acht Uhr (abends!) nach Hause kam, war meine Mutter ziemlich sauer. Das, was sie war, grenzte fast am Helikopter-Mutter-Dasein. Immer musste ich um fünf Uhr daheim sein und wenn es nach ihr ginge, dürfte ich nicht einmal meine Simson fahren. (Dafür hatte sich aber mein Vater stark gemacht.) Nach der großen Standpauke, (die ganze dreiundzwanzig Minuten ging, sagte jedenfalls meine Handystoppuhr) der ich mehr oder weniger zuhörte, verzog ich mich auf mein Zimmer und grübelte, wie wir Wildwood loswerden könnten. Ich war immer wieder von der Kreativität dieses Namens überrascht, wie waren die denn bitte darauf gekommen?

Morgen war der Schulball, fiel mir plötzlich siedend heiß ein. Verdammt, ich hatte noch nicht einmal einen Anzug! Scheiße! Entweder musste ich morgen blau machen oder den Schulball ausfallen lassen. Eher das erstere, wobei ich auf das zweitere (gibt's dieses Wort überhaupt?) auch große Lust hätte.

Ich hatte meiner Mutter noch nicht einmal von dem Schulball erzählt und hatte es auch nicht vor. So wie ich sie kannte, würde sie mich begleiten wollen. Besten Dank, aber darauf konnte ich getrost verzichten. Ich wollte stattdessen irgendwie meinen Vater bequatschen. Aber es würde wohl kein Weg am morgigen Schwänzen vorbeiführen.

Aber das wäre morgen ja das erste Mal, dass ich Schwänzen würde. Die Ironie triefte förmlich aus der kleinen Stimme in meinen Gedanken. Ich beschloss, mich nach der großen Pause krank zu melden und mit der Simson in irgendeinen Laden zu fahren. Shit, die Simson würde ich mir abschminken können, da ich aktuell wegen Zuspätkommen und Blitzerbild schlüssellos war und das bestimmt noch für die nächsten zwei Wochen. Musste wohl der gute alte Schulbus herhalten. Nach sorgfältiger Planung meines morgendlichen Schwänzens (Gott, hörte sich das bescheuert an!), legte ich mich ins Bett und dachte über den Sinn des Lebens nach. Nein, natürlich schlief ich. Ich wurde ja langsam so sarkastisch wie Isabelle, das fehlte gerade noch!

...

Isabelle

Biep. Biepbiep. BIEP!!! Zack. Stille. Scheiße. Hatte ich gerade meinen Wecker geschrottet? Ein Blick auf den mit Zahnrädern, Plastik und Drähten übersäten Boden bestätigte meinen Verdacht. Ein toller Start in den Morgen. Aber war ich schon jemals motiviert und voller Tatendrang aufgestanden? Nein. Langsam räkelte ich mich in meinem Bett, dessen Decke und Kissen aus welchem Grund auch immer am anderen Ende des Zimmers lagen und verließ mein stickiges Zimmer.

Fuck, heute musste ich mit dem komischen Philipp auf den Schulball! Wenn da keiner aktuelles sondern irgendwelche Walzer aus Urzeiten auflegte, würde ich sicher einschlafen. Und das nicht nur im übertragenen Sinne.

Überspringen wir den langweiligen Teil von Duschen, Frühstück und Schulweg. Kommen wir zum interessanteren Part. Obwohl, Schule? Es gibt definitiv spannendere Dinge, als den Physikunterricht von Mr McRedcoy zu beschreiben.

Krampfhaft versuchte ich, konzentriert zu bleiben und die winzigen Kritzeleien an der Tafel zu entziffern. Ich konnte nicht mehr klar denken und es fühlte sich an, als würde ein Bagger immer wieder mit seiner Schaufel gegen meine Birne knallen. Dies ließ meinen Kopf unglaublich schwer werden und kurz bevor ich in mich zusammensackte, murmelte ich mit trockenem Hals: "Nicht schon wieder". Alles um mich herum verschwamm zu einem sich immer schneller um mich windenden Kreisel, der mich in sekundenschnelle aufsog...

Da waren wieder meine drei Probleme: Wölfe, Krieg und LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt