-10. Kapitel-

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Isabelle

Lieber Boden, bitte verschling mich! Leider tat mir der Boden den Gefallen nicht und so wurden wir weiter dämlich von unseren Klassenkameraden wie Zootiere beglotzt. In die peinliche Stille hinein räusperte sich Mr Jackson, (dessen Name sich stark nach Wachsmalkreiden anhörte,) weil er von uns immer noch eine Antwort erwartete. Ich zermarterte mir das Hirn nach einer glaubwürdigen Ausrede, doch wie aus der Pistole geschossen antwortete Phil ohne mit der Wimper zu zucken:

"Wir wollten heute blau machen, haben aber dann kalte Füße bekommen." Stimmt, darauf hätte ich auch kommen können... Aber ich wusste gar nicht, dass Phil wie gedruckt lügen konnte... "Und warum habt ihr rein zufällig am gleichen Tag blau gemacht?", blaffte unser Lehrer, der auf der Beliebtheitsskala nun in den Keller gerutscht war. "Weil wir das so zusammen ausgemacht haben", zischte ich zurück und setzte meinen provokanten Halten-Sie-Ihre-Verdammte-Fresse-Blick auf. Mit abfällig hochgezogenen Augenbrauen deutete er auf unsere Sitzplätze und wandte sich der verschmierten Tafel zu. Innerlich war er jetzt mit ziemlicher Sicherheit wütend darüber, dass ich ihm auf einen seiner hochwohlgeborenen Konter geantwortet hatte, die wenn ich es mal so ausdrücken dürfte, nicht sonderlich gut waren, aber äußerlich...

...sah er genauso wütend aus. Ich Poet. Missmutig schlurfte ich durch den halben Raum zu meinem Sitzplatz, der nicht mal in der Nähe von Phils lag und knallte meine Schulsachen auf den Tisch, was den Lehrer zusammenzucken ließ.

Da heute in Mathe eh nur eine Abfragestunde bevorstand und ich bereits alle mündlichen Noten für diesen Term zusammenhatte, hatte ich sehr viel Zeit zum Nachdenken. Phil hatte mir gestern angeboten, mit Nick zu reden, damit ich vielleicht in ihr Rudel käme. Aber wollte ich das überhaupt? Ich müsste so gut wie jeden Tag mit Nick Zusammensein, der mich rein rechtlich jederzeit umbringen könnte und mich noch dazu nicht ausstehen konnte... Ich könnte ihnen die Chance auf Sieg gründlich vermasseln, indem ich ihnen gar nicht beitreten würde. Ich könnte theoretisch auch Wildwood beitreten, dann könnte ich Nick ein für allemal eins auswischen. Aber in Nicks Rudel war auch Philipp. Würde ich es schaffen, mich gegen ihn aufzulehnen? Wollte ich das überhaupt schaffen?

Mein Gedanken wurden wiederum von einer Durchsage durch den rauschenden Lautsprecher unterbrochen, wofür ich sehr dankbar war. "Der Mathekurs der Jahrgangsstufe elf begibt sich bitte in die Aula, um die Schulfotos zu machen!" Scheiße! Das hatte ich vollkommen vergessen! Mein Blick wanderte zu der Fensterscheibe, in der sich schwach mein Spiegelbild abzeichnete. Meine dunkelblaue Jeans passte mir nicht wirklich und ich hatte heute früh keine Zeit für einen Gürtel gehabt. Dazu kam noch ein weinroter Schlabberpulli, der schon so verwaschen war, dass er sich farblich irgendwie mit der Jeans biss. Und zur Krönung kamen noch meine blauen, zerzausten, ungekämmten, vogelnestartigen Haare und mein müder Blick, mit dem ich aussah, als wäre ich seit drei Tagen ununterbrochen wach und hätte meine Zeit mit Crack genutzt.

Also stylisch hatte ich mich mal wieder selbst übertroffen. Phil sah auch nicht besser aus. Seine Jeans wies mehrere blutige Löcher auf, auf deren Antwort er gestern mit "hingefallen" geantwortet hatte, was ich ihm bis jetzt noch nicht ganz abgekauft hatte und dazu trug er eine weite, blaue Stoffjacke, die ihm nicht wirklich passte, weil sie mir gehörte. Seine dunklen Haare waren in alle Richtungen verstrubbelt und mit seinen vom grellen Licht im Klassenzimmer gereizten Augen sah er verdammt verschlafen aus. Aber irgendwie auch süß... ach egal, jedenfalls stiefelten wir wie zwei lebende Leichen unserer Klasse hinterher und ließen uns fotografieren.

Mit einem belustigtem Grinsen blickte ich mein Bild auf dem Laptop des Fotografen an. Ich sah noch wesentlich schlimmer als erwartet aus, meine Augen waren vom Kameralicht gerötet und tiefe Augenringe, die mich wie einen Pandabären aussehen ließen, zierten sie. Die Bilder werde ich mit ziemlicher Sicherheit nicht kaufen, schon schlimm genug, dass sie am Ende des Jahres im Jahresbericht zu sehen sein werden...

Als ich in der großen Pause zu meinem Spind lief, um mir eine Haarbürste und meine Make-Up Notfalltasche zu holen, bemerkte ich Phil am anderen Ende des Ganges, der nach verbliebenen, vielleicht nützlichen Schulbüchern suchte. Der Rebell von neulich, der laut Phil Raphael hieß und deren Beta war, marschierte auf Phil zu und ich merkte erst jetzt, dass er wohl öfters das Fitnessstudio besuchte, denn jedenfalls baute er sich in seinem eng anliegendem Shirt breit wie ein Schrank vor dem nun etwas kleiner und im Vergleich zu dem Muskelprotz Raphael etwas schmächtiger aussehendem Phil auf. Naja, was heißt schmächtiger, Phil hatte eine normale, sportliche Figur und Raphael sah aus, als hätte er sich irgendwie gedopt.

Ich schnappte ein paar interessante Fetzen ihrer Unterhaltung auf: "bleib von ihr fern"... "ich werde dem Alpha davon erzählen" Und jetzt fiel bei mir endgültig der Groschen. Natürlich hatte die Gerüchteküche Raphael schon erreicht und laut Phil dürfte ich mich mit ihm ja gar nicht treffen... "Scheiße", entfuhr es mir und Emma, meine bisher einzige Freundin an dieser Schule sah mich fragend an.

"Wir schreiben doch heute nicht etwa Geschichte, oder?", lenkte ich vom eigentlichen Thema ab und stellte eine Frage, auf die ich die Antwort schon längst wusste. "Ja natürlich, hast du etwa nicht gelernt?", erwiderte sie fassungslos. "Nein", murmelte ich und lugte hoffungsvoll zu dem Monitor, auf dem gerade der Vertretungsplan angezeigt wurde. "Aber schau, wir haben heute Vertretung, also schreiben wir den Schrott wahrscheinlich gar nicht", grinste ich sie an und schulterte meinen Rucksack, doch Emma schien alles andere als begeistert. "Ich hab die ganze Woche darauf gelernt und jetzt schreiben wir nicht einmal!" Was soll man dazu sagen. Ich war mehr der durchschnittliche Schüler, was Noten anging, doch Emma brauchte gute Noten, sonst würde sie das Halbjahr nicht überstehen. Sie tat mir schon irgendwie leid.

Der rasselnde Gong ertönte und schickte uns zurück in die Klassenräume. Mein Blick wanderte wieder zu dem Fleck, an dem Phil vorher stand, doch ich fand ihn nicht mehr. Naja, vielleicht war er schon wieder in seinen Klassenraum gegangen...

Nichtsahnend, doch mit einem zunehmend mulmigen Gefühl begab ich mich in den Geschichtskursus.

Philipp

Wütend zerrte mich Raphael hinter sich her in einen Abstellraum. Ich tat alles mögliche, um mich seinem Klammergriff zu entziehen, was aber vergeblich blieb. Kaum hatte er die Tür hinter sich zugeknallt, begann er schon, ohne Rücksicht auf die Reichweite des Schalls mittels der Lüftungsschächte, mich anzubrüllen...

Da waren wieder meine drei Probleme: Wölfe, Krieg und LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt