Before 6 pm.

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Heute war einer dieser Wintertage, bei denen man das Gefühl hatte, das es gar nicht erst hell wurde. Die Sonne versteckte sich hinter den grauen Wolken, die so tief am Himmel hingen, das man fast glauben konnte, wenn man sich nur weit genug ausstreckte, sie mit den bloßen Fingen berühren zu können. Die Sonne ist beim Aufstehen noch gar nicht aufgegangen und auf dem Weg von der Uni oder der Arbeit nach Hause, war sie schon lange wieder untergegangen. Mit etwas Glück konnte man im Tagesverlauf etwas Helles am Himmel durch die Wolken durchscheinen sehen, damit man wenigstens erinnert wurde, dass es die Sonne noch gab. Der matschige Schnee auf den Straßen strahlt schon lange nicht mehr im glänzenden Weiß, das man sich überlegt eine Sonnenbrille aufzusetzen und die Müdigkeit, welche sich unter den Augen abzeichnete, vermag auch der viel zu starke Kaffee im kleinen Café um die Ecke nicht vertreiben.
Harry hasste solche Tage, an dem es so schien, als befände man sich die ganze Zeit in der Abenddämmerung, nur ohne einen schönen Sonnenuntergang. Es war ein harter Kampf dann überhaupt das Bett zu verlassen. Der innere Kampf mit dem Pflichtbewusstsein und den schlechten Gedanken, die sich jedes Jahr um diese Zeit in seinen Kopf ein nisteten, wenn die Tage so dunkel wurden. Manchmal gewannen diese schlechten Gedanken, aber schon lange nicht mehr so oft wie noch vor einigen Jahren. Harry hatte mittlerweile viele Strategien entwickelt, um sich nicht komplett von den Winterdepressionen gefangen nehmen zulassen.

Und so schaffte er es auch heute, als sein Lichtwecker langsam sein Schlafzimmer in einem warmen Licht eintauchte und das leise Zwitschern der Vögel aus ihm erklang, die Augen zu öffnen. Nachdem er seine Glieder ausgiebig streckte und sich die gestrickten Wollsocken, welche ihm seine Oma jedes Jahr zu Weihnachten schenkte (dafür liebte er sie sehr), noch unter der Decke über seine Füße zog, stand er aus seinem Bett auf und ging in sein kleines Badezimmer. Er drehte den Duschhahn auf, steckte den Stöpsel in den Ablauf der Badewanne und entschied sich dann für das Honigschaumbad, von dem er mehr als empfohlen in das weiter ansteigende Wasser kippte. Dann ging er in die eben so kleine Küche, schaltete den Wasserkocher ein, holte seine Lieblingstasse -die mit dem großen G drauf- aus dem Schrank, so wie einen Teebeutel raus und positionierte sie neben dem Wasserkocher. 

Harry hatte einen fast auf die Minute genau geplante Morgenroutine. Die Struktur und die Regelmäßigkeit half ihm dabei, bei dem dunklen Wetter seinen Tag zu beginnen. Sein Wecker klingelte in der Woche um halb Sieben, das Wasser zum Baden ließ er um 6:35 ein, dann hatte er zehn Minuten Zeit, alles für seinen morgendlichen Tee vorzubereiten und sein Handy zu checken, auf welchem er im Regelfall eh keine neuen Nachrichten hatte. Um 6Uhr45 war die Badewanne dann voll genug, sodass Harry das Wasser ausstellte, seinen Pyjama auszog und ihn ordentlich in das kleine Fach im Regal legte. Zum Entspannen an sich hatte er nicht so viel Zeit. Vielleicht würden einige es auch Wasserverschwendung nennen, denn um 7:05 stieg er dann, nachdem er seine Haare vom Shampoo ausgewaschen hatte, aus der Badewanne aus. Seine Klamotten für den neuen Tag, legte er sich immer am Abend vorher in das andere Fach im Badezimmerregal, damit er morgens gar nicht erst in das Was-soll-ich-bloß-anziehen-Debakel geraten konnte.

Mit noch nassen Haaren, aber dick angezogen mit einer zusätzlichen langen Unterhose über seiner Boxershorts und unter seiner schwarzen Jeans, einem langärmligen Shirt und einem dicken, rosafarbigen Kapuzenpullover, goss er dann das mittlerweile schon fast lauwarme Wasser in seine Tasse mit dem Teebeutel.
In der Zeit, in der der Tee zog, ging Harry zurück ins Bad und putzte sich seine Zähne. Nachdem er die Mundspülung ins Waschbecken spuckte und wieder einen Blick auf die Uhr warf, blinzelte er kurz ungläubig. Es war kurz nach halb acht. Schnell zog er sich seinen Wintermantel, Schal und Handschuhe an, über seine immer noch nassen Haare stülpte er eine Wollmütze. Mit einer Hand griff er zu seinem Rucksack und mit der anderen nach seinem Schlüsselbund und mit einem lauten Knall fiel seine Haustür dann hinter ihm ins Schloss. Der Tee blieb unberührt in der Küche stehen.

So strukturiert, wie Harry es gerne hätte, war sein Morgen dann doch nicht. Trotzdem schaffte er es so zu mindestens regelmäßig zur Uni und bei seiner Arbeit aufzutauchen. Vor zwei Jahren waren seine Winterdepressionen so schlimm, dass er es eine ganze Woche lang nicht schaffte aufzustehen. Er beantwortete keine Nachricht und nahm auch keinen Anruf entgegen. Als er den vierten Tag ohne ein Wort nicht auf der Arbeit auftauchte, wurde er fristlos gekündigt. Wäre Niall nicht am siebten Tag, mit dem Ersatzschlüssel in Harrys Wohnung gekommen, dann hätte er wohl auch das Semester nicht bestanden. Sein bester Freund schaffte es mit viel Geduld und harten Worten, dass Harry zu mindestens aus seinem Bett aufstand und sich wusch.

A.M. • Larry StylinsonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt