4. 4.

28 2 0
                                    


Das ist alles. Mehr sagt er nicht. Ich blicke zu Boden und vor meinen Füßen liegen Handtücher und eine dicke Badetasche. Wäre ich wie vorhin in Trance nur zwei Schritte weiter gelatscht, hätte ich eine Showeinlage mit Purzelbaum über seine Sachen hingelegt. Klasse, Joceyln. Von wegen unnahbare Eisprinzessin. Gegen diese beinahe Peinlichkeit nähme ich dann doch lieber die Pickel im Gesicht. Plötzlich höre ich ein quiekendes Lachen und plätscherndes Geräusch. Synchron drehen wir uns zum Teich um, an dessen Ufer Peppers vor einer kleinen Gestalt aufgeregt hin und her springt. So als würde meine Hündin mit dem Wasser fangen spielen und dann immer wieder flüchten. Mein Blick wandert weiter und da erkenne ich ein kleines, blondes Mädchen mit den Füßen im seichten Wasser stehen. Um ihren Bauch ist ein Schaumstoffring befestigt und ihre Oberarme sind mit dick aufgeblasenen Schwimmflügeln ausstaffiert. Sie sieht fast wie ein kleines Michelinmännchen aus. Aber das ist es nicht, was meine Atmung zum Stoppen bringt. Sondern einfach nur das Kind selbst. Ein flaues Gefühl steigt meinen Magen hinauf und lässt mich Übelkeit verspüren. Meine Hand wandert zu meinem Bauch. Ich merke erst, wie lange ich schon die Luft angehalten habe, als mein Gesichtsfeld schwarz wird und ich zu schwanken beginne. Auf der Stelle ist Ethan da und ergreift meinen Ellbogen.

„Woha, ganz langsam. Komm, setz dich für einen Moment. Du bist ganz blass."

Seine warmen Finger umfassen mich fester und ziehen mich hinunter auf die ausgebreiteten Badetücher.

„Was ist los, Daddy? Ist die Frau krank?"

„Nein, Spätzchen. Ihr geht es gut, sie hat nur zu wenig getrunken. Nicht wahr?", wendet sich Ethan an mich und drückt mir auffordernd eine geöffnete Wasserflasche in die Hand. Sein Blick lässt keinen Widerspruch zu, obwohl ich nicht weiß, ob es ihm hier um mich oder um die Beruhigung seiner Tochter geht.

„Ja, nur zu wenig getrunken. Bei diesen Temperaturen ein Fehler."

Zur Bestätigung trinke ich einen langen Zug und gucke die Kleine an, damit sie sich keine Sorgen macht oder Angst bekommt. Stattdessen stemmt sie ihre kleinen Fäuste in die Hüften, was mit dem Bauchreifen und den Schwimmflügel ulkig aussieht. In dieser Pose schaut sie mich beinahe böse an und hebt tadelnd einen Zeigefinger vor meine Nase. „Man muss immer viel trinken. Ist gut für das Kacksi."

Das bringt das Fass zum Überlaufen und ich pruste los. Der letzte Schluck Wasser bleibt mir im Hals stecken. Daraus wird ein amüsiertes Husten, bei dem mir Ethan ebenfalls lachend auf den Rücken klopft.

„Tut mir leid, sie ist manchmal etwas direkt. Das hat sie von ihrer Mutter. Früher hatte sie Probleme mit dem Stuhl und da haben wir ihr immer gesagt, sie muss viel trinken", erklärt er sich weiter, aber ich habe nicht mehr viel mitbekommen nach dem Wort Mutter. Natürlich hat seine Tochter eine Mutter. Und klarerweise ist ein Typ wie er nicht Single. Ich rücke ein Stück von ihm ab. Bemerke wie nahe mir sein halbnackter Körper gekommen ist, während er mir auf den Rücken geklopft hat. Sofort sehe ich mich nach seiner Tochter um, ob sie uns beobachtet, ob sie ihrer Mutter erzählen wird, dass ihr Daddy heute eine andere Frau getroffen hat. Wie unschuldig es für Ethan auch sein mag. Für mich ist es das nicht. Ich berühre keine Menschen, kann mich kaum an meinen letzten Kuss erinnern oder daran, je aufrichtig umarmt worden zu sein. Aber bei ihm würde ich gerne länger verharren, mich ihm sogar entgegen lehnen, was alle meine Warnglocken gleichzeitig betätigt.

Ethan bemerkt nichts von meinem inneren Tumult, blickt ebenfalls zu seiner Tochter hinüber, die nach ihrer Standpauke wieder zu Peppers zum Spielen gelaufen ist. „Ihr Name ist Amy. Sie ist fast drei und ziemlich neunmalklug für ihr Alter. Irgendwie finde ich das ganz süß, aber manchmal frage ich mich, wie sie dann erst in der Pubertät wird."

Er schenkt mir ein mitleidiges, schiefes Lächeln, das fast ansteckend ist, aber ich reiße mich am Riemen. Eigentlich möchte ich gerade aufstehen, doch er spricht weiter.

„Jedenfalls kommt sie damit ein wenig nach ihrer Mutter, auch wenn sie nicht mehr da ist."

Sofort bereue ich all meine egoistischen Gefühle von vorhin und bin wahrhaftig schockiert und traurig. „Mein Gott, Ethan. Das tut mir leid. Mein Beileid. Das muss schlimm sein. Ich möchte mir das gar nicht vorstellen. Arme Amy."

Sein Blick wirkt überrascht, dann reißt er die Augen noch weiter auf. „Oh nein, tut mir leid. So ist es nicht. Ich habe mich falsch ausgedrückt. Sie ist nicht gestorben, aber wir leben in Scheidung. Wir haben sie seit zwei Monaten nicht mehr gesehen und das letzte Mal vor drei Wochen gehört. Das trifft Amy hart und es verbittert mich, ihre Traurigkeit mit anzusehen."

Das kann ich verstehen. Ethan ist ein guter Mann, ein guter Mensch und wie es aussieht, ein noch besserer Vater. Kein Wunder, dass ihn das Leid seiner Tochter schmerzt. Das ginge mir nicht anders. In Gedanken blicke ich mich wieder zu Amy um. Sie ist beinahe drei. Ich selbst bin seit zweieinhalb Jahren auf mich gestellt, ohne mein altes Leben, das ich verloren habe. Meines müsste jetzt ungefähr im gleichen Alter sein. Diese Erkenntnis fährt in meinen Magen wie ein Fausthieb und ich beiße die Zähne fest zusammen, um nicht zu schreien, zu toben oder zu weinen. Aber ich gebe keinen Laut von mir. Noch nicht einmal die kleinste Regung. Ich bin eine Meisterin darin, in meiner Mauer ohne Risse zu verharren.

Als er mir wieder den Blick zuwirft, sehe ich ernsthafte Besorgnis darin, den Kopf nachdenklich schief gelegt. „Wirklich alles klar bei dir? Warst du nur dehydriert oder war es etwas anderes? Du hast ausgehen, als hättest du einen Geist gesehen. Siehst du noch."

Das trifft es ganz gut, denke ich. Den Geist der sich nie erfüllenden Zukunft. Ohne es zu wollen wandert meine Hand erneut auf meinen Bauch. Den leeren Bauch, der nie das Wunder eines neuen Lebens schenken wird. Das hat mir der Arzt vor meiner Entlassung mitgeteilt, gemeinsam mit all den anderen Verletzungen, die mich wochenlang ans Krankenbett gekettet haben. Aber in meinem Geist blieb vor allem das Wort Hysterektomie - Gebärmutterentfernung - hängen. Es hat sich tief in meine Seele gegraben. Besonders, als er erwähnte, dass ich ganz frisch ein Kind verloren haben müsste, vermutlich um die zwanzigste Woche. Zu früh, um ein lebensfähiges Baby zur Welt gebracht zu haben. Danach hatte ich länger als gewöhnlich Blutungen, also glaube ich ihm. Und trotz all dessen bin ich nach dieser Tragödie fernab meiner Familie ohne Gedächtnis in einem fremden Krankenhaus aufgewacht. Warum waren sie nicht bei mir? Was ist passiert? Zuerst mit meinem Baby und später mit mir selbst? Warum sucht niemand nach mir? Ist der Kindsvater ebenfalls tot? Warum kann ich mich an nichts erinnern? Diese und andere Fragen zermartern mir jeden Abend, jede Stunde den Kopf. Halten mich in den Nächten wach oder wecken mich mit Alpträumen. Ich will diese dunklen Schatten vertreiben und von mir aus sogar in die Dunkelheit blicken, falls meine Vergangenheit so düster ist, wie ich befürchte. Irgendetwas Schlimmes muss passiert sein in meinem früheren Leben, das noch immer Finsternis auf meine Seele wirft. Ich habe ein Baby verloren und damit auch mich selbst.

„Hey, Hey, ganz langsam atmen. Du siehst schon wieder so aus, als würdest du gleich umkippen. Du musst atmen. Eins. Zwei. Drei...", flüstert Ethan eindringlich. Ich halte mich an seinem Rhythmus fest, wodurch sich mein Puls beruhigt, die Schwärze allmählich verschwindet.

Nun ist er mir ganz nah, während er meinen Unterarm hält und vorsichtig über die zarte Haut der Innenseite streicht. Sein würziger, männlicher Duft steigt mir in die Nase, als er sich noch näher zu mir beugt. Seine Lippen berühren fast meine Haut. Der warme Atem streift mein Ohr. „Was ist los, wie kann ich dir helfen?"

Ich sehe zuerst auf unsere Hände, dann hoch in sein offenes, attraktives Gesicht, bevor mir noch flauer im Magen wird.

„Mir ist nicht zu helfen", gebe ich erstickt zurück und reiße mich los. Achte dabei nicht auf seinen überraschten Blick. Stattdessen pfeife ich nach Peppers und springe auf. Dann flüchte ich schnurstracks aus dem Wald. Die Dunkelheit umkreist mich, verhöhnt mich, bis sie mich endgültig verschlingt. Und ich bin mir sicher, dass sie jeden in meiner Nähe mit in die Tiefe reißt. Auch jemanden so Helles wie Ethan Connor – und das hat er bei Gott nicht verdient.

~*~

Du hast das Ende der veröffentlichten Teile erreicht.

⏰ Letzte Aktualisierung: Sep 15, 2020 ⏰

Füge diese Geschichte zu deiner Bibliothek hinzu, um über neue Kapitel informiert zu werden!

Where We Got LostWo Geschichten leben. Entdecke jetzt