8. Goldenes Gift

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Elis zog die Kapuze tiefer ins Gesicht und ertappte sich dabei, wie sie
allen an ihr vorbeiströmenden Arwanern misstrauische Blicke zuwarf.

Auch zwei Tage nach ihrer denkwürdigen Begegnung mit dem Auftragsmörder drängten sich seine Worte ungewollt in ihre Gedanken.

Tagein, tagaus.

Nachts war es am schlimmsten.

Ohne Rücksicht auf Verluste schloß sie sich dem Strom an und hastete an
Körpern, Gerüchen und Stimmen vorbei, ohne Sinn für irgendein Detail
außer Stichs Silhouette, die aber nirgends zu sehen war.
Eine Nebensächlichkeit bemerkte sie sofort. Obwohl heute kein
Großmarkttag war fiel ihr das Fortkommen schwerer.

Als sie und die anderen den riesigen Platz erreichten kämpfte sie sich zu den Geschäften rechts von ihr durch.
Kiltars Steinbörse besaß eine Treppe, die sie zwei Stufen heraufstieg.
"Seid gegrüßt, Edle." Der Wachmann am Ende des Aufgangs sah sie
freundlich an. Obwohl nur leicht gekleidet trug er ein feines Kettenhemd
darunter, was Kiltars Überzeugung nach kundenfreundlicher war. Die
angespitzten Schlagringe an beiden Händen hingegen waren gut sichtbar und weit weniger einladend.
Elis war kürzlich erst mit Angor hier gewesen, der sich einen teuren Siegelring anfertigen ließ.
"Seid gegrüßt. Ich werde nichts kaufen. Gewährt mir den Platz um zuhören
zu können."
"Sicher. Ist ganz gut hier oben zu stehen. Die Neuigkeit wird vielen
nicht schmecken. Mal sehen ob es Prügeleien gibt."

Elis lehnte sich an die kühle Wand des Geschäfts und sah über die
zahllosen Köpfe hinweg. Flankiert von Wachen stolzierte Carl Windfall
durch die Menge, gefolgt von Torben, dem riesigen Marktaufseher, der acht
gab, ihm nicht in die Füße zu rennen. Sie betraten eine kleine Empore,
die neben dem prächtigen Brunnen aufgebaut worden war und standen einen guten Schritt über allen anwesenden Bürgern.

Carl öffnete mit seiner gekünstelten
Art eine Pergamentrolle. Quälend langsam.

Elis konnte keinen der beiden leiden. Widerliche Speichellecker waren sie,
die für Gold und Macht ihre Frauen verkaufen würden. Stolz posaunten sie zu jeder Gelegenheit heraus, mit Angor gut befreundet zu sein. Er schätzte sie bloß als willige Werkzeuge. Irgendwie eine sehr einseitige Wertschätzung.
'Er hat für zwei bezahlt'.
Zweideutige Worte, aber eine
unmissverständliche Drohung. Oder Stich war ein brillanter Lügner und
Manipulator und alles war gelogen. Angor musste Antworten liefern aber
sie wusste genau, dass er ihr diese schuldig bleiben würde.
Mal wieder. Obwohl er ihr vertraute.
Einseitige Wertschätzung?

Die Fanfare des Fürsten ließ die Menge verstummen.
"Hört, Bürger von Arwan. Hört, was der Rat der Stadt unter dem Vorsitz
des Fürsten Angor mit großer Mehrheit beschlossen hat."
Große Mehrheit bedeutete es war denkbar knapp. Angor musste sicher einen
oder zwei Ratsmitglieder 'überreden', wie er es immer tat, um zu
gewinnen. Sie war kein Kind von Traurigkeit aber sie schätzte ehrlich
Worte. Der Fürst war da ganz anders.
"Aus gegebenem Anlass werden die Steuern zum ersten des neuen Monats um einen Zehnt erhöht."

Schlagartig änderte sich die Stimmung auf dem Platz. Erste Gegenstände
flogen Richtung Empore, entrüstete Bürger fluchten und drängten nach
vorne. Die Wachen bildeten sofort einen engen Ring um die Redner, Speere im Anschlag. Sofort wichen die Menschen fluchend und drohend zurück.
Carl fuhr fort: "Unsere Stadt wächst von Tag zu Tag, Immer mehr Händler kehren ein und verkaufen ihre Waren. Kehrseite dieser Entwicklung ist die starke Zunahme von Diebstählen. Da immer mehr Wagen die Straßen nutzen, müssen diese regelmäßig ausgebessert werden, damit alle zügig vorankommen und keine
Unfälle passieren. Darüber hinaus gibt es immer mehr Bettler, nicht alle
sind friedlich. Wir wollen Unterkünfte bauen, in denen sie Essen und ein
Dach über dem Kopf bekommen."

Elis ertappte sich dabei, wie sie nur leicht den Kopf schüttelte und
sofort aufhörte, als sie die Wache neben sich schnaufen hörte.
Mist!
Sie biss sich heftig auf die Lippen. Niemand schien diese verräterische
Geste bemerkt zu haben. Wenn herauskam, dass sie als Vertraute des
Fürsten seine Entscheidungen öffentlich mißbilligte bedeutete das
Probleme. So wie es aussah, würde er davon bald mehr als genug haben. Was hatte er sich dabei gedacht?
"Ist echt ne Schnapsidee", seufzte der Mann neben ihr. "Ist es nicht
so?", grinste er sie fragend an. "Ihr habt nicht zufällig einen
Silbertaler, damit ich meinen Ärger runterspülen kann?"
"Widerlicher Halsabschneider," presste Elis hervor, kramte eine Münze
hervor und steckte sie ihm grob in seine Hand. "Dafür sollte man Dich
hängen."
"Sicher doch. Danke." Er verstaute das Geld in einem bereits gut gefüllte
Beutel. "Ach ja. Ihr solltet verschwinden, solange ihr noch wegkommt. Geht in
den Laden, den Flur runter. Am Ende nehmt die Treppe. Sie führt an der
Latrine vorbei auf die Rückseite."

Ohne ein Wort drückte Elis sich an ihm vorbei, hastete durch den sauberen
Flur und war froh, die Menschenmenge hinter sich gelassen zu haben. Im
Schatten der Häuserfluchten menschenleerer Gassen machte sie sich auf den Weg zum Fürstenanwesen, ohne auch nur einen Bettler zu Gesicht zu bekommen.

Die Sucher II - Der Fluch der ErdvergessenenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt