Das Erste, was ich am nächsten Morgen realisierte war ein Tritt in den Rücken. Das zweite ein lauter Knall und das Dritte ein Schmerz in meiner rechten Schulter. Ich spürte die kalten Holzbohlen unter meinem Bauch. Halb verzweifelt und halb irritiert versuchte ich mich aus der Decke zu befreien, die mit mir aus der Hängematte gepoltert war.
Erst als die schwarzen Flecken aus meinem Sichtfeld verschwunden waren, konnte ich die Situation halbwegs erfassen. Sadie kletterte gerade aus ihrer Hängematte und verschwand mit einem Grinsen aus der Tür, ohne mich eines Blickes zu würdigen. Sowohl die Stange an der Wand, als auch die Decke auf der Kiste waren schon verlassen. Cole saß im Schneidersitz auf der Kiste und sah zu mir nach unten.
„Guten Morgen, Pirat."
„Morgen.", murmelte ich und hob mich auf die Beine. Immer noch etwas desorientiert sammelte ich die Decke vom Boden und warf sie zielsicher an meiner Hängematte vorbei, sodass sie mit einem dumpfen „Fump" wieder auf dem Boden landete. Erst beim dritten Versuch blieb sie oben liegen.
„Komm, wir müssen zum Frühstück. Und dann muss ich dir unbedingt was zeigen!" Ich nickte und zog im Laufen meine Schuhe an, während er schon aus der Tür war. Mit guter Laune am Morgen konnte ich nicht wirklich umgehen. In der Küche stand Patrik da, wo gestern Gunnar gestanden hatte und verteilte Brot und Äpfel an die wenigen, die gerade da waren. Unter ihnen erkannt ich Phil und Eric, aber vielen konnte ich keine Namen zuordnen.
Als wir uns hingesetzt hatten und gerade anfangen wollten zu essen, ging die Tür auf. Hindurch kam Zach, dessen Blick mich sofort um ein gutes Drittel meiner Größe schrumpfen ließ. Fast sogar wortwörtlich. Schnell zog ich die Ärmel meines Hemdes nach unten, um das Fell zu verstecken, was sich dort auf meinen Armen gebildet hatte. Zachs eiskalter Blick streifte über mich und im Anschluss über meinen Teller.
„Mach dich drauf gefasst nicht immer so viel zu essen zu bekommen. Ab morgen gibt's für dich morgens Mausportionen getrocknetes Brot. Klar?!", fauchte er mich an. Ich schrumpfte innerlich noch weiter und nickte schnell.
„Sei doch mal nicht immer so gemein.", murmelte Cole.
„Hast du was gesagt, Nachtisch?" Zachs Blick lastete jetzt auf Cole. Dieser schüttelte schnell den Kopf. „Das will ich auch hoffen."
Das Fell auf meinen Händen verschwand nicht. Auch nicht, als Zach die Küche wieder verlassen hatte. Vermutlich, um mich zu beruhigen legte Cole seine Hand auf meinen pelzigen Arm, was die Sache nicht unbedingt besser machte. Erst als ich meinen Teller zurück zu Patrik gebracht hatte, war das Fell wieder halbwegs verschwunden.
Oben an Deck fielen mir einige Dinge sofort auf. Der Himmel war nicht mehr blau wie gestern, sondern gräulich und verhangen, aber vor allem war die Küste verschwunden. Die Oceanwalker pflügte gemächlich durchs Wasser. Weit und breit war kein Land zu sehen. So weit das Auge reichte nur das grau-blaue Meerwasser. Ich schluckte, während ich vorne auf der Bank am Bug stand. Überall nur Wasser, kein Land an das ich mich würde retten können, wenn ich über Bord fallen würde.
„Wohin fahren wir jetzt eigentlich?", fragte ich Cole um mich von meinen Gedanken abzulenken.
„Noch ein gutes Stück Richtung Westen. Heute Abend bei Sonnenuntergang sollten wir dann auf Position sein. Vielleicht treffen wir aber auch schon früher einen Kreuzer. Wer weiß. Aber du hast ein Mitglied von unserer Crew noch nicht kennengelernt." Bilder von allen möglichen Meerestieren zuckten durch meinen Kopf. Noch ein Krebs? Hoffentlich keine Seepocke. Vielleicht ja ein Delfin. Eine Fontäne kurz vor dem Horizont ließ mich aufschrecken.
