Neugierig

264 19 0
                                    

Bereits eine Woche war seit dem ungeplanten Treffen zwischen Snape und Hermine vergangen. Seine freie Zeit nutzte er unermüdlich, um die Tagespropheten der letzten vier Jahre nach Artikeln über Hermines Mutterschaft zu durchforsten. Doch nichts dergleichen wurde erwähnt; lediglich die Suche nach ihren Eltern und das anschließende Studium in Australien wurden kurz angeschnitten. Somit wusste er zumindest, warum sie sich niemals eher begegnet waren.
Snape hatte keine Antworten auf seine Fragen finden können, folglich blieb ihm nur noch eine letzte Möglichkeit: Er musste eine alte Freundin besuchen.

„Minerva!“, grollte Severus, während er das Büro der Schulleiterin betrat.
Erschrocken schaute McGonagall von ihrem Pergament auf. „Severus! Du kannst doch nicht einfach unangemeldet in mein Büro stürmen und mir einen Schrecken einjagen! Darüber hinaus: Woher kennst du mein Passwort?“
Snape schnaubte amüsiert. „Entschuldige bitte, dass mir entfallen war, dass du nicht mehr die Jüngste bist.“ Er ignorierte den giftigen Blick Minervas und sprach weiter: „Dein fortgeschrittenes Alter wird auch der Grund dafür sein, dass es ein Leichtes ist, dich unvorbereitet anzutreffen: Dumbledore hatte eine Schwäche für Süßigkeiten, du hingegen für Schottland. Du solltest dir sonach dringend ein neues Passwort ausdenken, denn Highlands ist nicht sehr einfallsreich.“
Die Schulleiterin ignorierte seine letzte Äußerung und räusperte sich. „Was verschafft mir die Ehre deines Besuches? Sollst du im Namen des St. Mungos etwas mit mir klären?“
„Ich dachte, um einen alten Freund zu besuchen, bedarf es keines bestimmten Grundes“, sagte Snape süßlich.
Mit hochgezogener Augenbraue sah McGonagall ihn an. „So? Ich wusste nicht mal, dass du mich als einen alten Freund bezeichnest. Aber ich will nicht unhöflich sein.“ Sie deutete auf den Stuhl vor ihrem Pult. „Setz dich.“
Elegant ließ sich Snape nieder. Wie konnte er es nur anstellen, das Gespräch so unauffällig wie möglich auf Granger zu lenken?
„Nun, Minerva“, begann er, „wie bekommt dir das Leben in Hogwarts?“
Für ein paar Sekunden starrte sie ihn nur verwirrt an, dann begann sie langsam zu erzählen, wobei sie Severus misstrauisch beäugte: „Momentan komme ich kaum zur Ruhe. Seit deines Fortgangs gab es eine solche Fluktuation der Lehrer hier, dass ich kaum noch weiß, wer denn derzeit angestellt ist. Viele meiner Kollegen fühlen sich ausgelaugt und alt und würden gern in den Ruhestand gehen, doch es gibt einfach keinen Nachwuchs an qualifizierten Magiern! Unzählige Male habe ich mit Rolanda Hooch reden müssen, um sie zu überzeugen, doch noch weiter zu unterrichten. Mit anderen erging es mir genauso: Erst letzten Monat konnte ich Horace dazu bewegen, noch ein weiteres Jahr Zaubertränke zu unterrichten.“ Verzweifelt raufte Minerva sich die Haare, ehe sie wieder zu sprechen begann. „Ich fühle mich alt, Severus. Alt und erschöpft … Nach dem Krieg wollte ich allen beweisen, dass ich die Schule genauso gut leiten kann wie Albus damals. Anstatt mich nur auf meine Aufgaben als Schuloberhaupt zu konzentrieren, musste ich auch unbedingt weiter unterrichten. Ich bin am Rande meiner Kräfte.“
„Wie wirst du diese Situation ändern?“, fragte Snape, obwohl es ihn nicht wirklich interessierte.
„Ich suche einen zuverlässigen Nachfolger für Verwandlung. Und ich denke, ich habe sogar schon eine passende Hexe gefunden.“
„Aha“, gab Severus nur gedehnt von sich.
McGonagall begann zu grinsen. „Du kennst sie übrigens: Hermine Granger.“
Sein Körper richtete sich auf und er versuchte, die plötzlich aufkommende Neugierde zu unterdrücken. Das lief ja besser als gedacht! Wenn er es jetzt geschickt anstellen würde, könnte er Minerva alle Geheimnisse über Granger und das Kind entlocken.
„Eine Gryffindor, natürlich …“ Er schnaubte verächtlich. „Mir würde spontan ein halbes Dutzend fähigerer Hexen einfallen. Außerdem scheint es in ihrem Fall auch ein unumgängliches Problem zu geben: ihr kleines Anhängsel.“
„Du weißt also von ihrem Kind?“
„Ich hatte das Vergnügen, Granger und ihrer Tochter vor einigen Tagen in der Winkelgasse über den Weg zu laufen. Was willst du also mit dem Mädchen machen?“, fragte Snape und ließ seine Stimme betont gelangweilt klingen.Minerva schaute ihn empört an. „Was denkst du denn, was ich machen werde? Hermine bitten, dass sie ihr Kind weggibt, nur damit ich eine Lehrerin für Hogwarts bekomme? Natürlich wird die Kleine dann auch hier im Schoss leben! Ich habe schon meine Kollegen vorsorglich gefragt, ob sie ein Problem damit hätten, und ausnahmslos alle – vor allem diejenigen, die Hermine damals unterrichtet haben – fanden, dass dies eine wunderbare Idee sei.“ Sie hielt inne und zog aus einer ihrer Schreibtischschubladen ein Foto hervor. „Ich kann es immer noch nicht glauben, dass ausgerechnet sie, die sonst alles so akribisch durchgeplant hatte, so jung Mutter wird.“
So unauffällig wie möglich beugte sich Severus nach vorn, um das Foto besser sehen zu können. Es war eine einfache Muggelfotografie. Er sah ein nur wenige Tage altes Baby mit fusseligem schwarzem Haar. Gerade als er eine Frage stellen wollte, um das Gespräch voranzutreiben, redete McGonagall weiter.
„Nicht mal ihre Schwangerschaft war bekannt. Sie reiste sofort nach der Schlacht nach Australien, um ihre Eltern zu suchen, und sechs Monate später erhielt ich einen Brief, der mir eröffnete, dass sie nun Mutter der kleinen Flora sei.“
Flora! Endlich kannte er den Namen.
„Ich war nicht minder überrascht, als Granger mit einem Kind auf dem Arm vor mir stand.“ Kurz hielt Snape inne. Konnte er es wagen, Minerva konkret zu fragen? Er holte tief Luft und sprach weiter: „Wer ist der Vater?“
Sein Gegenüber zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es nicht. Als ich die schwarzen Haare sah, war mein erster Verdacht Harry Potter. Jedoch bin ich mittlerweile der festen Überzeugung, dass dies nicht zutrifft. Immerhin ist er seit Jahren mit Ginevra Weasley liiert. Und mittlerweile sogar verlobt.“ Minervas Brust schwoll vor Stolz an. Snape rollte nur mit den Augen. „Auch Mr. Weasley ist nicht Floras Vater. Als ich ihn damals auf Hermines Mutterschaft ansprach, wirkte er so geknickt und enttäuscht. Er muss zu dieser Zeit heftig verliebt gewesen sein. Der Arme. Ich hätte ihn - “
Doch Snape schnitt ihr unwirsch das Wort ab. „Ich habe keine große Lust, mich mit dir über Weasleys armseliges Leben auszutauschen.“
„Ja, denn scheinbar liegt dein Augenmerk heute auf Hermine Grangers Leben“, erwiderte Minerva mit einem süffisanten Grinsen.
Im ersten Moment fühlte er sich ertappt, dann setzte er wieder seine Maske der Gleichgültigkeit auf. „Wenn du meinst.“
„Vielleicht interessiert es dich ja, dass sie auch nach dir gefragt hat?“
Snape versteifte sich auf seinem Stuhl. „Was wollte sie wissen?“, brachte er mühsam hervor.
„Sie hat sich nach deinem Wohlbefinden erkundigt und ob du hier noch immer unterrichtest. Ich erklärte ihr, dass du schon seit Jahren an dieser Schule nicht mehr tätig bist.“
„Hat sie dich auch über andere Kollegen ausgefragt?“ Seine Stimme zitterte leicht als er die Frage stellte, und er hoffte inständig, dass McGonagall es nicht bemerkte.
„Nein … und gerade das hat mich verwundert. Kannst du mir erklären, warum sie sich lediglich nach dir erkundigt hat?“, sagte sie, während sie Severus herausfordernd anschaute.
Er seufzte kurz. „Ich kann darauf nur antworten, dass ich absolut keine Ahnung habe. Ich habe Granger vier Jahre lang nicht gesehen.“ Doch in Gedanken kam eine Theorie auf, die er nur noch bestätigen musste. „Hat sie dein Angebot schon angenommen?“
„Noch nicht. Anfangs wirkte sie sehr abgeneigt, doch je länger wir uns unterhielten, desto mehr öffnete sie sich dieser Idee. Mittlerweile, denke ich, stehen die Chancen sehr gut, sie bald hier begrüßen zu dürfen. Morgen Nachmittag kommt sie wieder vorbei, um mir ihre Entscheidung mitzuteilen.“ Snape horchte auf. „Hoffentlich bringt sie dann auch die kleine Flora mit. Letztes Mal war sie leider bei ihren Großeltern, so dass ich sie nicht kennenlernen konnte.“ Verträumt schaute Minerva wieder das Foto an.
Severus hatte vorerst genug Informationen. Langsam erhob er sich und begann dabei zu sprechen: „Ich muss dich nun leider verlassen, die Arbeit ruft. Aber sei dir versichert, dass ich dich bald wieder besuchen werde.“ Er verbeugte sich kurz und ließ eine verwirrte Schulleiterin zurück.
Als er den Wasserspeier hinter sich gelassen hatte, lehnte er seinen dröhnenden Kopf an die kühle Steinwand. Seine Gedanken überschlugen sich. Immer mehr Puzzleteile kamen zusammen und bald würde er die Wahrheit kennen. Aber wollte er das überhaupt?
Zumindest wusste Snape, was er jetzt wollte: Feuerwhiskey, und zwar nicht nur einen.

LebensgefühleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt