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Silence

Mein Blick erhob sich von der Zeitung die ich gerade las und traf auf den von Thor. Sein bekanntes, überglückliches Lächeln zierte seine Lippen und machte mich automatisch wütend. Mein Tag war ruiniert beim Antlitz dieser grundlosen Freude und gleichzeitig kribbelte mein Bauch voller Aufregung. Es war undefinierbar wie entsetzlich fröhlich ich mich bei seinem Anblick fühlte.
“Was gibt's?”, wollte ich wissen, da erhob er sich von dem Sofa und kam auf mich zu.
Hatte er mich wohlmöglich falsch verstanden? Meine Frage war ganz sicher keine Einladung gewesen!

“Ich habe nur gerade an etwas gedacht.”, antwortete er.
Ich hob eine Augenbraue und starrte ihn schweigend an während er näher kam.
Seine vage Umgehung meiner Frage ging mir ziemlich auf die Nerven, doch ich hielt an meinem Schweigen fest. Es würde sich nicht lohnen deshalb einen Streit anzuzetteln. Dafür war es noch viel zu früh am Morgen. Die Sonne hatte sich gerade erst blicken lassen. Es sollten keine düsteren Wolken den klaren Himmel unserer Versöhnung trüben.
“Irgendwas interessantes?”, er zeigte mit dem Finger auf die Zeitung, die ich gerade wieder zusammen faltete und weglegte.
“Nicht wirklich.”, meinte ich und sah ihm dabei zu, wie er neben mir Platz nahm.

Die Couch auf die wir nun zusammen saßen, war nicht für zwei Personen gedacht. Dies schien ihn aber nicht sonderlich zu kümmern, so wie er sich darauf fallen gelassen hatte. Um den Körperkontakt der entstanden war zu meiden stand ich auf und machte einige Schritte nach vorn. Die Umstände unserer Zusammenkunft hier war belastend genug, da brauchte ich nicht auch noch die ständige Erinnerung daran, dass wir hier zusammen auf unbestimmter Zeit fest saßen. Mein geliebter, ehrfürchtiger Bruder hatte es mal wieder geschafft Blitz und Donner walten zulassen. Durch seinen abgelehnten Heiratsantrag war seine Ex Zukünftige wie eine Furie in unser geschätztes Zuhause einmarschiert und wollte ihre Rache ausüben. Auch wenn ich einer guten Aufführung immer mit offenen Armen gegenübertrat, konnte ich ihre Beweggründe absolut nicht nachvollziehen.

Sie musste meinen Vollidioten von Bruder nicht heiraten. Bei solchen Nachrichten würden bei mir die Glocken der Glückseligkeit läuten. Stattdessen war sie in solch ein Herzschmerz ausgebrochen, dass der einzige Ausweg die Flucht war. Zischmiliarden Planeten im ganzen Universum weit und breit. Millionen von Sternen, mit unzählbaren Mysterien und unentwegtem Potenzial soweit das Auge reichte und Heimdall hatte sich nichts besseres einfallen lassen können, als uns auf die Erde zu verscharren. Der Gedanke daran hier in diesem Loch mit einem hoffnungslosen Fall festzustecken weckte in mir meine vertraute Mordlust.
“Ist was? Du siehst fertig aus.”, Thors Bemerkung brachte das Fass beinahe zum überlaufen, doch ich atmete tief durch und lächelte nur bitter.
“Nun ja. Könnte wohlmöglich daran liegen, dass ich hier mit dir auf Planet Dumpfbacke feststecke!”, zischte ich ihn so ruhig es ging an. Es war keine Wut die aus mir sprach. Sondern die unzähligen Nächte in denen ich nicht hatte schlafen können, zeigten nun erfolgreich ihre Nebenwirkungen.

Mein Kopf fühlte sich unglaublich schwer an und Thors Anblick verärgerte mich viel mehr als gewöhnlich. Was imgrunde genommen fast unmöglich war.
Er seufzte leise und warf die Arme über die Lehne.
“So schlimm ist es hier doch gar nicht. Die Menschen hier sind nett und das Essen ist gut.”, ich wollte meinen Ohren nicht trauen, doch er hatte diese Worte scheinbar wirklich ausgesprochen. Ich merkte erst spät, dass ich meine Hand erhoben hatte und sie ihm mahnend entgegen streckte.
“Du hälst jetzt einfach den Mund, klar? Kein Wort für die nächsten hundert Jahre!”, bevor er protestieren konnte löste sich meine Gestalt in einem grünlichen Schimmer auf und gleichdaraufhin befand ich mich in meinem Schlafzimmer.

Unerhört dieser möchtegern Gott!
Sich so aufzuführen als wäre alles in seiner gewohnten Ordnung, wobei alles den Bach unter ging. Davon abgesehen das seine versprochene nicht alle Fässer dicht hatte, waren wir nun hier gefangen. Lichtjahre von unserem Zuhause entfernt. Nicht das ich es vermisste wieder in einem Reich zu leben welches ich nicht regieren konnte, doch hier zu sein weckte schreckliche Erinnerungen. Dieser Ort, dieser Planet erinnerte mich an eine Zeit, oder besser noch an an einen Menschen, der ich nicht mehr war. Dieser Erde war ein fesselndes, erdrückendes Symbol für meine törischte Schwäche. Ein ewiges Brandmal meines eigenen Fluchs. Jedes mal wenn ich auf die Straße ging hatte ich das Gefühl die Blicke der Menschen würden mich durchlöchern. Voller Hass und Angst sind ihre Blicke gefüllt. Eine stumme Aufforderung an mich ihre Heimat zu verlassen, da ich hier einfach nicht erwünscht war.
Seufzend brach ich aufs Bett zusammen. Ich ließ mich in die weichen Kissen fallen und starrte rauf zur Decke.
Mir war klar, dass die meisten sich nicht mehr daran erinnerten, oder mich einfach nicht wieder erkannten. Doch sie konnten fühlen das ich es war. Sie konnten spüren, dass ich nicht so war wie sie. Das ich anders und gefährlich war.

Früher hätte mir dieser Gedanke gefallen. Von allen gefürchtet und geachtet zu werden, doch nun ging ich an diesem bitterlichen Schmerz zu Grunde.
Natürlich wollte ich immernoch meinen Bruder stürzen und ihm Mjölnir auf die Zunge legen, doch anderseits wollte ich einfach nur ebenfalls ein geschätztes Mitglied dieser Familie sein. Mir war es nicht wichtig ein König zu sein, oder über irgendwelche Halbaffen zu regieren. Alles was ich wollte war Verständnis. Ich wollte endlich das jemand meine Perspektive teilte, dass jemand mir zuhörte und verstand warum ich all diese Fehler begangen hatte.

“Loki.”, die Tür zu meinem Schlafzimmer ging auf und ein mürrischer Thor betrat das Zimmer.
“Es ist nicht besonders freundlich sich mitten in einer Unterhaltung aufzulösen!”, meinte er verärgert und setzte sich zu mir ans Bett.
“Falls es dir nicht aufgefallen ist mein geliebter Bruder; ich habe keinerlei Bedürfnis mit dir eine Unterhaltung zu führen!”, fuhr ich ihn an, woraufhin er nur die Augen verdrehte und mich dann genauer ansah. Seine Stirn legte sich in Falten, sein Gehirn fing wohlmöglich an zu rackern. Ich konnte es mir bildlich vorstellen, was für ein Chaos sich gerade in seinem Kopf abspielte. Jedes mal wenn er versuchte mich zu ergründen, hatte er diesen ernsten und hilflosen Gesichtsausdruck auf. Ich konnte mir mein Schmunzeln nicht verkneifen und klopfte nur wortlos auf den leeren Platz neben mir.
Er verstand und legte sich ebenfalls wortlos zu mir ins Bett.
So lagen wir also beide da. Schweigend und an die Decke starrend. Wir sagten beide kein Wort, füllten den Raum mit Stille und Gedanken, kommunizierten wortlos und schienen uns zu verstehen. Das waren wohl die einzigen gemeinsamen Momente, wo wir miteinander auskamen. Seine Anwesenheit so nah neben mir zu spüren machte mich glücklich, löste den Knoten in meinem Herzen und ließ mich sanft lächeln. Es war beruhigend seinen Atem zu hören, der gleichmäßig meinen Hals traf, als er sich zu mir drehte. Ich schloss meine Augen und verweilte in diesem kurz anhaltenden Gefühl der Sicherheit. Thor war ein Sturkopf, albern und kindisch, doch seine Nähe war wie Balsam für meine Seele. Alles an ihm entfachte eine unbändige Wut in mir und gleichzeitig fühlte ich mich nirgendwo sicherer als hier bei ihm. Es war ein ständiges hin und her der Gefühle. Eine aufbrausende Katastrophe voller Hass und Liebe.

“Woran denks du?”, unterbrach ich dann schließlich die Stille und wandte mich seinem Blick zu.
Er lächelte mich schief an und stieß seinen warmen Atem gegen meine kalten Lippen.
Abwartend musterte ich jedes Detail seiner Gesichtszüge, speicherte sie ein und wollte sie für immer in Erinnerung behalten. Dieser Mann war der Mittelpunkt meines Lebens und dafür verachtete ich ihn mit Leib und Seele.
“Daran wie schön es ist endlich Zeit mir dir allein zu verbringen.”, antwortete er in aller Ruhe und sah mich nachdenklich an.
Seine Worte drangen in die Dunkelheit meines Herzens und strahlten ihr ganzen Licht aus. Ich presste leicht lächelnd die Lippen aufeinander und wandte meinen Blick schließlich ab.

“Woran denkst du?”, wollte er dann wissen und es folgte ein kurzer Moment des Schweigens.
Dieser Mann war der Mittelpunkt meines Lebens und dafür verachtete ich ihn mit Leib und Seele.
Und doch wünschte ich mir nichts sehnlicheres auf der Welt, als Teil seines Lebens zu sein.
“Es gibt vieles worüber ich gerade nachdenke.”, meinte ich dann nur leise und schloss meine Augen wieder.
Thor starrte mich noch für eine Weile an, bevor er dann ebenfalls seine Augen schloss.

𝐴𝑙𝑤𝑎𝑦𝑠 𝑦𝑜𝑢Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt