Kapitel 6

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Cole zog hinter mir die Tür zu und wir machten uns wieder auf den Weg an Deck. Erst jetzt bemerkte ich den wuscheligen grau-braunen Hund, der unter der Treppe vor der Tür lag, die anscheinend in eine Art Küche führte. Hinter dem Hund lag ein Haufen Klamotten und neben seiner Vorderpfote stand eine leere Flasche Rum. Dem gleichmäßigen Schnaufen und Schnarchen nach zu urteilen schlief er.

„Was ist mit ihm?", fragte ich Cole leise, während ich hinter ihm die Leiter nach oben kletterte.

„Der trinkt viel zu viel und weiß nicht, wann es zu viel ist.", antworte Cole nur schulterzuckend. „Wir haben uns daran gewöhnt, dass er immer irgendwo im Weg herumliegt."

Meine Augen brauchten eine Weile um sich wieder an das helle Sonnenlicht zu gewöhnen. Hier im Freien kam ich mir wieder ungeschützt und angreifbar vor. Erst jetzt erkannte ich den Vogel, der im Krähennest ganz oben am obersten Fahnenmast saß. Aber was war das überhaupt für ein Vogel? So weit ich das von unten aus erkennen konnte war er fast rund und hatte einen bunten Schnabel. Cole schien meinen Blick zu bemerken.

„Das ist Jamie. Papageientaucher. Hat ein bisschen Angst vor Zach und sitzt deshalb am liebsten da oben."

„Papageientaucher?"

„Kleine runde Vögel. Die fressen viel Fisch und Papageientaucher heißen sie wegen den bunten Schnäbeln. Jamie kommt von den Färoerinseln." Ich nickte, obwohl ich nicht wirklich etwas von dem verstanden hatte, was er mir da erzählte.

Wir setzten uns wieder an den Bug und Cole fuhr mit der Knotenmachstunde fort, bei der wir vorher unterbrochen wurden. Geduldig erklärte er mir die verschiedenen Knoten und wurde auch nicht wütend, als ich den Schotstek wieder und wieder falsch mache. Der Wind hatte abgeflaut und wir schipperten nur noch gemächlich vorwärts. Ich konnte Zachs Blick in meinem Rücken spüren, der am Steuerrad stand und seinen Blick über das Deck wandern ließ. Die Sonne stand inzwischen tief und schien mir ins Gesicht. Ganz in der Ferne konnte ich noch die Südküste von Cornwall erkennen, an der wir nach wie vor entlangfuhren.

„Müssen wir noch was machen? Also heute? Passiert noch was?", frage ich und knotete die Enden des Seils erneut falsch zusammen.

„Du hast eine etwas verzerrte Vorstellung vom Piratenleben, mein Freund.", antworte er mit einem schiefen Lächeln und löste meinen falschen Knoten wieder. „Viel ist warten und die Zeit totschlagen. Was glaubst du, weshalb das Schiff so sauber ist? Uns ist oft langweilig. Aber wenn was passiert, dann passiert was." Seine dunklen Augen glänzten, als er weitersprach. Sein Lächeln wurde zu einem Grinsen. „Wir plündern meist Handelsschiffe aus Amerika, Spanien oder England. Die haben so viel Fracht, das ist der Wahnsinn. Gold, Gewürze, einfach Alles."

Ich nickte. Der Gedanke echtes Gold in den Händen halten zu können war für mich als Schmiedin verlockend. Bisher hatte ich nur mit Eisen gearbeitet. Gold war sicher komplett anders.

„Hazel, nein.", unterbrach Cole meine Gedanken an Gold. „Das Ende muss oben drüber, nicht unten durch." Er nahm meine Hände und ein Kribbeln jagte meine Arme nach oben. Langsam ließ er meine Hände den Knoten machen. „So, geht doch." Er ließ meine Hände wieder los und ich hielt einen fertigen Stotstek in den Händen.

Von unter Deck ertönte eine Glocke.

„Abendessen.", meinte Cole nur knapp, hängte sich das Seil um den Hals und rannte zur Treppe, die nach unten führte, gefolgt von mir und den paar Männern, die auch an Deck gewesen waren. Unten in der Küche war es dicht gedrängt, aber nicht so dicht, wie ich erwartet hatte. Cole drückte mir einen Blechteller in die Hand und Gunnar, der Essen verteilte, ließ bei mir eine Scheibe Brot und ein Stück Fleisch darauf fallen. Mit Cole verzog ich mich an einen der kleinen wackeligen Tische, die in der Küche standen. Sadie sah ich neben Faye an einem anderen Tisch sitzen.

„Warum essen hier nur so wenige?", fragte ich, während ich erstaunt beobachtete, wie Cole sein Essen mit Besteck und nicht wie die meisten anderen hier, darunter auch ich, einfach mit den Händen aß.

„Viele gehen zum Essen ins Meer.", erklärte er, nachdem er seinen Bissen heruntergeschluckt hatte. Gerade warf Gunnar dem jetzt nicht mehr schlafenden Hund ein Stück Fleisch zu und stellte einen Blechteller mit einem weiteren Stück auf den Boden, über den sich der schwarz-weiße Mikusch hermachte. „Aber endlich gibt es mal wieder Fleisch. Wenn wir lange auf hoher See sind gibt es Tage- oder Wochenlang nur Knäckebrot." Ich zuckte nur die Schultern. Gegen getrocknetes Brot hatte ich nicht viel einzuwenden.

Schließlich machten wir uns auf den Weg in unsere Kajüte. Ziemlich ungeschickt kletterte nach oben in die mir zugewiesene Hängematte. Meine Schuhe hatte ich zu Sadies und Coles neben die Tür gestellt. Jetzt konnte ich von oben beobachten, wie sich Mikusch auf der Decke auf der Kiste zusammenrollte und Faye sich in einen roten Papagei verwandelte. Sie flog auf die Stange hinter der Tür und schob den Kopf unter einen ihrer Flügel.

Ich machte es mir unter der Wolldecke, die Patrik mir noch gegeben hatte, so bequem wie es nur ging, was nicht so schwer war, wenn man wie ich mehrere Jahre auf der Straße im Schlamm geschlafen hat. Ob als Maus oder als Mensch. Die Oceanwalker schaukelte sanft und das leise Rauschen der Wellen ließ meine Gedanken schnell träge werden. Ich hatte nicht mehr viel Zeit, über das nachzudenken, was heute passiert war, denn nach nur wenigen Minuten war ich schon eingeschlafen.

Oceanwalker || Woodwalkers/Seawalkers FanfictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt