Kapitel 32

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[Elysium]

Theseus stand außerhalb des Unterschlupfs, der gut verbogen hinter einem tosenden Wasserfall lag, der in einen großen See mündete. Im Mondlicht strahlte dieser in derselben Farbe, wie Casmiels Augen es getan haben und das machte Theseus traurig. Es machte ihn traurig das sein einziges Andenken an den Mann ein Stück Stoff seines Mantels und ein Fandungsplakat, das er schon seit Jahren in seiner Tasche trug damit er, falls er jemals diesen großartigen Mann getroffen hätte, er es genau kontrollieren könnte. Nun hatte er ihn getroffen und wieder verloren innerhalb von nur drei Tagen.

Er starrte auf den See, mit einem verträumten und abgelenkten Blick doch seine Gedanken waren dank der kühlen Nachtluft, die den Winter langsam aber sicher ankündigte, klar und rein. Er dachte noch immer über Azraels Worte nach, die in seinem Kopf herum flogen und darin spukten wie Geister es in verwunschenen Häusern taten.

Gerade dachte er an ein Gespräch, das er mit dem Tripe spät am Abend geführt hatte als sie zusammen vor dem letzten prasselten Feuer saßen und sich eine Tasse Tee genehmigt hatten. Dies war der Moment gewesen, an dem Theseus realisiert hatte das Casmiel kein Arschloch war, wie er es bisher immer gedacht hatte. Er war...kompliziert. Versuchte mit seiner arroganten Art jeden abzuschrecken und jetzt wusste Theseus den Grund dafür. Er hatte eine schwere Kindheit gehabt. Vermutlich hatte er mehr Narben als irgendjemand anderes, den Thes kannte. Äußerlich sowie auch Innerlich war er zerkratzt und blutete aus mehreren geöffneten Wunden die nur so nach Hilfe schrien, doch er selbst blieb stumm. Er hatte Narben an den Handgelenken, das hatte Theseus gesehen aber er hatte keine Zeit gehabt dies anzusprechen. Dazu gab es noch eine kleine, kaum erkennbare Narbe an seiner Unterlippe an der rechten Seite. Man konnte sie nur erkennen, wenn man den Mann länger beobachtete und seine scheinbar perfekten Proportionen betrachtete denn nur wenn man etwas länger beobachtete, konnte man feststellen das man eben doch Fehler hatte und dies schien der einzige Fehler zu sein den Casmiel Tripe trug. Äußerlich.

Innerlich war er ein Wrack, ein kaputtes Schiff das tief auf den leeren Meeresboden gesunken ist. Ein Schiff, das von seiner Besatzung aufgegeben wurde und immer weiter in der Stille ertrunken ist. Casmiel Tripe war kein Monster, er wurde zu einem gemacht.
Von diesen verdammten Nachrichten, nach denen Theseus am liebsten den Fernseher zerstört hätte wenn er nicht noch Verwendung für den Widerstand hätte, hatte Theseus etwas wichtiges über Casmiel Tripe und generell das Leben gelernt:
Er hatte zu schnell geurteilt. Im ersten Moment war Cas ihm wie der größte Vollidiot auf diesem Planeten vorgekommen, aber er war nur ein gebrochener Junge, der viel zu schnell erwachsen werden musste. Er musste viel zu schnell seine Pläne vergessen, seine Träume aufgeben und in eine Rolle schlüpfen, die er nicht wollte. Er hatte seine wahre Sexualität verstecken müssen, hatte keine Liebe erhalten und wusste vermutlich nicht wirklich was das war, aber dennoch kämpfte er... er hatte gekämpft bis er gefallen war und endlich den ewigen Frieden gefunden hatte, den Theseus sich so für ihn erhofft hatte. Vor allem jetzt, wo einen neuen Teil von Casmiels viel zu gigantischer Persönlichkeit erforscht und studiert hatte.

Und jetzt dachte er an seine Worte, die sich in seinem Kopf festgesetzt hatten:
Oh Darling. Ich werde diese Welt ins Chaos stürzen. Denn nicht Ordnung wird alles wieder richtig stellen, Chaos wird es auseinanderreißen sodass wir wenigstens eine Chance haben die Ordnung anzuwenden waren

Dann hatte er ihm versprochen, die Welt zu retten. Sie aus den festen Griffen der Scena zu befreien und zu zeigen, aus welchem Holz sie wirklich geschnitzt waren. Aus dem Holz, eines Helden. Jedenfalls hatte Theseus seine Worte so interpretiert. Sie schienen Casmiel nicht leicht zu fallen, auch wenn er es bei seiner fiktiven Göttin Dolores, die zugleich seine Violine und sein Unterbewusstsein und was sonst noch war, geschworen hatte. Sie schien eben eine wahre Göttin zu sein, wenn sogar Casmiel Tripe Respekt vor ihr hatte und sie immer erwähnte, egal zu welchem Thema. Egal ob passend oder unpassend, er liebte diese Dolores wohl mehr als alles andere auf dieser kleinen Welt, in der sogar einfache Violinen Götter sein konnten und Antihelden die Hauptcharaktere wurden, die alles besser machten. Eine Welt, in der man über den Tod eines Arschloches weinte und es im Herzen schmerzte, das er wohl für immer gegangen war.

Zwar schmerzte die Erinnerung an die Toten noch, aber Azrael hatte recht. Man musste diese Tode in einem anderen Blickwinkel sehen und das Gute darin erkennen, das überall existiert. Das war auch der Grund, wieso Theseus Pazifist war. Er glaubte das Menschen sich ändern konnten. Sie konnten sich ändern und waren nicht als Monster geboren, sie wurden zu welchen gemacht. Ihre Dämonen veranlassten sie dazu diese Dinge zu tun, die einfach nicht richtig waren. Dinge, die einfach nur ihrem eigenen Zweck dienten, Dinge, die andere verletzten wenn nicht sogar tötete.
Dinge, die falsch waren, aber in der Perspektive des anderen richtig weil sie es nicht besser wussten.

Deshalb war es falsch gewesen so über Cas zu urteilen. Er mag ein arroganter Mistkerl sein, der immer einen Anlass fand Theseus mächtig auf die Nerven zu gehen, aber er war ebenso ein treuer Freund, der immer an deiner Seite kämpfen würde, egal was passiert. Er war da, wenn man ihn braucht auch wenn es so scheint, als hätten alle einen verlassen.

Auch in diesem Moment war Cas anwesend. Theseus glaubte zwar nicht an den Himmel, aber er fand die Vorstellung an einen Ort, an den all die toten Seelen sich wieder finden und zusammen in Eintracht leben. Er liebte die Vorstellung eines Paradieses wenn man es geschafft hatte und das Leben endlich hinter sich hatte. Er liebte ebenso die Vorstellung an ein Leben danach und das man sich nach seinem Tod entscheiden konnte, wollte man ein neues Leben beginnen oder auf ewig ein friedliches Leben leben würde, wo man niemanden mehr loslassen musste weil sie bereits tot waren. Theseus glaubte an das Elysium.

Zwar waren die griechischen Götter kein Teil seines Glaubens (er hatte erlebt wie verrückt die Leute damals waren) und er glaubte ebenso wenig an die Unterwelt, aber das Elysium war seiner Meinung nach real. Ein Ort, eine Belohnung, für all die Toten, die endlich Frieden fanden. Böse Seelen sowie Gute. Alle am Ende vereint und das Wort Feindseligkeit existierte nicht mehr.

So wie Theseus Casmiel einschätzte, würde er es keine ganze Woche dort mit dem ganzen Frieden und der Harmonie aushalten. Er würde die Widergeburt wählen und sich erneut in ein Abenteuer stürzen das, wie Theseus hoffte, einen besseren Start und ein besseres Ende hatte. Casmiel Tripe hatte sich ein gutes Leben verdient, wo er keine Angst haben musste jeden Moment zu sterben. Wo er sich nicht um einen ganzen Widerstand kümmern musste, sah wie Leute starben und neue Leute dazu kommen und jeden einzigen Tag eine Maske zu tragen, die langsam brach und zersplitterte. Cas hätte ein Leben irgendwo weit entfernt von dem ganzen verdient. Ein Leben, mit einem liebenden Vater und einer ebenso liebenden Mutter. Ein Leben, mit einer lebendigen Schwester. Eben das, was man sich unter einem wahren Leben so vorstellte.

Theseus würde niemals sehen wie dieses Elysium aussah. Er würde niemals erfahren ob es überhaupt existierte oder der Tod nur eine Leere war, die man nicht ausfüllen konnte. Er wollte wissen ob es mehr gab, als seinen tristen Alltag. Er wollte wissen ob er jemals ein anderer sein würde.

Diese Antworten waren verborgen, schwebten wie die Sterne am Himmel und lächelten auf die Meschen dort unten hinab, die keine Ahnung hatten was sie noch erwarten würde. Diese Antworten waren ungewiss, unsicher. Sie warteten nur darauf beantwortet zu werden, doch war der menschliche Verstand dazu nicht in der Lage. Diese Sterne waren das Ziel. Das Ziel eines jeden Mensch, egal ob jung oder alt. Doch man konnte das Ziel nicht erreichen ohne zuvor etwas dafür getan zu haben. Man musste tot sein, alles aufgeben und hinter sich lassen. Man musste loslassen damit man etwas neues packen konnte, das für immer in deiner Hand liegen würde. Die Ewigkeit. 


Ich denke Kapitel wie diese sagen so viel über einen Charakter aus. Kapitel, in denen absolut nichts passiert. In denen eine Person nur in den Sternenhimmel sieht und wir ihre Gedanken verfolgen dürfen. Besonders ihre Gedanken über Casmiel Tripe, die wie jeder weiß, bei jedem Menschen etwas anders waren. 
Ich habe zu diesem Kapitel das Lied "Stuff we did" von Up in Slowed hoch und runter gehört weil es mich so an Cas' Tod erinnert hat der irgendwie friedlich war, auch wenn es nicht die Realität gewesen war...

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