31.1 Elyons Angebot

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Elyons Gedanken waren im Augenblick völlig von der Herde eingenommen, allen voran dem Bullen, den sie ritt. Es war, als hätte sie einen sechsten Sinn entwickelt, der sich mit den Tieren verband und auch mit ihnen kommunizieren konnte. Doch sie musste sich dafür konzentrieren. Durch diesen Sinn verbunden bleiben, nach dem Gemüt des Riesenbüffels unter ihr fühlen, damit er weiterhin den Weg hinauf in die Hochebene bestieg.

Sie hatten bereits die Hälfte zurückgelegt und befanden sich nun in einer Höhe, von der Elyon sich sicher war, dass es ihre Knochen brechen würde, sollte sie in die Schlucht links von ihr hinabfallen. Doch der Weg war breit und hielt dem Gewicht der riesigen Tiere durch das rote Gestein stand. Nur manchmal bröckelten ein paar kleine Steine ab und fielen in die Tiefe und brachte Elyon dazu, den Blick auf dem Weg über ihnen zu behalten.

Ihr Bulle zuckte immer wieder mit den Ohren und sie spürte ein Kribbeln in ihren Knochen, das eindeutig von ihm kam. Er war neugierig, schnupperte mit der Schnauze leicht nach oben gehalten und beschleunigte von sich aus die Geschwindigkeit, als nur noch ein paar Schritte bis zur Hochebene fehlten.

Dann betrat er das rote, nackte Flachland und starrte die Mauern an. Die Mauern, die Höhental einkreisten. Das verschlossene, rote Land, das nach den Dokumenten ihr gehörte. Von dem Elyon gehört hatte, gelesen hatte. Und nun konnte sie zumindest die Grenze mit ihren eigenen Augen sehen.

Die Mauern waren hoch, als wollten sie sich mit den Schluchten messen, die sie gerade hinter sich gelassen hatten. Sie hatten die gleiche Farbe, wie der Boden, rostrot.
Zwischen den Zinnen der Wehrbrüstung, sah sie rotbraun gekleidete Wächter, die sich dort aufstellten, mit dem gleichen, erschrockenen Ausdruck im Gesicht, wie die Wächter in den Schluchten.

Ihr Blick fiel auf das massive Tor, noch breiter als das letzte. Darüber standen zwischen den großen, überdachten Türmen eine große Gruppe von Wächtern dort. Die Schützen hielten ihre Waffen bereit. Immer mehr sammelten sich dort auf dem Wehrgang, staunten, riefen einander Befehle zu. Kein Kreischen ertönte. Entweder waren hier keine Feuervögel stationiert, oder zu weit weg, um die Gegenwart der Riesenbüffel zu spüren. Zum Glück. Es hatte Elyon viel Konzentration gekostet, um den Bullen unten in der Schlucht von den Vogelschreien abzulenken, die ihn aufgewiegelt hatten.

Neben ihr kam die Büffelkuh zum Stehen, auf der Kael, sein Sohn und Isko ritten, dicht gefolgt von dem Büffel, auf den die zwei anderen Wächter, Tiran und Cassia ritten.

»Was geht hier von sich?«, rief eine Wächterin von dem Wehrgang über dem Tor. Ihre langen, braunen Haare schienen durch den strammen Zopf auf ihren Kopf zu kleben. Die Frau trug die gleichen Schulterklappen, wie Kaels Sohn, an den die Frage gerichtet war.
»Macht das Tor auf! Wir müssen zu den Großwächtern!«, rief Senan zurück.

Stille. Die Wächterin über dem Tor runzelte die Stirn, beäugte Elyon und Nevin, dann beobachtete sie die Riesenbüffel und schluckte.

»Macht einfach das Tor auf!«, rief die Wächterin namens Cassia von ihrem Tier aus. »Euch stehen über fünfzig Riesenbüffel gegenüber, gegen die ihr keine Chance habt! Und die Prinzessin dort-« Cassia zeigte auf Elyon. »-kann sie alle mit einem Kopfnicken steuern. Verschwendet nicht unsere Zeit und gebt nach!«

Elyon seufzte. Der Urdrache war bereits in Sicht gewesen, als sie unten in den Wilden Steppen gestanden hatten. Ihnen rann die Zeit davon. Ihr Herz schmerzte, als sie sich vorstellte, wie die Zerstörung, die sie im Meer gesehen hatte, die unzähligen toten Fische auf der Wasseroberfläche, sich weiter auf Wälder, Pflanzen und Tiere ausweiten würde. Die Zerstörung der Wildnis, bedeutete für sie, die Zerstörung von Leben. Auch wenn sie stark daran zweifelte, ob es ihr überhaupt möglich war, das Biest zu erlegen, so konnte sie doch nach demjenigen in dem Urdrachen suchen, der dafür verantwortlich war.

Elyons Fluch | Band 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt