Kapitel 4

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Wir drehten nach Westen. Auf das offene Meer zu. Zittrig ließ ich mich von der Reling wieder auf die Bank sinken. Ich warf einen letzten Blick nach rechts. Auf die Zwillingsdörfer Kingsand und Cawsand, deren Gassen ich acht Jahre lang mein Zuhause genannt hatte, die für ihren Handel mit Piraten und Seeräubern bekannt waren und die ich frühestens in einem Jahr zur Sommersonnenwende wiedersehen würde. Langsam und fast schon widerwillig löste ich meine Augen von den braun-roten Dächern der Häuser. Vor uns erstrecke sich das Meer. Soweit das Auge reichte. Ich kniete mich auf die harten Holzbretter und richtete den Blick nach vorne, wo die Sonnenstrahlen auf den Wellen tanzten. Der Geruch nach Salz und Tang war hier noch stärker, als am Strand. Das Meer rauschte dort, wo der Bug des Schiffes ihn zerteilte. Der Wind pfiff und rauschte in den Segeln. Meine ungleichmäßig kurzen Haare wehten mir ins Gesicht. Rechts zog weiter die zerklüftete Klippenlandschaft der Südküste Englands vorbei.

„Schön, oder?" Ein alter Mann mit grauen Haaren und grauem Bart hatte sich neben mich auf die Bank gesetzt. Ich nickte nur. „Warst du schon mal auf nem Schiff?", fragte er. Ich schüttelte den Kopf. Auf Schiffen war ich zwar schon gewesen, aber nur, wenn sie still und unbeweglich im Hafen gelegen hatten. „Nicht so gesprächig, hm?" Er lächelte. Ich schüttelte wieder den Kopf. Mit einem Schulterzucken klopfte er mir so kräftig auf die Schulter, dass ich das Gefühl hatte, die Bank würde unter mir durchbrechen. Vermutlich sollte es eine freundliche Geste sein. Er stand auf und ging zu Cole, der nach wie vor auf der Reling saß. Nur jetzt mit den Beinen nach außen baumelnd.

„Ihr sollt gleich mit nach unten Sachen sortieren und stapeln." Cole nickte und schwang die Beine wieder nach innen. Wortlos streckte er die Arme nach vorne und der Alte nahm ihn huckepack. Ich folgte den beiden zu der Tür, durch die Sadie vor einer ganzen Weile verschwunden war. Zusammen mit Cole ging ich durch die Tür in das schwummerige Licht. Der Alte hielt uns die Tür auf, blieb aber draußen.

„Das ist Moe.", erklärte Cole, während er mich eine schmale Holztreppe entlang hinabführte. „Der geht nie unter Deck, weil er Angst hat das Schiff zu sprengen. Schläft sogar oben." Er deutete nach rechts, wo ein paar Türen vom Gang abgingen. „Da sind die ganzen Kajüten. Sadie, Faye Mikusch und ich sind ganz hinten. Ich schätze mal, du kommst zu uns." Meine Hände umklammerten den rauen Stoff meines Beutels.

„Kann... ich den nach hinten tun?"

Er nickte. „Klar. Hier Kommt nichts weg. Außer Geld vielleicht. Also pass da gut drauf auf." Ich nickte. Der Gang war dunkel. Nur an einem Nagel in der Wand in der Mitte des Gangs hing eine einsame Öllampe, die spärlich Licht spendete. Aber irgendwie fühlte es sich geborgen an. Als wäre ich in einem Tunnel, in dem nichts und niemand an mich herankommen würde.

Cole zog die hintere Tür auf. Die Angeln quietschten. Schon am Geräusch erkannte ich, dass sie verrostet und verzogen waren. Der Raum dahinter war klein. Links hingen zwei Hängematten. Geradeaus war ein kleines rundes Fenster mit einer dicken Buztenglasscheibe in die Holzbretter gebaut. Auf der rechten Seite stand eine große Kiste, auf der eine ziemlich haarig aussehende Flickendecke lag. Von der Decke rechts neben der Tür hing eine Holzstange.

„Leg den Beutel einfach in die Kiste. Da sind alle unsere Sachen drin." Ich hob den schweren Deckel der metallbeschlagenen Kiste, deren Quietschen mir gehörig in den Ohren schmerzte, und legte meinen Beutel auf das Sammelsurium von Hemden, Hosen und kleinen Beuteln. „Sind das deine einzigen Kleider?", fragte Cole, während er mich etwas kritisch musterte. Ich nickte. „Vielleicht finden wir unten noch was. Du stinkst nach Schmiede und Rauch als gäbe es kein Morgen."

„Ich weiß." An den Geruch hatte ich mich mittlerweile gewöhnt. Nur selten hatte ich meine Klamotten mal am Bach gewaschen und dementsprechend rochen sie vermutlich auch. Ich schloss die Truhe wieder und ging an Cole vorbei wieder zurück in den Gang.

Er führte mich zu einer einsamen Tür auf der anderen Seite des Gangs und zog sie auf. Sofort schlug mir Stimmengewirr entgegen. Zusammen mit dem Geräusch von Kisten, die über den Boden gezogen und Fässern, die gerollt wurden. Durch die oben offene Luke fiel Licht in den Laderaum, in dessen Strahlen Staubkörner tanzten. Die Stimmen waren keine Befehle, die Gebrüllt wurden, es war Lachen und Schwatzen. Männer räumten Kisten eng an die Wände. Sortierten Fässer und lachten.

„... Und dann hab ich ihn mitsamt seinem Stuhl aus dem Fenster geworfen!", beendete gerade der nach Fisch riechende Mann mit den Scheren seinen Satz. Die Umliegenden brachen in noch lauteres Gelächter aus.

„Nicht schlecht, Eric." Eric hieß er also. „Aber hab ich euch schon mal erzählt, wie ich einen Riesenkalmar besiegt habe?", fragte der mit den roten Zöpfen, der mich als Balg bezeichnet hatte.

„Ja. Hast du schon hundert Mal." Ich erkannte Sadies Stimme. Sie trug zusammen mit einer Frau mit leuchtend roten Haaren eine Kiste in eine Ecke.

„Außerdem war das deine Mutter!", kam es von oben. Ich sah Moes Gesicht am Rand der Luke.

„Jetzt hast du mir den Witz verdorben, alter!", rief der Rothaarige zurück.

„Jeder kennt die Geschichte, du Holzkopf!", meinte die Frau, die jetzt mit Sadie wieder zurückkam. Das war dann wohl Faye.

Der Rothaarige schien mich zu bemerken. „Aber der Neue kennt die Geschichte noch nicht."

Oceanwalker || Woodwalkers/Seawalkers FanfictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt