Wollsocken? Bei Merlins Unterhose, warum habe ich Wollsocken gesagt? Seit Harry vor ein paar Minuten den Raum verlassen hat, kreiseln meine Gedanken darum. Okay, ihm muss klar sein, dass ich mir einen Scherz erlaubt habe, aber im Nachhinein kommt es mir doch unangebracht vor. Ich weiß so viel über Harry, und er weiß nichts über mich, wäre es da nicht angebrachter, die Wahrheit zu sagen? Oder zumindest das, was ich allen anderen gesagt habe, was ich mir selbst gesagt habe, so oft, dass ich fast schon über den Anblick im Spiegel überrascht war?
Ariana und Kendra. Natürlich sehe ich die beiden, das weiß jeder, der mich etwas genauer kennt, das ist absolut logisch und wird von mir normalerweise immer bestätigt, wenn jemand nachfragt. Das Problem hierbei ist, dass es alles andere als die Wahrheit ist. Ich habe meine Mutter geliebt, ebenso wie meine Schwester, und natürlich wünsche ich mir, dass sie noch am Leben wären, doch die schlimmste Eigenschaft meiner Jugend hat sich bis heute nicht verändert: Damals schon stand meine Familie an zweiter Stelle, und ich habe sie für einen Freund vernachlässigt, der mir wichtiger war, der mir bis heute wichtiger ist. Ich trete mit gesenktem Blick an den Spiegel und lege die Hand an das leicht milchige Glas, und als ich aufschaue, sehe ich in Gellerts verschiedenfarbige Augen.
In dem Spiegel sehe ich mich, wie ich aussehe, doch neben mir steht der nach Voldemort meistgehasste Zauberer der Welt und lehnt sich mit einem liebevollen Grinsen an meine Schulter. Ich kann die Berührung förmlich spüren, denn genau so hat er sich immer an mich gelehnt und mir über die Schulter gesehen, wenn ich einen unserer Pläne aufgeschrieben habe.
Als ich Harry gesagt habe, er solle keine Zeit vor dem Spiegel verbringen, weil er dann nur der Vergangenheit nachtrauert, anstatt in die Zukunft zu blicken, habe ich aus Erfahrung gesprochen. Wenn ich alle Stunden, die ich hier in der Betrachtung von mir und Gellert verbracht habe, zurückbekommen würde, dann wäre ich wieder ein junger Mann. Trotzdem kann ich den Blick nicht von ihm wenden, trotzdem komme ich Tag für Tag hierher.
Es tut weh zu wissen, dass Gellert unerreichbar in einem Gefängnis sitzt, und das meinetwegen – dass er seine Taten selbst zu verantworten hat, ist mir egal. Für das größere Wohl, habe ich mir damals gesagt, für das größere Wohl muss ich ihn einsperren, egal wie weh es mir und ihm tut. Und ich weiß, dass ich richtig gehandelt habe, als ich unseren Blutschwur zerstört und ihn besiegt habe, auch wenn es sich einfach nur falsch anfühlt. Nur eines hätte ich gern gewusst: Ob er seine Taten je bereut hatte, ob es ihm leid tat, was er getan hatte.
Albus Dumbledore tot, verkündeten die großen Buchstaben auf der Zeitung, die der Wächter versehentlich vor meiner Zelle hat liegen lassen. Ich hatte sie schon unzählige Male gelesen, und langsam sickerte die Bedeutung in meinen Kopf. Ich riss die Augen auf starrte das Bild unter dem Titel an. Dort war Albus zu sehen, völlig anders als in meiner Erinnerung: Sein dunkles Haar war mit dem Alter silbrig weiß geworden, sein Bart reichte ihm bis weit über die Brust und sein Gesicht war alt und faltig geworden.
Mit dem Albus, den ich mit sechzehn Jahren kennengelernt hatte, hatte er nicht mehr viel zu tun – bis auf seine Augen, die genauso verschmitzt funkelten wie vor hundert Jahren, und das leicht schelmische Lächeln, in dem der Schalk eines deutlich jüngeren Mannes lag. Ich atmete tief durch und presste die Fingerkuppen auf meine Augen, bis ich weiße Punkte sah. Nicht weinen, bloß nicht weinen. Zeig ihnen nicht, wie verletzlich und angreifbar du bist, verbirg deinen wunden Punkt, sonst hast du hier keine ruhige Minute mehr.
Wenn du mehr als ein halbes Jahrhundert allein in einer Zelle sitzt, hast du viel Zeit, über deine Taten nachzudenken. Du hast genug Zeit, um deine gesamte Grundeinstellung zu überdenken, und genug Zeit, um dich selbst mit der Tatsache zu konfrontieren, dass du ein rassistischer Idiot warst. Im Gefängnis sind alle gleich. Kein reines Blut schützt dich davor, ein schmutziger Gefangener zu sein, und ohne deinen Zauberstab nützen dir deine Fähigkeiten nicht viel.
Je länger ich in diesem Gefängnis saß, desto sicherer war ich mir, dass ich falsch gelegen hatte mit meiner Vermutung, dass Zaubererblut mehr wert war als nichtmagisches Blut, denn sobald die Zauberer ihre Stäbe nicht mehr hatten, unterschied uns nichts mehr voneinander. Ich bereute so sehr, was ich getan hatte, und wartete auf den Tag, an dem Albus mich besuchen kommen würde. Dann würde ich ihm sagen können, was für ein Idiot ich gewesen war, dass er die ganze Zeit Recht gehabt hatte, dass es mir leidtat.
Doch Albus war nie gekommen. Nicht ein einziges Mal hatte ich ihn gesehen, seit er mich damals besiegt und eingesperrt hatte, nicht ein einziges Wort hatten wir gewechselt. Ich konnte ihm natürlich keinen Vorwurf machen dafür, dass er seinen besiegten Feind nicht besuchte, aber ich war doch so viel mehr gewesen als nur ein Gegner... Trotzdem warf ich Albus sein Fehlen nicht eine Sekunde vor. Ich war derjenige gewesen, der unsere Beziehung zerstört hat, ohne es eigentlich zu wollen.
Voldemort erhebt sich. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis er vom Elderstab hört, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis er mich aufsucht. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis ich mich entscheiden muss, ob ich Albus vollständig verrate oder sterbe.
Hörst du mich, mein Freund? Ich werde dich nie verraten. Es tut mir leid. Hörst du mich, Albus? Ich liebe dich. Ich habe nie aufgehört, dich zu lieben.
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Harry Potter Gay Oneshots
FanfictionHier veröffentliche ich diverse Oneshots mit gay Shippings (wie Wolfstar, Grindeldore, Drarry, Linny, Deamus etc.), ich hoffe, sie gefallen euch :)