-3. Kapitel-

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"ISABELLE!!!" Erschrocken fuhr ich hoch. Fuck, wie lange war ich weg? Langsam realisierte ich, wo ich mich befand und mein verschwommenes Sichtfeld wurde allmählich schärfer. Ich war auf dem kalten Boden des Physiksaals, neben mein umgekippter Stuhl und die ganze Klasse war aufgestanden und starrte mich an. Mr McRedcoy warf mir vernichtende Blicke zu und alle warteten auf eine Erklärung, warum ich hier und jetzt eingeschlafen war. Großartig!

"Meine Mutter hatte gestern ihren 40. Geburtstag und hat bis spät in die Nacht gefeiert. So habe ich nicht sonderlich viel geschlafen.", das hörte sich mit meiner kratzigen Stimme und meiner verpeilten Aura aber eher danach an, als wäre ich gestern nach Wacken und wieder zurück geflogen. Mal wieder feierte ich mich selbst, dass ich so spontan an meine Ausrede gekommen war. Egal, ob er es schluckte oder nicht, bei dem Lehrer war ich sowieso unten durch, weil ich gute Noten schrieb, ohne zu lernen und ihn dabei trotzdem nerven konnte.

"In Ihrer Familie hat anscheinend jede Woche jemand einen runden Geburtstag", schnaubte McRedcoy aufgebracht. Ja, einen runden vielleicht nicht, aber das mit dem Geburtstag könnte theoretisch sogar stimmen... "Ja, Partystimmung rund um die Uhr", entgegnete ich genervt. "Ich habe Sie noch in keiner meiner Unterrichtsstunden wach und ausgeschlafen gesehen" "Ja, weil Ihr Unterricht die reinste Folter ist", unterbrach ich ihn, da meine Zunge es für den richtigen Zeitpunkt befand, ein wenig mit Beleidigungen um mich zu werfen. "Aus diesem Grund habe ich mal mit Ihren anderen Lehrern gesprochen, die alle das selbe Problem an Ihnen feststellten. Sie sollten definitiv früher ins Bett gehen!"

Irgendjemand aus der letzten Reihe grölte nach vorne "Aber nicht mit mir", wurde aber mit einem Blick meinerseits zum Schweigen gebracht. Konnte dieser Idiot von Lehrer nicht einfach seine Klappe halten? Ich war verpeilt, hatte noch keinen Kaffee und als wäre das nicht genug, nervte Mr McRedcoy.

...

Philipp

Endlich war es Nachmittag. Ich hatte diesen bescheuerten Anzug endlich gekauft und die Einwilligung für den Schulball von meinem Vater per SMS bekommen. Ehrlich gesagt war ich noch immer nicht scharf darauf, mit Isabelle den Schulball zu besuchen. Der Abend rückte bedrohlich näher, was meine Situation nicht wirklich aufbesserte.

Mit dem Bus fuhr ich zur Schule, da ich wie erwähnt kein Auto habe und schlüssellos war. Ich hatte keine Lust, mich dauerhaft von Isabelle beleidigen zu lassen, sondern wollte den Abend einfach runtertrinken und mich an nichts mehr erinnern. Die Armbanduhr verriet mir, dass ich bereits eine halbe Stunde zu spät dran war, aber das war mir relativ egal. So wie es aussah, würde ich noch später kommen, weil wir jetzt im verdammten Stau standen, aber naja, so wurde es immer weniger vom Abend und damit konnte ich sehr gut leben.

Isabelle

Man, wo blieb dieses Arschloch denn? Ich wartete hier seit zwei geschlagenen Stunden auf Philipp und würde mir keine weitere antun. Mittlerweile war ich beim fünften Daiquiri Longdrink und es sah so aus, als hätte er mich eiskalt sitzen gelassen.

Irgendein hackevoller Elftklässler wollte mich grob auf die Bühne ziehen, was ich ihm untersagte, indem ich meine einigermaßen langen Fingernägel in sein Handgelenk rammte.

"Die kleine Tussi will sich mit mir anlegen?", grölte der Typ, "Du hast ja wohl keine Ahnung, wer ich bin! Aber gut, eine Lektion für dich Neuling ist es allemal!" Im Halbdunkel konnte ich die Gestalt vor mir nicht genau erkennen, aber so darstellen ließ ich mich nicht.

"Sind wir alt genug, das mit Sarkasmus zu regeln oder müssen wir uns erst prügeln?", fragte ich herablassend und baute mich vor ihm auf, was mit meinen eher durchschnittlichen eins siebenundsechzig nicht gerade imposant aussehen musste.

"Du kannst mich in beidem nicht schlagen und nach beiden Disziplinen wirst du mit deinem makellosem Gesicht niemandem mehr imponieren können! Also, prügeln. Aber mach dir dein Kleid nicht schmutzig!" Gott zog der eine Fahne hinter sich her...

Ich hielt mich zurück, da das Kleid das einzige war, das ich gerne anzog, obwohl ich diesem Idioten am liebsten eine wischen würde, aber ich hätte gegen ihn womöglich keine Chance. Ich hatte keine Lust, noch länger bei diesen Deppen draußen rumzustehen. Ich rammte meine Fingernägel in meine Handfläche und ballte die Hände zu Fäusten, was ich immer tat, wenn ich mich fast nicht beherrschen konnte. Blut tropfte von meinen Fingern, weil meine Nägel zu lang waren und ich zu fest zugedrückt hatte. Außerdem war die Haut an dieser Stelle extrem dünn, weil sie mit der Heilerei nicht mehr hinterherkam.

Langsam ging ich immer wieder ein paar Schritte rückwärts, weg von der Schlägerei, die irgendjemand, der mich verteidigen wollte, anzettelte und wollte mich verdünnisieren. Dabei rutschte ich jedoch aus und landete mit einem lauten Platschen in einer schlammigen Pfütze im feuchten Gras der Wiese. Jetzt wollte ich von hier erst recht weg. Philipp war immer noch nicht da, doch gerade als ich zum Schultor hinaus wollte, kam er mir entgegen. Toll! Da konnte man nicht mal ungesehen abhauen!

Betont lässig schlenderte er auf mich zu grinste mich schadenfroh an. "Warst du noch bei Tough Mudder?" Mit dieser herablassenden Miene könnte ich ihm direkt eine scheuern!

"Ich mach die Fliege", entgegnete ich kommentarlos. "Und wie willst du heimkommen?" "Ich fahr natürlich", erwiderte ich und wusste selbst nicht, ob ich es ernst meinte oder nicht. Ungläubig starrte er mich an. "Wie viele Drinks hattest du heut schon?", fragte er mit hochgezogenen Augenbrauen. Was ging das den denn bitte an? Ich konnte besoffen sehr gut Bus fahren. Ok, ich meinte es definitiv ernst.

Bevor ich auf Phils Frage antworten konnte, begann ich zu torkeln und meine wohlbekannte Krankheit setzte wieder ein. Wieder einmal landete ich, diesmal mit dem Kopf nach vorne, im matschigen Gras.

Ich wurde von irgendjemandem wachgerüttelt, keine Ahnung, wer, ich sah alles viel zu verschwommen. Langsam trennten sich die Farben, die ineinander verschwammen und ich erkannte die helfende Hand. Es war Phil. Ich hatte keine Ahnung, wie lange ich weg gewesen war und erinnerte mich nur dunkel an das Geschehen davor, einer der tollen Nachteile an meinen Narkolepsieanfällen.

Als ihm auffiel, dass ich wieder bei vollem Bewusstsein war, räusperte er sich und fragte dann verwirrt: "Was war das denn bitte? Du hattest definitiv zu viele Drinks! Ich bring dich jetzt nach Hause!" Ich fand es ja irgendwie nett, dass er den Fürsorglichen mimte, aber ich war wach, konnte auf beiden Beinen stehen, also auch getrost einen Weg, der nur 20 Minuten dauerte, laufen. "Das war nichts, vergiss es wieder, tschüss", wollte ich ihn abwimmeln, aber er ließ nicht locker. "Ich bring dich jetzt heim!", wiederholte er mit fester Stimme (,als würde es zu seinen alltäglichen Beschäftigungen gehören, sich mit Irren oder Kindergartenkindern zu unterhalten) und packte mich am Handgelenk.

"Lass mich in Ruhe!", fuhr ich ihn an und riss mich los. Wortlos drehte ich mich um, verließ den Schulhof und kickte meine kaputten Billig-Stöckelschuhe von mir.

Da waren wieder meine drei Probleme: Wölfe, Krieg und LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt