Das Leben geht weiter

143 14 13
                                    

„Ich fasse es nicht." Seufzend ließ Windherz sich in die weichen Kiefernnadeln fallen und kuschelte sich an Lichtfleck, der sich sanft um sie ringelte. „Jetzt sind schon vier Monde vergangen, seit der Geburt unserer Jungen, die Blattleere ist vorbei, überall grünt und blüht es, und Ahornjunges und Wurzeljunges machen das Lager unsicher. Die Sonne scheint und das Leben geht weiter, als wäre nichts passiert, als hätte es Nebeljunges und Himmeljunges nie gegeben, als sei all unser Leid nur Rauch und Wolken in der Ferne." Sie schnaubte traurig. „Dabei habe ich noch nie eine so harte Blattleere erlebt, wie sie nun hinter uns liegt."
Ein paar Kiefernnadeln fanden den Weg in ihr Fell und vorsichtig entfernte sie sie wieder. Sie hatten sich nach der Geburt ihrer Jungen immer im Kiefernwald getroffen, weil sie hier versteckter waren, aber die Kätzin würde sich nie an die vielen Nadeln gewöhnen.
Lichtfleck nickte, dennoch schien er nicht wirklich bei der Sache zu sein. Er starrte so intensiv auf den Boden, als könne er dort Botschaften des SternenClans finden und brauchte eine ganze Weile, bis er antwortete.
„Ich kann nicht glauben, dass Himmeljunges in der Welt der Clans jetzt bald Schülerin werden würde," murmelte er.
„Ja," miaute Windherz und blickte versonnen zum Himmel hinauf an dem duzende kleine Sterne funkelten. „Ich habe sie noch als kleines, hilfloses Bündel Fell in Erinnerung. Aber es ist so viel passiert..." Mit den Augen versuchte sie am Firmament Unterschiede zwischen den Sternen zu erkennen, Nebeljunges auszumachen, doch es wollte ihr nicht gelingen. Wieder seufzte sie.
Auch Entenfeder und Leopardenfleck mussten irgendwo da oben sein und über sie wachen, doch beim Gedanken an ihren toten Vater kamen der Kätzin wieder einmal die Tränen. Sie schmiegte sich an Lichtfleck und suchte bei ihm Trost, aber noch immer schien er mit den Gedanken ganz wo anders zu sein.
„Ich kann nicht glauben, dass ich in solchen Zeiten leben muss!" fauchte er plötzlich unvermittelt und zerfetzte mit seinen Krallen den Erdboden. „Und auch nicht, dass ich eigentlich Zweiter Anführer bin!"
Verwundert sah Windherz ihn an und schob die schmerzlichen Gedanken an Entenfeder wieder in den Hintergrund. „Stimmt was nicht?" fragte sie besorgt.
Lichtfleck schnaubte nur und erhob sich aufgebracht auf die Pfoten. „Lindenstern glaubt wohl, dass mit seinen Streunern genug Katzen im SturmClan sind und er die Alten nicht mehr braucht!" fauchte er, während er wütend auf und ab stolzierte, die Krallen aus und ein fahrend.
Windherz beobachtete es schweigend. Ein ungutes Gefühl beschlich sie. „Was soll das heißen?" fragte sie schließlich vorsichtig. „Was hat Lindenstern nun schon wieder vor?"
Lichtfleck schwieg, dann knurrte er: „Er hat heute Morgen die Ältesten vertrieben."
„Er hat... was?" Nun war auch Windherz auf den Beinen. „Das ist ein Scherz, oder?" Ungläubig blickte sie zu ihrem Gefährten auf. Wie um SternenClans Willen konnte ein Anführer nur so tief sinken? Das konnte einfach nicht wahr sein! Doch Lichtfleck schüttelte nur stumm den Kopf.
„Kein Scherz. Und wie du dir sicher denken kannst, fanden das einige Katzen im Clan ganz und gar nicht gut," fuhr er fort und blickte sie gereizt an. „Ganz besonders, weil ich nichts von seinem Plan wusste. Lindenstern hat das alles zusammen mit Finsterkralle ausgeheckt." Den Namen des dunklen Kriegers spuckte er förmlich aus. Seine Schnurrhaare zitterten vor Wut. „So, als ob er Zweiter Anführer wäre und nicht ich!"
Verärgert zuckte Windherz mit den Ohren, während sich gleichzeitig Angst in ihr breit machte. Das klang ganz so, als ob Lindenstern begann, Lichtfleck zu ersetzen! Was, wenn er beschloss, dass er den gefleckten Krieger nicht mehr brauchte? Ihr schauderte, doch ihr zorniger Gefährte beanspruchte ihre Aufmerksamkeit wieder für sich.
„Weißt du, was seine Erklärung für all das war?" fauchte er nun und grub seine Krallen in die Rinde einer Kiefer. „Er meinte, die Ältesten würden den Clan schwächen! Sie würden den „richtigen Kriegern" die Beute wegfressen!"
Windherz schnappte nach Luft. In ihr kochte die Wut hoch, während sie die Szene ganz genau vor sich sah. Lindenstern, selbstzufrieden auf dem Großfelsen, Tannengrün und Zweigblüte, die beiden Ältesten, darunter, in mitten einer Menge aus grinsenden Streunern und protestierenden SturmClan Katzen.
„Dieser Kater widert mich an!" fauchte sie und fuhr nun ebenfalls die Krallen aus. „Wie kann er das Gesetz der Krieger nur so in den Schmutz ziehen?"
Lichtfleck zuckte resigniert mit der Schwanzspitze. „Das erschreckt mich schon gar nicht mehr," miaute er müde. „Was mich erschreckt, ist seine Haltung seinem eigenen Clan gegenüber. Wenn er Krieg gegen den LichtClan führen will, ist das schon schlimm genug. Aber dass er dafür seine eigenen Krieger hintergeht und den SturmClan für seine eigene Macht hinten anstellt, dass ist es, was mich aufregt." Er seufzte, während Windherz ihn verstört anblickte. Ihr fehlten die Worte.
„Tannengrün war so wütend, dass er Lindenstern angegriffen hat," sagte der Kater leise und blickte zu Boden. „Er hat geschrien, dass er genug von dieser Terrorherrschaft hätte und Lindenstern dem Clan mehr Leid als Nutzen bringen würde. Er wollte ihm sein letztes Leben nehmen, damit er endlich da wäre, wo er hingehöre und der SturmClan erlöst."
Windherz sog leise die Luft ein. Unwillkürlich bewunderte sie den Mut des sandfarbenen Kriegers, doch eigentlich wollte sie gar nicht wissen, was Lindenstern mit ihm gemacht hatte.
„Es gab einen kurzen Kampf," sagte Lichtfleck langsam. Seine Stimme stockte. „Tannengrün hat es Lindenstern wirklich nicht leicht gemacht, aber er war altersschwach. Lindenstern hat ihn getötet." Wieder fuhr er die Krallen aus und knurrte leise, während Windherz wütend fauchte.
„Dieses absonderliche Fuchsherz! Das heißt, er hat Zweigblüte alleine und ohne Grund in die Verbannung geschickt?"
„Nicht ganz..." antwortete Lichtfleck und räusperte sich, bevor er seine Gefährtin so vorsichtig ansah, als könne sie die Wahrheit nicht vertragen. Windherz' Augen verengten sich.
„Lichtfleck..." miaute sie gefährlich leise. „Raus mit der Sprache! Und wehe es ist so schlimm wie ich denke, denn dann zerfetze ich Lindenstern seinen schimmeligen Pelz und Finsterkralle gleich mit!"
Lichtfleck hatte inzwischen den halben Waldboden aufgewühlt und seine Augen funkelten bei ihren Worten erschrocken und belustigt zugleich.
„Nun ja..." fuhr er fort. „Nachdem er Tannengrün die Kehle aufgerissen hatte, waren ein paar Katzen, darunter ich, nicht mehr zu halten. Wir haben Lindenstern angeschrien und gefaucht, es war ein richtiger Aufstand! Aber wir waren zu wenige, der Rest des Clans war zu verschreckt. Immerhin lag vor unseren Pfoten der sterbende Tannengrün!"
Windherz schauderte, so gut konnte sie sich die Szene vorstellen. Lindenstern musste furchtbar wütend gewesen sein.
„Es waren Blumenschweif, Federsturm, Schneeschweif und ich," erzählte Lichtfleck weiter.„Wir haben ihm alles Mögliche an den Kopf geworfen. Blumenschweif meinte sogar, sie hätte eigentlich schon wissen müssen, dass er ein herzloser Krähenfraßfresser ist, als er Flussspritzer umgebracht hat, den Vater ihrer damals sechs Monde alten Jungen."
„Was hat Lindenstern gemacht?" fragte Windherz leise.
„Er hat Blumenschweif, Schneeschweif und Federsturm verbannt und mich für drei Monde zu Schülerpflichten verdonnert," antwortete Lichtfleck zornig knurrend. „Du hättest Finsterkralles Blick sehen müssen! Ich wünschte, Lindenstern hätte mich auch weggeschickt, dann hätte ich zu dir in den LichtClan kommen können." Wieder fuhr er die Krallen aus und grub sie in das Holz der Kiefer. „Aber nein, jetzt muss die arme Primelpfote darunter leiden! Nur wegen Schneeschweif und mir, weigert sich Lindenstern, sie zur Kriegerin zu machen, dabei ist das sowieso schon seit Monden überfällig! Obwohl Finsterkralle ihr Vater ist." Nun musste er unwillkürlich grinsen. „Der war übrigens ehrlich entsetzt, als seine Gefährtin verkündet hat, es wäre besser wenn sie ginge, denn sonst würde sie ihm den Pelz zerfetzen. Blöd für ihn würde ich sagen. Jetzt bleiben ihm die Vorzüge eines warmen Nests des Nachts erspart."
Windherz gluckste belustigt, als er ihr einen glühenden Blick zuwarf und sie die grimmige Befriedigung in seinen Worten erkennen konnte.
„Und der Rest des Clans?" fragte sie. „Wie haben die es aufgenommen?"
Lichtflecks Blick verfinsterte sich wieder. „Von den SturmClan Katzen steht außer Finsterkralle und den Streunern niemand mehr hinter Lindenstern. Nicht einmal mehr Dunkelpelz. Federsturm meinte, sie würde mit Vergnügen gehen und sie war seine Gefährtin. Dass er sie verbannt hat, hat seinen Hass auf ihn geschürt."
„Und dann sind sie einfach gegangen?" fragte Windherz ungläubig. „Einfach so? Ohne irgendwas mit einer geschockten Ältesten in den Wald?" Nun sah auch der Boden unter ihren Pfoten aus wie ein Schlachtfeld.
Als Lichtfleck nickte, ließ sie sich wieder auf die Kiefernnadeln plumpsen, und versuchte, seine Worte zu verarbeiten. Irgendwie konnte sie es nicht glauben. Doch schließlich musste sie sich eingestehen, dass Lindenstern alles zuzutrauen war.
Auch Lichtfleck setzte sich wieder und eine Weile herrschte einfach Schweigen zwischen den Beiden. Windherz dachte, dass es trotz ihrer Trauer gut gewesen war, Himmeljunges abzugeben. Ihre Tochter in dieser Welt aufwachsen zu lassen, wäre zu gefährlich gewesen.
Wieder blickte sie zu den Sternen. Tannengrün, Flussspritzer, Lilienstern, Minzblatt... so viele Katzen waren Lindenstern zum Opfer gefallen. Wie viele würden es noch werden, bis der SturmClan Anführer endlich tot war? Sie musste an Entenfeder und Leopardenfleck denken. Wenigstens sie hatten ein friedliches Ende gefunden.
„Auch dem LichtClan hat die Blattleere Krieger geraubt..." seufzte Windherz. Ihr Herz zog sich unangenehm zusammen als sie es aussprach. „Leopardenfleck ist erfroren. Und Entenfeder ist auch tot." Ihre Stimme brach. Nun konnte sie die Tränen über ihren Vater nicht mehr zurückhalten. Lichtfleck schmiegte sich wieder an sie, als sie zu weinen begann.
Entenfeder hatte einen großen Knubbel im Bauch gehabt. Es hatte sich herausgestellt, dass seine anhaltenden Schmerzen davon herrührten, doch Windherz hatte sich nicht zu helfen gewusst. Sie hatte jedes Heilmittel probiert, das sie kannte, doch am Ende war alles umsonst gewesen. Sie hatte ihn nicht retten können. Wieder einmal hatte sie versagt.
Sie weinte eine Weile stumm in Lichtflecks Fell, musste an Vogelschweif denken, die schluchzend über dem kalten Körper ihres Vaters gelegen hatte, an Silberstreif, die ihren Posten als Zweite Anführerin an Sonnenpelz abgegeben hatte und in den Ältestenbau gezogen war, an Goldauge, der ihr gefolgt war, um ihr Beistand zu leisten und an Froschstern, den sie zum ersten Mal in ihrem Leben hatte weinen sehen.
Entenfeders Tod hatte den Clan tief erschüttert. Und Windherz hatte sich ohne ihn furchtbar einsam gefühlt.
„Naja", schniefte sie, als sie sich nach einer gefühlten Ewigkeit endlich wieder beruhigt hatte. „Wenigstens haben wir Hoffnung auf neue Junge. Flussfell erwartet welche von Sonnenpelz."
Lichtfleck, der ihr eben noch tröstend übers Ohr geleckt hatte, verzog das Gesicht. „Wie kann ein Kater sich in diese arrogante, eingebildete Kätzin verlieben?" fragte er. „Noch dazu ein ehrenvoller Krieger wie Sonnenpelz?" Er hatte Flussfell die Sache im LichtClan Lager immer noch nicht ganz verziehen und Windherz musste kichern, als sie sein verwundertes Gesicht sah.
„Seit dem Kampf gegen den Dachs ist zwischen ihnen alles anders. Wahrscheinlich ist ihnen klargeworden, was sie wirklich wollen."
Lichtfleck schnaubte nur und streckte sich auf dem Boden aus. Windherz bewunderte die Muskeln, die dabei unter seinem Fell spielten, als der Kater sie plötzlich direkt ansah.
„Ich finde, wir sollten auch mal wieder etwas Spaß haben!" miaute er unvermittelt. „Wir hatten so harte Zeiten! Ich finde, wir haben es uns verdient, dass wir mal wieder ein bisschen Spaß zusammen haben!" Er richtete sich auf und unter Windherz' verdutztem Blick ließ er sich in eine spielerische Angriffsstellung sinken. „Oder was macht die GipfelClan Anführerin sonst auf FlammenClan Territorium?"
Die Kätzin grinste, als sie sich daran erinnerte, wie sie vor vielen Monden frisch verliebt einen Scheinkampf ausgefochten hatten. Sie war Windstern, die GipfelClan Anführerin gewesen und Lichtfleck Lichtstern, der FlammenClan Anführer. Glücksgefühle machten sich in ihr breit, während sie für einen Moment bei diesen Erinnerungen verharrte. 
„Spaß mit dem FlammenClan Anführer?" fragte sie mit einem verführerischen Unterton in der Stimme und lächelte verschmitzt. „Vielleicht lasse ich mich zu einem Pläuschchen überreden. Aber dazu musst du mir erst zeigen, dass du das verdient hast, Lichtstern!" Auch sie ließ sich in eine Kampfstellung fallen und begann, ihn zu umkreisen.
Lichtfleck grinste und begann seinerseits, sich um sie herum zu bewegen, während er lächelnd die eleganten Bewegungen ihres Körpers verfolgte.
„Na dann wollen wir mal sehen, ob ich mir einen Platz in deinem Herzen erkämpfen kann, Windstern!" Mit einem Satz sprang er auf sie zu und nagelte sie am Boden fest. „Willst du es mir so leicht machen?"
„Nö!" gab Windherz zurück, grinste, wand sich so, dass sein Griff sich lockerte und drehte den Spieß um. Nun lag Lichtfleck unten. Und er sah ziemlich stolz dabei aus.
„Wie ich sehe hast du deine Kampftechniken noch nicht vergessen!" miaute er, während er ein paar schnelle Schläge gegen Windherz' Schulter anbrachte.
Die Kätzin lächelte unschuldig. „Du anscheinend schon!" gab sie zurück und ließ sich schwer auf seine Hinterbeine fallen.
Doch Lichtfleck lächelte nur, dann begann er mit seinen Krallen leicht, durch Windherz' Bauchfell zu fahren. Ihre Augen weiteten sich, als sie begriff, was er tat, dann prustete sie los.
„Das kitzelt!" lachte sie.
„Das soll es auch!" gab Lichtfleck grinsend zurück und kitzelte sie stärker.
Die Kätzin lachte so sehr, dass sie den Kater irgendwann losließ und über den Boden rollte. Lachend stieß sie sich ab und wollte ihn wieder angreifen, da war er auch schon wieder über ihr und kitzelte sie weiter.
„Hör... hahaha... hör auf!" kicherte Windherz schließlich und versuchte verzweifelt, zu Atem zu kommen. „Du... hihi... du hast gewonnen!"
Lichtfleck grinste auf sie hinunter und hörte dann mit einem gnädigen Schnurren auf.
Windherz bekam langsam wieder Luft. Sie lag auf dem Rücken und lächelte zu ihm hinauf. „Seit Monden hatte ich nicht mehr so viel Spaß!" keuchte sie.
Lichtfleck stand über ihr. Seine Augen funkelten und waren voller Liebe. „Ich auch nicht," schnurrte er.
„Ich liebe deine Augen," sprach Windherz einen unwillkürlichen Gedanken aus und stupste leicht sein Ohr mit der Pfote an. „Sie sind wie zwei funkelnde Smaragde."
Lichtfleck lächelte liebevoll. „Wie ich sehe, hab ich es doch geschafft, mir einen Platz in deinem Herzen zu erkämpfen," grinste er. Dann beugte er sich zu ihr hinunter und flüsterte in ihr Ohr: „Aber ich liebe deine Augen auch. Sie sind wie zwei Saphire in der Dunkelheit."
Windherz musste schnurren und schmiegte sich mit dem Kopf leicht an ihn. Er schnurrte auch und schleckte ihr einmal kurz übers Gesicht.
„Lichtstern!" kicherte Windherz. „Du ungezogener Kater! Man schleckt keinen fremden Kätzinnen übers Gesicht!"
Lichtfleck lachte. „Windstern!" gab er zurück. „Du ungezogene Kätzin! Man lässt sich nicht von fremden Katern übers Gesicht schlecken!"

Windherz' Sternenpfoten || ÜberarbeitetWo Geschichten leben. Entdecke jetzt