„Wartet ihr auf Grey?" Die Stimme von Moe, dem alten Mann von gestern, ließ mich ein weiteres Mal zusammenzucken. Cole nickte. Moe schloss kurz die Augen und öffnete sie wieder. „Er sagt er hat Neuigkeiten." Wieder beantwortete Cole meine Frage, über die ich zwar nachgedacht, aber sie nicht gestellt hatte.
„Er kann seinen Walgesang hören. Die Gedankensprache reicht nicht so weit. An der Oberfläche reicht der Walgesang auch nicht so weit, aber unter Wasser können die beiden über eine riesige Strecke hinweg reden."
„Danke, Cole." Moe schmunzelte. Die Fontäne kam immer näher. Schließlich schloss die Oceanwalker zu ihm auf. Jetzt schwamm neben dem Schiff ein Wal. Ein Wal, der fast genau so lang war, wie das gesamte Schiff. Von oben konnte ich nur seinen blau-grauen Rücken erkennen und das Atemloch. Begrüßungen in Gedankensprache zogen durch meinen Kopf. Noch nie hatte ich ein so großes Tier gesehen. Die Gedanken, die von ihm Ausgingen waren wie große gemächliche Wellen, die meinen Kopf erreichten. Gedanken von der Tiefe des Meeres und Gedanken, die so alt und verschwommen waren, dass sie fast nichts mehr bedeuteten. Greys Gedankenstimme war tief und langsam. Sie strahlte eine gewisse Ruhe aus.
Nicht weit von hier kommt euch ein Schiff entgegen. So tief, wie es im Wasser liegt, hat es viel Fracht. Es kommt aus Amerika.
Unter den Anwesenden an Deck breitete sich freudiges Gemurmel aus. Ich sah Sadie von unter Deck nach oben kommen, die Hand am Säbel, der an ihrem Gürtel hing.
„Jetzt weiß ich, was ich gestern vergessen habe." Cole schlug sich gegen die Stirn und rannte ohne ein weiteres Wort durch die Tür, aus der Sadie gerade gekommen war. Verwirrt sah ich ihm nach. Er hatte doch einen Säbel am Gürtel hängen?
Ein Schiff voraus! tönte vom Ausguck aus in meinen Kopf. Zusammen mit Sadie stürzte ich nach vorne an den Bug. Und dann sah ich es. Eine dreimastige Galeone mit weißen Segeln. Im Wind am mittleren Mast flatterte die Blue Ensign. Es war ein beeindruckendes Schiff und Gey hatte recht. Es hatte ordentlich Tiefgang.
„Hier!" Ich fuhr herum. Hinter mir stand Cole und hielt mir einen Säbel hin. Irritiert sah ich ihn an.
„Aber ich kann doch gar nicht-"
„Mach dir nicht in die Hosen, kleiner.", grinste Sadie hämisch. „Hast du etwa Angst vor der Royal Navy?" Ja, das hatte ich in der Tat, aber lieber hätte ich Zach zum Armdrücken herausgefordert, als das gegenüber ihr zuzugeben.
„Ist egal.", meinte Cole, während ich die Scheide des Säbels auf meinen Gürtel fädelte. Aus dem Augenwinkel konnte ich beobachten, wie Eric eine schwarze Flagge mit einem weiß leuchtenden Walschädel darauf in ein Seil am Hauptmast einhängte und sie mit teilverwandelten Scheren nach oben zog.
„Und jetzt?", fragte ich Cole, während wir der Galeone mit zunehmender Geschwindigkeit näherkamen. Sadie zog den silbern glänzenden Säbel aus ihrem Gürtel.
„Jetzt lernst du, was es heißt ein Teil der Oceanwalker zu sein.", knurrte sie grinsend.
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Oceanwalker || Woodwalkers/Seawalkers Fanfiction
FanfictionDie junge Hazel schleicht sich unter dem Vorwand ein Junge zu sein auf die berüchtigte Oceanwalker. Ein Schiff aus Wandlern. Und schon beginnt ein Abenteuer, das sie schnell ihr Leben kosten könnte. Das Cover bleibt erst mal so, bis ich ein besseres...