Alkohol löscht diesen inneren Brand nicht

10 0 0
                                    


C.S.


Dios mio!

Jay hat recht. Vermutlich muss ich die Wohnung echt noch renovieren, bevor meine Eltern von ihren Ferien zurückkommen. Langsam wird es sogar mir ein bisschen zu chaotisch und dreckig hier drinnen. Aber noch schlimmer finde ich es aufzuräumen. Also warte ich noch ein bisschen damit. 

Nachdem Jay gegangen ist, habe ich mir noch einen weiteren Film reingezogen aber langsam muss ich etwas essen. Seit gestern Mittag habe ich nichts mehr zwischen die Beisser gekriegt, da die Lasagne wirklich ungeniessbar war. Ich stehe auf, gehe in die Küche und mache mir Tacos. Ist sowieso viel besser als Lasagne. Ist ja auch mexikanisches Essen. In diesem Fall bin ich sehr klischeehaft: Der mexikanische Immigrant isst nur mexikanisches Essen. Aber echt. Man kann doch einen saftigen Burrito nicht mit diesem mastigen Topf Käse, der einfach nur Bauchkrämpfe hervorruft, vergleichen. Oder erst Guacamole a la madre... 

Meine Tacos sind fertig. Schnell stopfe ich das Essen im Gehen in mich herein und verschwinde mit einem leckeren Geschmack im Mund in meinem Zimmer. Bevor hier wieder Party herrscht will ich noch ein bisschen zeichnen. Ich habe begonnen el puente baluarte  die Baluarte-Brücke, die in der Nähe Mazatlàns meine Heimatstadt liegt, zu zeichnen. Wir waren in den Ferien oft dort, wenn ich mit meinen Eltern unsere Verwandten besucht habe. Ich kann mich noch gut an das Gefühl erinnern, wenn wir mit unserem kleinen Mietauto über die riesige Hängebrücke gefahren sind. Freiheit. Ich habe mich frei gefühlt. Wie ich mich auch sonst immer in Mexiko fühle. Deshalb zeichne ich nur Landschaften und Konstruktionen oder Personen, die mich an meine Heimat erinnern. Dann fühle ich mich frei, wenn ich zeichne. Ich verliere mich in dieser Welt und vergesse die Zeit, vergesse alles.

Viele meiner Kollegen verstehen das nicht.

"Carlos, wie kannst du dich so mit Mexiko verbunden fühlen, wenn du doch hier geboren wurdest?"

Ich wurde vielleicht hier geboren aber alles an mir ist mexikanisch. Meine Eltern, mein Aussehen, meine Sprache. Ich denke in Spanisch. Ich träume in Spanisch. 

"Carlos, Mexico ist ein schönes Land. Es ist das Land unserer Vorfahren, meiner Eltern. Es ist mein Land. Aber nur für in den Ferien. Nur für den Besuch ist es schön. Dort wirklich zu leben ist eine andere Geschichte. Sei froh lebst du hier!"

Selbst meine Eltern, die in Mexiko geboren und aufgewachsen sind, verstehen meine Liebe zu diesem Land nicht. Zu meinem Land. Und das nicht nur in den Ferien. Wenn ich mit meiner Ausbildung endlich fertig und finanziell unabhängig bin, werde ich auswandern. Ich will nicht mein ganzes Leben hier verbringen. Ich will so wenig restlichen Teil meines Lebens hier verbringen, wie nur möglich ist.

Der Grundriss der Brücke ist fertig. Jetzt kann ich mit den Details beginnen. Ich suche einen passenden Farbstift und zeichne. Ich zeichne und fühle mich frei. Ich zeichne und bin zu Hause.

Es klingelt an der Türe. Nachdem ich aus meiner Traumwelt aufgewacht bin, habe ich trotzdem noch das Gröbste vom Boden aufgeräumt und geputzt. Ich freue mich echt nicht auf später. Das wird eine riesige Arbeit, wenn ich nicht will, dass meine Eltern einen totalen Zusammenbruch erleiden und mich für den Rest meines Lebens ins Zimmer einschliessen. Als ich jetzt also durch den Gang laufe, um die Türe zu öffnen, liegt nichts auffallend Ekelhaftes mehr auf dem Boden. Meine Gäste werden also hoffentlich nicht gerade wieder umdrehen, wenn sie einen Blick hinter die Tür werfen. 

Wie das Leben halt so dreht....Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt