Alltag ist Treibsand

1.4K 57 0
                                    

Gegen Mittag hatten wir unsere Taschen gepackt und ins Auto verfrachtet. Das Wochenende ging schneller vorbei als gedacht und erhofft. Etwas müde gähnte ich ausgiebig, sodass mich Noah nur belustigt ansah. Wir saßen bis um 2:00 Uhr noch draußen und hatten geredet (und rumgeknutscht) und die Sterne beobachtet (und rumgeknutscht).
Es war schön gewesen, als wären wir nur ein normales Pärchen im romantischen Urlaub. Doch wir sind noch kein Paar. Hoffnung flackerte in mir auf, dass Noah auch etwas für mich empfand. Warum sollte er sich sonst so viel Mühe geben?
Wir stiegen in seinen Wagen und fuhren los. Mary und Pete schliefen die meiste Zeit, da auch sie anscheinend eine anstrengende Nacht hinter sich hatten – wenn vielleicht auch aus anderen Gründen. In ruhigen Phasen des Verkehrs legte Noah eine Hand auf meinem Oberschenkel ab, was mir ein wohliges Gefühl gab. Die Verbindung zwischen uns fühlte sich nach dem gestrigen Abend irgendwie enger an, als wären nur noch die unausgesprochenen Worte im Weg. Jedenfalls hoffte ich das; nicht, dass ich zu viel in die gesamte Sache hineininterpretierte. Inzwischen waren die Schmetterlinge im Bauch jedoch zu weit entwickelt, um nun einen Rückzieher machen zu können. Ich hoffte, dass ich es nicht bereuen müsste.
Zurück in der Stadt ging jeder erstmal nach Hause, da der Montag auch nicht mehr allzu fern war.  Eigentlich räumten wir nur noch unsere Taschen aus und legten uns sogleich hin. Leider holte uns der Alltag schneller ein, als gedacht. Sowohl auf Arbeit, als auch in der Hochschule gab es immer mehr zu tun und Noah und ich hatten kaum Zeit, über die wichtigen Dinge zu sprechen. Da wir den meisten Teil des Tages miteinander verbrachten, wurden meine Gefühle für ihn jedoch nicht gerade weniger. Wir ließen diese komische Phase, die weder Beziehung noch Freundschaft war, einige Wochen laufen. Mary hatte mich schon mehrmals gedrängt, ihn nun zum Reden zu bringen, oder es selbst endlich zu tun. Schließlich konnte eine Frau auch den ersten Schritt tun, doch ich traute mich einfach nicht. Die Zurückweisung würde ich nicht verkraften.
An einem Samstagnachmittag hatte ich schlussendlich die Nase voll. Ich wollte endlich wissen, wo wir standen. „Und du bist sicher, dass du ihn so überrumpeln willst?" fragte Mary im Flur, während ich in meine Schuhe schlüpfte. „Ja. Nein. Keine Ahnung." gab ich unsicher zu und seufzte auf. „Aber ich kriege diese Ungewissheit nicht aus dem Kopf, Mary. Bei Pete und dir war irgendwie sofort klar, dass ihr verliebt und ein Paar seid." Jetzt schaute sie mich skeptisch an. „Nichts für ungut, aber von deiner Seite aus hat man auch von Anfang an gesehen, dass du verschossen bist in unseren lieben Bad Boy." Einwände wären jetzt zwecklos, da ich ihr im Nachhinein zustimmen musste. Schon beim ersten Blick hatte er Interesse geweckt. „Und ich glaube, dass er auch ein Auge auf dich geworfen hat damals. Ich verstehe nur nicht, warum er nicht endlich aus dem Arsch kommt." fügte sie hinzu und schenkte mir einen letzten Blick, bevor ich mir meine Tasche schnappte und sie über die Schulter hängte. „Das will ich herausfinden." erwiderte ich und umarmte sie, bevor ich endgültig losgehen wollte. „Ich habe mich wirklich in Noah verliebt." sprach ich es zum ersten Mal aus und Marys Blick wurde sofort liebevoll. „Ich weiß."
Wir verabschiedeten uns, sodass ich mich auf dem Weg zu Noahs Haus machte. Zwar hatte ich die Nummer von ihm inzwischen von Pete erhalten, doch ein persönliches Gespräch würde besser sein dafür. Ich hoffte, dass er zuhause war - natürlich überrumpelte ich ihn nun damit, doch ich wollte endlich eine Antwort.
Als ich ankam, klingelte ich vorsichtig und wartete ungeduldig. Mein Mut verschwand mit jeder Sekunde und die Angst vor einer Abfuhr ließ mich zittern. Wenn Jungs den ersten Schritt taten, war es irgendwie viel einfacher. Theo Peter öffnete mir die Haustür und schaute überrascht drein. „Hallo, ich würde gern mit Noah sprechen." sagte ich und lächelte bemüht höflich. „Hallo, Emma. Sicher, komm doch rein." Irgendetwas an seinem Lächeln gefiel mir ganz und gar nicht, als würde er mir etwas vorenthalten. Vielleicht bildete ich es mir aber auch ein, schließlich lagen meine Nerven mehr als nur blank und mein Herz pumpte wie wild.
Ich stieg die eleganten Treppen hinauf und blieb vor seiner geschlossenen Zimmertür stehen. Kurz bevor ich anklopfen wollte, kam mir Ben im Flur entgegen. „Emma? Willst du mit mir spielen?" fragte er direkt, ohne sich zu wundern, was ich in seinem Haus verloren hatte. Ich schüttelte nur entschuldigend den Kopf. „Eigentlich wollte ich zu Noah, Ben. Aber beim nächsten Mal können wir was spielen, ja? Versprochen." sagte ich und schaute auf ihn lächelnd an. Leider verblasste es sogleich wieder. „Aber Noah hat Besuch."
„Besuch? Weißt du, von wem?"
Ben fummelte an seinen Händen herum und schien den Namen vergessen zu haben. „Ein Mädchen." Ein kleiner Teil in meinem Körper schien sofort zu Eis zu gefrieren, als ich seine Worte vernahm. Kinder sagten so gut wie immer die Wahrheit. „Okay."
Ich versuchte tief durchzuatmen, als ich meinen Rücken straffte und die Tür ohne zu klopfen aufmachte. Ich versuchte, meine inneren Mauern hochzuziehen, sollte ich etwas sehen, was ich nicht sollte. Ich wollte nicht direkt das schlimmste von Noah annehmen, doch die Angst konnte ich nicht verhindern. Sie war anscheinend auch nicht unbegründet.
Noah und Melody sprangen in dem Moment auseinander, als ich die Tür mit einem Schwung aufriss. Beide sahen mich überrascht an, doch auf Barbies Blick wuchs langsam ein gewinnendes Grinsen. Ich blieb für ein paar Sekunden an Ort und Stelle, um diesen Augenblick zu verarbeiten, doch es klappte nicht. Tränen trieben automatisch in meine Augen, als ich die Klinke losließ und Noah ansah. Er sah ertappt und überrumpelt aus und fand anscheinend keine Worte. Melody hängte sich ein weiteres Mal provokativ um seinen Hals, was mir den Rest gab und ich meine Beine in die Hand nahm. Ich hörte Stimmengewirr im Hintergrund, ignorierte es jedoch völlig. So schnell wie ich konnte rannte ich zum Bus, der netterweise auf mich wartete. Ich fiel schluchzend in den Sitz und beachtete die anderen Fahrgäste nicht, die mich beunruhigt ansahen.
Mein Herz fühlte sich plötzlich so schwer an. Ich hatte befürchtet, dass er es vielleicht nicht ernst meinen könnte mit mir. Warum sollte er auch, wenn er Barbie haben kann? „Hier, bitteschön." ertönte die gebrechliche Stimme einer alten Dame, die mir ein Taschentuch reichte. „Danke sehr." sagte ich und unterdrückte ein weiteres Wimmern. „Egal, was dieser Kerl anscheinend getan hat Liebes, morgen wird die Welt schon wieder ganz anders aussehen." Ich nickte nur und versuchte ein Lächeln hinzukriegen, doch es ähnelte wohl eher einer Grimasse. Ich schnaubte und lehnte meinen Kopf gegen die Glasscheibe. Ich bezweifelte stark, dass es morgen besser wird.
Zuhause wartete ich mit viel Eiscreme und Wein auf Mary, die vom Feierabend kam. Als sie meinen Zustand bemerkte, holte sie ohne weitere Worte ein zweites Weinglas, eine dicke Decke und setzte sich zu mir. Ich erzählte ihr alles und konnte weitere Tränen nicht verhindern, dessen Vorratskammern eigentlich schon hätten ausgeschöpft sein müssen.
„So ein Arschloch." murmelte Mary, als sie mich in eine weitere Umarmung schloss. „Und so eine Bitch. Wenn ich Barbie sehen sollte, reiße ich ihre Extensions heraus." Dies brachte mich sogar etwas zum Lachen, obwohl mir gerade nicht danach war. „Ich glaube, die sind sogar echt." sagte ich bekümmert, was sie nur mit einem Schmunzeln quittierte. „Na dann macht es ja umso mehr Spaß." Gut, dass man beste Freundinnen besaß, die einem wieder aufhalfen, wenn man hinfiel. „Ich hatte echt geglaubt, dass es vielleicht etwas werden könnte." sagte ich nach einem Moment der Stille, was Marylin nur zum Seufzen brachte. „Ich weiß, das hat jeder." antwortete sie. „Und du bist dir zu hundert Prozent sicher, dass du gesehen hast, dass er mit ihr rumgebissen hat?"
„Nicht zu hundert Prozent. Sie sind gerade auseinandergesprungen, als ich reinkam. Doch Barbie hing an seinem Hals wie eine Klette und er ist mir schließlich auch nicht nachgelaufen. Er hat wohl entschieden, dass ich es nicht wert war, wie bei der Gartenparty von seinen Eltern damals." Augenblicklich kamen die Tränen wieder hoch, die ich hastig wegwischte. Wie konnte ich nur so schnell mein Herz an diesen Idioten verlieren?
Tatsächlich rief Noah mehrmals am Abend noch auf meinem Handy an, doch ich ignorierte alle Anrufe oder blockierte sie, bis ich es gänzlich ausschaltete. Ich wollte nichts mehr mit diesem Typen zu tun haben.

Falling for you Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt