Kapitel 2

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Das Klappern von Schuhen riss mich aus meinen Gedanken. Ein junger Mann kam die Planke nach unten. Er hatte braun-rötliche Haare und war vielleicht etwas größer als ich. So wirklich konnte ich das nicht einschätzen, da er auf der Planke stand und mich so um einige Köpfe überragte. Er betrachtete mich abschätzend.
„Suchst du jemanden?", fragte er mehr irritiert als verärgert.
„Ähm. Ich wollte..." fieberhaft rang ich nach Worten. „Ich wollte fragen, ob ich bei euch arbeiten kann." Einen Moment dachte ich, er würde anfangen zu lachen, aber er drehte sich nach oben und rief einen Namen. „Zach! Komm mal!" Dann drehte er sich um und lief an mir vorbei auf den Pier. Erstaunlich kräftig klopfte er mir auf die Schulter. Ein merkwürdiger Geruch nach Fisch umgab ihn. „Keine Angst." Er verschwand auf den Hafen. Verwirrt sah ich ihm nach.
Wieder hörte ich jemanden auf die Planke steigen. Wieder ein Mann. Als erstes fiel mir eine weiße Narbe auf, die sich über sein rechtes Auge zog. Das Auge war merkwürdig gräulich und schien mich doch durchdringend anzustarren. Das andere Auge war blau und starrte mich ebenso durchdringend an. Er trug hohe Lederstiefel, eine graue Hose und ein weißes, recht dreckig aussehendes Hemd. Mehr nicht. Keine Weste oder ähnliches. Nur auf seinem Kopf saß ein dunkelbrauner Dreispitz.
„Was willst du, Junge?" Sein Ton war schneidend.
„Ich wollte fragen, ob ich bei euch arbeiten kann.", wiederholte ich stockend meinen Satz von vorhin. Sein eiskalter Blick ließ mir das Blut fast gefrieren.
Er hob eine Augenbraue. „Tier?"
Ich suchte nach Worten. „Tier? Was für ein Tier?"
„Dein Tier. Deine zweite Gestalt."
Ich verkniff mir ein Keuchen. Klar, wir waren alleine Auf dem Pier, aber er konnte das doch nicht einfach so laut sagen. „Maus.", antwortete ich nur.
„Hm." Seine Augen durchbohrten mich weiter. Seine rechte Hand tippte auf dem Griff des Säbels herum, der an seinem Gürtel hing. „Und was kannst du so?"
„Wie, was kann ich so?"
„Sag mal bist du so dumm, oder tust du nur so?" Erschrocken machte ich einen Schritt zurück.
„Ich. Nein. Ich. Äh."
„Was kannst du?" Ich kaute auf meiner Unterlippe.
„Ich... bin klein?"
„Weiter?" Sein Ton blieb kalt uns schneidend.
„Komm mit wenig Essen aus. Und kenn mich mit Schiffen aus. Also Schmieden. Schiffsschmieden.", stammelte ich.
Sein Blick wurde kaum merklich weicher. „So riechst du auch. Kannst du putzen?" Ich nickte langsam. „Du weißt, dass mir keine normalen Händler sind, Junge, oder?"
Ich nickte wieder. „Piraten.", murmelte ich.
„Woran machst du das fest?" Jetzt klang er doch erstaunlich interessiert.
Ich schluckte. „Das weiß jeder."
„Hm. Aber das meinte ich gar nicht. Wir sind Wandler. Alle. Und wenn du nicht als Mikuschs Nachtisch enden möchtest, dann machst du dich hier besser unersetzlich. Verstanden?" Ich nickte. Deshalb also das Kribbeln. „Hast du Geld?" Wortlos knotete ich meinen Beutel vom Gürtel und warf ihn ihm zu. Darin befanden sich Ersparnisse der vergangenen acht Jahre. Er fing ihn mit der linken Hand. Die Münzen im Inneren klirrten. Er schüttelte ihn kurz neben seinem Ohr, zog ihn auf, nahm drei Münzer heraus, zog ihn zu und warf ihn mir wieder zurück. Nur mit Mühe fing ich ihn gerade so. „Pass gut drauf auf. Ein Fehltritt und deine Tage auf der Oceanwalker sind gezählt. Hoch."
Mit zittrigen Beinen stieg ich hinter ihm die Planke nach oben. Mein Kopf versuchte zu fassen, was gerade passiert war. Das Deck auf das ich jetzt stieg war irgendwie ernüchternd. Auf den dunkelbraunen Holzbalken standen ein paar Kisten und Fässer, die sie vermutlich hier gekauft hatten. Ein paar Leute liefen von rechts nach links, wickelten Taue auf, oder ließen Kisten in den Frachtraum. Eine schwarz-weiße Katze balancierte auf dem Geländer des Oberdecks. Der Mann neben mir, der anscheinend Zach hieß, zog sich seinen rechten Ärmel über die Hand. Kurz darauf hörte ich eine Stimme in meinem Kopf, wie ich sie das letzte Mal vor acht Jahren gehört hatte.
Wir haben Neuzugang! Die Köpfe der Männer drehten sich in unsere Richtung. Das hier ist... Er sah mich fragend an.
„Hazel.", erwiderte ich ohne nachzudenken. Seine linke Augenbraue wanderte in die Höhe. Ich biss mir auf die Zunge.
Hazel!, wiederholte er. Er ist hier zum Putzen und für Arbeit, die keiner machen will.
„Was schleppst du noch so ein Balg an?!", kam es von einem rothaarigen Mann, der eine Kiste trug.
„Willst du deine eigene Wäsche waschen?", antworte Zach ihm schneidend. Der Mann grummelte etwas unverständliches. „Wie sagt man?"
„Nein, Captain." Zach schien auf eine gehässige Art zufrieden mit der Antwort zu sein.
„Was stehst du hier noch?", fuhr er mich plötzlich an. Mein Herz stolperte kurz. „Siehst du nicht, dass die durchwollen?"
Ich drehte mich auf dem Absatz um und verlor kurz das Gleichgewicht. Hinter mir auf der Planke standen der nach Fisch riechende Mann von vorhin und ein Mann mit dunkler Haut, die zusammen eine Kiste trugen.
„Geh nach vorne zu den anderen Kleinen. Da stehst du schon nicht im Weg. Helfen kannst du mit der Statur eh wenig!"
So schnell ich konnte hastete ich in Richtung Bug. Auf einer Art Bank, die sich um die Innenseite des Bugs zog, saßen ein Junge und ein Mädchen. Der Junge in etwa so alt wie ich. Er hatte schwarze Haare, die unter einem grauen Kopftuch hervorschauten, war recht dünn und hatte eine breite Stirn. Er machte immer wieder Knoten in ein Seil. Das Mädchen schien ihm Anweisungen zu geben. Sie hätte älter als ich sein können. Aber auch jünger. So wirklich konnte ich das nicht sagen. Auch sie trug einen Dreispitz. Ihre langen, weißblonden Haare reichten bis auf die Bank.
Als ich sie erreichte zögerte ich kurz. Sollte ich mich einfach daneben setzten und nichts sagen? Aber diese Frage klärte sich schnell. Das Mädchen sah auf.
„Ah. Du bist der Neue, oder?" Ich nickte. Sie lehnte sich mit dem Rücken an den Bug. Auch sie trug einen Säbel am Gürtel.
„Hazel.", murmelte ich.
„Zweitgestalt?", hakte sie nach. Ihr Blick streifte mich nicht einmal. Sie sah nach draußen auf das Meer.
„Waldmaus.", gab ich zur Antwort. Weiter zögernd ließ ich mich eine sichere Armlänge neben ihr auf die Bank sinken. Meinen Beutel fest umklammert auf dem Schoß.
„Ich bin Cole.", kam es fröhlich von dem schwarzhaarigen Jungen. „Schildschiffhalter." Er löste den Knoten wieder, den er grade gemacht hatte und grinste mir zu. „Jetzt muss ich nicht mehr alleine putzen."
„Ich bin Sadie. Sardine." Ich öffnete den Mund. Das Mädchen drehte den Kopf und starrte mir in die Augen. „Und wenn du einen Kommentar über meinen Namen machst, dann schneid ich dir die Kehle durch und werfe dich von Bord."

Oceanwalker || Woodwalkers/Seawalkers FanfictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt